Bonn, Opernhaus – DAS PARISER LEBEN – LA VIE PARISIENNE

von Jacques Offenbach (1819-1880) Opéra-bouffe in fünf Akten; Libretto: Henri Meilhac und Ludovic Halevy; UA 31. Oktober 1866, Theatre du Palais Royal, Paris. Bonner Fassung: Bernd Wilms
Regie: Andrea Schwalbach, Bühne: Anne Neuser, Kostüme: Stephan von Wedel; Licht: Max Karbe, Choreographie: Rafaele Giovanola
Dirigent: Wolfgang Lischke, Beethoven Orchester Bonn, Chor des Theaters Bonn, Choreinstudierung: Ulrich Zippelius;
Solisten: Roland Silbernagl (Baron de Gondremarck), Nina V. Vodop’yanova (Baronin de Gondremarck), Tansel Akzeybek (Gardefeu), Paul Brady (Bobinet), Anjara I.Bartz (Metella), Klaus Brantzen (Frick), Julia Novikova (Gabrielle), Julia Kamenik (Pauline), Günter Alt (Madame de Quimper-Karadec), Mark Rosenthal (Der Brasilianer), Marianne Freiburg (Leonie). Ulrike Gmeiner (Louise), Brigitte Jung (Clara), Jeannette Katzer (Josephine), Anna Schwentner (Caroline), Katrin Schyns (Augustine), Annabel Cuny (Albertine), Bärbel Stenzenberger (Charlotte), Ladislav Rajn (Henri), Olaf Reinecke (Pierre)
Besuchte Vorstellung: 16. November 2008 (Premiere)

Vorbemerkungen
bonn-das-pariser-leben.jpgJacques Offenbach gilt in Deutschland publikumswirksam als Operettenkomponist, da es für die von ihm bevorzugte Gattung der mehraktigen Opéra-bouffe keine adäquate deutsche Bezeichnung gibt. Offenbachs „Operetten“ sind durchweg Einakter in der Bedeutung „Kleine Oper“. Der Wortwitz der französischen Librettisten Meilhac und Halévy läßt sich nur schwer ins Deutsche übertragen, so daß man sich in Bonn zu der deutschsprachigen Fassung mit manchen Platitüden von Bernd Wilms entschloß, obwohl der Text häufig nicht zu verstehen war. Die neue Offenbach Edition von Christophe Keck bildet die Grundlage für die musikalische Einstudierung. Von den verschiedenen dort angegebenen Versionen stellt die Oper Bonn eine sinnvolle und überzeugende Fassung zusammen, die das unüberschaubare Durcheinander doch nicht ganz entwirren kann.
Kurzinhalt
Mit Schiff, Flugzeug und TGV treten Baronin und Baron de Gondremarck aus Schweden ihre Reise an, um das elegante Paris, aber auch das anrüchige Pariser Leben kennen zu lernen. Am Gare de l’Ouest bietet der Lebemann Gardefeu seinen Dienst als Fremdenführer an und geleitet die ahnungslosen und erwartungsfreudigen Schweden in sein Palais als feinere Filiale des Grandhotels, wo die fröhliche Table d’hôte einen Vorgeschmack auf das rauschende Fest im Haus der abwesenden Madame de Quimper-Karadec am folgenden Abend bietet. Dieses Fest möchte der Baron natürlich ohne seine Gattin genießen. Die exquisit verkleidete Dienerschaft mimt vornehme Pariser Lebensart, die im Champagnerrausch, mit Hochwerfen der Beine und Einblicken in die Rüschenunterwäsche sowie mit einer jener Galopps endet, die ja erst nach Offenbachs Tod mit Cancan bezeichnet wurden. Der ganze Schwindel fliegt auf, als unerwartet die Hausherrin Madame de Quimper-Karadec in der „Lasterhöhle“ erscheint. Baron de Gondremarck erkennt zornig den Streich, den man ihm gespielt hat, während sich die Baronin zur eleganten Pariser Dame aufgeschwungen hat: Wunderbar! Das Pariser Leben!
Aufführung
Trotz Flugzeug und TGV erleben wir eine Reise in nostalgische Vergangenheit. Anne Neuser deutet mit ihren Bühnenbildern den Beginn des industriellen Zeitalters an mit zahlreichen Räderwerken, die zusammen mit den köstlich exotisch bemalten Wänden der Innenräume und der winterlichen Eisbahn sowie den Kostümen von Stephan von Wedel einen herrlichen Rahmen für die fast revueartige Regie von Andrea Schwalbach bieten. Sie verlangt den Darstellern einen bewundernswerten Körpereinsatz ab, der trotzdem noch das Singen zuläßt. (Auf den Proben soll es sogar Verrenkungen und Zerrungen gegeben haben.) Gelegentlich schleicht sich vor allem bei den Dialogen Langeweile ein und nach der Pause kommt erst richtig Schwung auf mit den anrüchig-hinreißenden Tanzszenen.
Sänger und Orchester
Wolfgang Lischke und das Beethovenorchester Bonn bieten gleich mit der Ouvertüre den federnden und rhythmisch geprägten Offenbach-Klang und eine mitreißende Schlußsteigerung. Leider erfüllen sich die gehegten Erwartungen nicht immer, manches gerät zu pauschal oder geht im Bühnentrubel unter.
Aber Wolfgang Lischke hält Orchester und Bühne mit sicherer Hand zusammen, was bei quirligen Szenenabläufen nicht selbstverständlich ist. In der Pariser Uraufführung waren alle Rollen mit Ausnahme der Gabriele mit singenden Schauspielern besetzt. So ist es durchaus legitim, daß die Oper Bonn diese Tradition mit einem Opern- und Schauspielensemble berücksichtigt. Roland Silbernagl als Baron de Gondremarck setzt mit seiner leicht angerauhten Stimme mehr auf Sprechgesang, einige Intonationstrübungen werden durch sein Spiel ausgeglichen. Nina V. Vodop’yanova gestaltet mit leichter Stimme die Entwicklung der Baronin de Gondremarck von der schwedischen Landfrau zur mondänen Dame. Tansel Akzeybek und Paul Brady sind die Lebemänner Gardefeu und Bobinet mit noblen Stimmen. Als Metella – eine Rolle, die selbst eine Regine Crespin nicht verschmähte – begeistert Anjara I. Bartz mit ihrem geheimnisvollen Walzer-Rondeau Um Mitternacht beginnt das Fest, eine der schönsten Melodien Offenbachs. Julia Novikova bietet höhensichere Koloraturen und eine gemütvolle Tyrolienne. Julia Kamenik ist stimmschön im Duett mit dem Baron. Madame de Quimper-Karadec, eigentlich ein Mezzosopran, übernimmt Günter Alt mit wuchtiger Gestalt, urkomischem Spiel und rauhem Sprechgesang, die in der Liebesnacht Gelächter hervorrufen. Mark Rosenthal als Brasilianer kann es kaum erwarten, in Paris zu sein. Sein Auftritt geriet nicht so effektvoll wie Offenbach ihn angelegt hat, aber hier mag der etwas schwerfällige deutsche Text mitgespielt haben. Klaus Brantzen singt den Schuster Frick, der zum Tafelmajor aufsteigt und mit seinem gassenhauerähnlichen Couplet Ich bin der Major überzeugt. Den zahlreichen kleineren Rollen der Dienerschaft darf man ein Pauschallob als temperamentvolles und stimmschönes Ensemble aussprechen. Auch die Tänzer sorgen für Pariser Charme und Atmosphäre.
Fazit
Jubel und Begeisterung eines Publikums, das seine Paris-Vorstellungen bestätigt fand, für Offenbachkenner eher enttäuschend und bisweilen in Klamauk ausartend. Auf jeden Fall ein Kassenmagnet für die tollen Tage. Ist es für manche auch der Volkstrauertag, an dem die Premiere stattfand?

Hans-Georg Büchel
Bild: Thilo Beu
Das Bild zeigt: Schuster Frick (Klaus Brantzen) Schuster Frick bringt Gabriele (Julia Novikova)
auf dem Akkordeon ein Ständchen. Oben in der Szene zwei Tänzer des Ensembles.

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