NABUCCO – Leipzig, Oper

von Giuseppe Verdi (1813-1901), Dramma lirico in vier Teilen, Libretto: Temistocle Solera nach Nabuchodonosor von Auguste Anicet-Bourgeois und Francis Cornue, UA: 9. März 1842 Mailand, Teatro alla Scala

Regie: Dietrich W. Hilfsdorf, Bühne: Dieter Richter, Kostüme: Renate Schmitzer, Dramaturgie: Marita Müller

Dirigent: Anthony Bramall, Orchester: Gewandhausorchester, Choreinstudierung: Alessandro Zuppardo. Chor und Zusatzchor

Solisten: Markus Marquardt (Nabucco, König von Babylon), Amarilli Nizza (Abigaille), Gaston Rivero (Ismaele), Jean Broekhuizen (Fenena), Arutjun Kotchinian (Zaccaria), James Moellenhoff (Oberpriester des Baal), Keith Boldt (Abdallo), Olena Tokar (Anna)

Besuchte Aufführung:  6. Januar 2013 (Premiere)

Kurzinhalt

Der babylonische König Nabucco erobert Jerusalem und zerstört Salomos Tempel. Zuvor haben sich Hebräer und Leviten mit dem Hohepriester Zacccaria und der Gefangenen Fenena, Tochter Nabuccos, in den Tempel geflüchtet. Die Geisel wird dem Neffen des Königs von Jerusalem, Ismaele, anvertraut. Beide haben sich bereits in Babylon liebengelernt. Damals hatte Fenena den jüdischen Gesandten aus der Gefangenschaft befreit. Nun rettet Ismaele Fenena. Die Hebräer fühlen sich verraten, bis Fenena zum jüdischen Glauben konvertiert. Ihre Schwester Abigaille liebt Ismaele vergeblich. Als die Abgewiesene von ihrer Herkunft als Sklavin erfährt, sinnt sie auf Rache und Thron. Während Nabucco an der Hybris, sich selbst zum Gott machen zu wollen, wahnsinnig wird, benutzt Abigaille ihn als Instrument, die Hebräer und Fenena zum Tode zu verurteilen. Als der verzweifelte Vater sich besinnt und zu Gott bekehrt, kann er seine Tochter retten. Die reuige Abigaille vergiftet sich.

Aufführung

Das Bühnenbild besteht aus einem großen gefliesten Saal im Industriedesign der frühen Moderne mit zwei Portalen und einer beweglichen provisorischen Bühne aus Metall-Traversen. Diese Bühne auf der Bühne wandert durch alle vier Akte. In Babylon wandelt sich die Kulisse durch Projektionen auf einen Gazevorhang zum Theatersaal, in dem die frisch an die Macht gekommene Abigaille sich feiern läßt. Keine babylonischen Gärten, fast gar kein Dekor, wenig Requisiten, wenig Bezüge.

Regisseur Dietrich W. Hilsdorf hält sich im Finale nicht an das Libretto, sondern an Soleras Vorlage, die aber von Verdi und Solera entsprechend dem jetzt vorliegenden Libretto der Oper verändert worden war. Hilfsdorfs Version läßt offen, ob Nabucco überhaupt wieder zu Verstand kommt. Auch das Götzenbild wird nicht vom Sockel gestoßen; stattdessen rollt Fenenas Kopf. Doch sie erhebt sich wieder und lebt. Nabucco wird, noch bevor der Vorhang fällt, vom babylonischen Hohepriester entmachtet, während Verdis Musik zeitgleich Jehova und den König preist.

Die Kostüme von Renate Schmitzer sind schön und opulent für die Babylonier, die Hebräer, inklusive Ismaele verschmelzen zu einer grauen Masse.

Sänger und Orchester

Unter der Leitung von Alessandro Zuppardo sind die inbrünstigen wie auch die leisen Chorpartien ein musikalischer Höhepunkt. Selbst der zur italienischen Freiheitshymne gewordene Gefangenenchor Va pensiero, sullʾali dorate – Flieg, Gedanke, auf goldenen Flügeln wird sensibel und ohne unnötiges Pathos vorgetragen. Mit starker Bühnenpräsenz verkörpert die Sopranistin Amarilli Nizza (Abigaille) die rasende Nebenbuhlerin Fenenas. Sie verfügt über den für diese schwierige Gesangsvorlage nötigen Stimmumfang und schafft problemlos den Sprung vom hohen, dreigestrichenen zum kleinen, eingestrichenen C in Ben io tʾinvenni – Schlecht hat der König. Ihre ekstatischen Ausbrüche bestechen durch gekonnt vorgetragene Koloraturen und eine enorme Tragfähigkeit der Stimme. Einzig in den zerbrechlichen Momenten Anchʾio dischiuso un giorno – Auch ich wär gern gütig verliert ihr dramatischer Sopran an Intensität. Arutjun Kotchinian (Zaccaria) beschwört die Hebräer mit einem sonoren, melodiösen Baß, dem zuweilen die Wucht für diese Partie fehlt. Gaston Rivero (Ismaele) ist ein Verdi-Tenor, wie man ihn sich wünscht: eine strahlende Stimme, mit geschmeidigem Timbre, die alle Passagen scheinbar mühelos zu nehmen weiß. Jean Broekhuiszen (Fenena) singt mit warmem, wohltönenden Mezzosopran und moduliert fein und sicher. Baßbariton Markus Marquardt (Nabucco) ist seiner Rolle darstellerisch wie stimmlich gewachsen und wird auch den Anforderungen des von Hilsdorf grob geändertem Finale gerecht.

Das Gewandhausorchester unter Anthony Bramall bringt die Nabucco-Partitur zügig und mitreißend zum Klingen. Einfühlsam werden die Stimmen begleitet und glänzende Instrumentalsoli lassen aufhorchen.

Fazit

Regisseur Hilfsdorf bietet eine Inszenierung, die Kontur und Tiefe vermissen läßt, ja beinahe ideenlos wirkt. Die Figuren verlieren sich in der riesigen Kulisse, die nicht viel mehr als die mobile Bühne zu bieten hat. Hilsdorfs Sichtweise auf das Stück erschließt sich nur schwer. Auch der Rückgriff auf eine die frühere Textvorlage des Finales tut der Oper keinen Gefallen. Die Riege der Solisten bildet zusammen mit dem Chor ein stimmiges Verdi-Ensemble.

Es gab viel Beifall für die musikalische Leistung des Leipziger Auftakts zum Verdi-Jahr.

Norma Strunden

Bild: Kirsten Njihof

Das Bild zeigt: Die gefangenen Hebräer

 

 

 

 

 

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