Bonn, Opernhaus – ORLANDO FURIOSO

von Antonio Vivaldi (1678-1741), Dramma per Musica; Libretto: Grazio Braccioli nach dem gleichnamigen Epos von Ludovico Ariost (1532). UA: Herbst 1727, Teatro Sant’Angelo, Venedig. Regie: Aurelia Eggers, Bühnenbild: Andreas Wilkens, Kostüme: Brigitta Lohrer-Horres
Dirigent: Rubén Dubrovsky, Beethoven Orchester Bonn, Chor des Theaters Bonn, Continuo: Grigory Alumyan, Markus Rundel (Violoncello), Solisten: Mariselle Martinez (Orlando), Anna Virovlansky (Angelica), Susanne Blattert (Alcina), Katrin Wundsam (Bradamante/Alderico), Julia Novikova (Medoro), Terry Wey (Ruggiero), Lee Poulis (Astolfo), Statisterie.
Besuchte Vorstellung: 19.Oktober 2008, Dauer 3 ¼ h. (Premiere)

Kurzinhalt
bonn-olando-furioso.jpgVivaldi wählte einen bekannten Stoff seiner Zeit, auch Jean-Baptiste Lully hatte die Geschichte von der Liebe, dem Wahnsinn und der Heilung Orlandos, dem Gefährten Karls des Großen, für seine Oper Roland 1685 genommen. Vivaldis Librettist Braccioli verlegt die Handlung einzig auf eine Insel. Alle, die auf das Domizil der Zauberin Alcina kommen, verfallen ihrer Liebe. Ihre Zauberkraft ist an den Besitz einer Urne mit dem Geist des Zauberers Merlin gebunden. In Alcinas Welt treffen die schöne Prinzessin Angelica, die den Sarazenenfürsten Medoro liebt und Orlando ein. Letzterer folgt einer Prophezeiung, daß er durch die Entwendung der Urne Liebe und Glück zu der angebeteten Angelica finden würde. Astolfo, Vetter Orlandos, ist durch Zauber Alcina verfallen. Alcina behext auch Ruggiero, der daraufhin seine Gattin Bradamante nicht mehr erkennt. Angelica versucht den in wilder Liebe zu ihr erbrannte Orlando umzubringen, er überlebt. Bradamante, Ruggiero und Astolfo wollen Alcina ihrer Macht entreißen. Orlando wird durch gute Feen und den Kuß Angelicas von seinem Liebeswahn befreit und findet zu sich selbst.
Aufführung
Eine weiße, quadratische Erhebung – die Insel der Alcina – liegt vor dem projizierten Hintergrund eines mediterranen Meeresausblickes, der sich im Verlauf in ein blutrotes Blumenfeld ändert und einem Himmel, der zwischen Schönwetterwolken und grauen Unwetterwolken variieren wird. Die Kostüme sind von barocker Schnörkellust inspiriert, farblich gut aufeinander abgestimmt und – wie später in den wenigen Chorszenen zu sehen – fantasievoll anzuschauen. Eine stilisierte Zauberwelt tut sich auf, die Meereswogen sind mit wilden Farbstrichen auf der begrenzenden, weißen Wand angedeutet.
Um sich in die Musik, von einem verkleinerten Beethovenorchester gespielt, akustisch einzuhören braucht es eine Weile, denn der Raum schluckt einiges an Klang. Alcina und Angelica gehen der gepflegten Langeweile nach. Ein Sofa, blaue, rote, langstielige Rosen. Orlando erscheint auf einem übergroßen goldenen Roß in der Szene. Wir erinnern uns an den legendären Auftritt von Marilyn Horne auf einem Pferd aus Fleisch und Blut. Das Spiel um Liebe und Eifersucht beginnt mit schauspielerischem Eifer. Alcinas Entmachtung, die mit dem Zerstreuen der Asche ihren Höhepunkt findet, nimmt ihren Lauf. Am Ende ist sie grau und geschwächt und Orlando besonnen und erlöst.
Sänger, Orchester
Die Titelpartie war mit der chilenischen Mezzosopranistin Mariselle Martinez (Orlando) bestens besetzt. Sie sang ihre Koloraturen mit wendiger Stimme und großem Ausdruckswillen, darüber hinaus ist sie eine grandiose Schauspielerin. Katrin Wundsam (Bradamante/Alderico) und Julia Novikova (Medoro), sowie Anna Virovlansky (Angelica) und Susanne Blattert (Alcina) gaben den Rezitativen und Arien Form und Farbe. Lee Poulis warmer Bariton verlieh Astolfo profunde Tiefe und wendige Koloraturen und der geschmeidige Counter von Terry Wey in der Rolle des Ruggiero war besonders hörenswert. Als Darsteller überzeugen sie alle.
Fazit
Diese Inszenierung ist ein Bekenntnis der relativ kurzfristig für den erkrankten Werner Schroeter eingesprungenen Aurelia Eggers zum viel zu selten bedachten Genre der Barockoper. In Bonn hat man jedoch mit den von Dietrich Hilsdorf inszenierten Händel-Oratorien Saul und Belshazzar eine kleine Barocktradition. Die Aufführung geht jedoch mit der Instrumentierung Kompromisse ein. Die Frage nach den mühsam gewonnenen Erkenntnissen um die Transparenz historischer Aufführungspraxis drängt sich geradezu auf. Was sollen dann Laute und Cembalo inmitten eines modernen Orchesters? – Doch der inspirierte Dirigent (Rubén Dubrovsky) macht das Möglichste daraus und seine Vorarbeit ist hörbar. Das winzige Follia-Zitat betont er euphorisch mit eigenhändig mitgespielter Gitarre, sowie rasselnden Kastagnettenklang. Darüber hinaus sind Solobläser – zu Recht – auf der Bühne positioniert. Längen in der Inszenierung entstehen im ersten Teil, der insgesamt eher statisch in Szene gesetzt ist und den streng gesetzten Abfolgen Rezitativ, Da-Capo-Arie folgt. Hervorstechende Ausnahme die Liebesszene zwischen Alcina und Ruggiero, deren Schaukeln auf dem Scheinwerferhalter die Innigkeit der Musik unterstreicht. Gelungen ist nicht zuletzt die Umgarnungsszene der Angelica, die Orlando vermeintlich umbringt: Sie säuselt schönste Worte und schnürt ihn dabei fest ein. Im zweiten Teil rast Orlando. Ein akrobatisch talentierte Statist wird zu seinem Alter Ego und ermöglicht den darstellerischen Ausdruck seiner Aufgewühltheit. Insgesamt betrachtet handelt es sich jedoch um eine, vor allem im zweiten Teil, runde Aufführung, an die instrumental jedoch keine historisierenden Maßstäbe angelegt werden sollten.

Felicitas Zink

Bild: Thilo Beu
Das Bild zeigt: Angelica (Anna Virovlansky) will Medoro (Julia Novikova)
vor der eifersüchtigen Raserei Orlandos (Mariselle Martinez) schützen (von links nach rechts).

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