Hamlet – Paris Opéra-Comique

von Ambroise Thomas (1811-1896) Oper in fünf Akten, Libretto: Michel Florentin Carré und Jules Paul Barbier nach dem Schauspiel (1847) von Alexandre Dumas d.Ä. und François Paul Meurice, nach The Tragical History of Hamlet, Prince of Denmark (1602) von William Shakespeare

UA: 9. März 1868 Paris, Opéra, Salle de la rue le Peletier

Regie: Cyril Teste, Bühne: Ramy Fischler Kostüme: Isabelle Deffin, Dramaturgie Leila Adham, Licht: Julien Boizard, Conception Vidéo: Nicolas Dorémus, Mehdi Toutain-Lopez

Dirigent: Louis Lengrée, Orchestre des Champs-Élysées, Choreinstudierung. Joël Suhubiette

Solisten: Stéphane Degout (Hamlet), Sabine Devieilhe (Ophélie), Laurent Alvaro (Claudius), Sylvie Brunet-Grupposo (Gertrude), Julien Behr (Laërte), Jérôme Varnier (der Geist von Hamlets Vater)

Kevin Amiel (Marcellus, 2. Totengräber), Yoann Dubruque (Horatio, 1. Totengräber), Nicolas Legoux, (Polonius, Oberkämmerer) Chor der Luftgeister

Besuchte Aufführung: 17. Dezember 2018 (Premiere)

Coproduktion mit Collectif MXM, Opéra Royal de Wallonie, Croatian National Theatre in Zagreb.

Opéra-Comique ist Teilnehmer beim Beijing Music Festival

Vorbemerkung

Im Jahr 1868 schrieb Ambroise Thomas Hamlet, eine Grand Opéra, die großen Erfolg in Frankreich und in Europa, aber weniger in Deutschland hatte. Gerade wurde Hamlet zum einhundertsten Mal aufgeführt, als die salle de la rue le Peletier (Académie royale de musique)  am 28. Oktober 1873 ein Raub der Flammen wurde. Danach beeilte man sich, den unweit der Salle le Peletier gelegenen Bau des Palais Garnier im Jahr 1875 fertigzustellen. Doch die Hamlet Aufführungen waren unterbrochen und unterblieben fast vollständig bis in unsere Zeit. So ist es verständlich, daß die jetzige Aufführung von Hamlet eine große Attraktion besaß, was dazu führte, daß in der Opéra-Comique kein Sitz mehr frei war.

Kurzinhalt

Im königlichen Palast von Helsingör im späten Mittelalter in Dänemark feiert man die Hochzeit des neuen Königs Claudius mit Gertrude, der Witwe seines plötzlich verstorbenen Bruders. Diesem folgt er auf dem Thron. Im Beisein der beiden Freunde Horatio und Marcellus erlebt Hamlet auf der Esplanade des Schlosses das Erscheinen des Geistes seines Vaters. Nur Hamlet allein enthüllt er ein Verbrechen: der Bruder habe ihn mit Wissen der Königin vergiftet, indem er ihm Gift ins Ohr geträufelt habe. Die Ursache war eine geheime Liebschaft zwischen Königin Gertrude und Claudius. Der Geist fordert Rache gegenüber Claudius. Doch die Mutter sollte er verschonen.

Indem Hamlet eine geistige Verwirrung vortäuscht, kann er doch das Gewissen von Königin und Claudius beunruhigen. Er lädt eine Schauspielgruppe ein, die vor dem Königspaar und dem ganzen Hof die Mordtat in einer Pantomime darstellen soll. Als Hamlet zudem erfährt, daß Polonius, der Oberkämmerer des Königs, Mitwisser von Claudius ist, trennt er sich von Claudius‘ Tochter Ophélie, obwohl er sie sehr liebt. Ophélie wird darüber wahnsinnig und sucht den Tod in einem See.

Kurz bevor sich Hamlet vor Gram am Sarg Ophélies das Leben nehmen will, erscheint seines Vaters Geist und gemahnt ihn an sein Versprechen. Daraufhin ersticht Hamlet Claudius und wird zum König ausgerufen.

Aufführung

Auf dem Vorhang erscheint in großer Schrift: HAMLET, ACTE I. Dann folgen Vorspiel und Huldigungs-Chor der Hofleute, die den neuen König und die Königin hochpreisen.

Zu Beginn sieht man auf der Bühne drei nebeneinander angeordnete, gleichhohe, weiße Rahmen. Weiter gibt es drei Vorhänge, die in drei Abteilungen (vorne, mitten, hinten) die Bühne einzeln und nacheinander in die Abschnitte vorn, in der Mitte und hinten einhüllen.

Zwei Videoprojektionen zeigen die Personen in riesigen Nahaufnahmen übereinander. Die Aufnahmen werden von zwei Kamerafrauen aufgenommen. Das macht ein Opernglas eigentlich überflüssig. Liebe Leser, haben Sie das verstanden oder ist es verwirrend? Tatsächlich lassen sich die Bilder: vorne die Wirklichkeit, dann die Videoprojektionen, kaum blickmäßig bewältigen, denn die Zuschauer müssen dauernd von den präsenten Personen auf die Videoabgebildeten wechseln.

Sänger und Orchester

Mit leisem Trommelwirbel beginnt die Tragödie von Blutschande (Ehe zwischen Schwager und Schwägerin) und Brudermord. Präzis und mit deutlicher Artikulation entbieten die Hofleute (Chor) dem neuen Herrscherpaar ihre Referenz. Markig und stolz antwortet der König Claudius (Laurent Alvaro) und seine Frau, Königin Gertrude (Sylvie Brunet-Grupposo).

Hamlet (Stéphane Degout), der im Parterre rechts der Bühne in einem grauen Mantel von Opernbeginn an gestanden hatte, steigt zur Bühne hoch und eröffnet seinen Feldzug gegen Schicksal und König mit den Worten: Vains regrets! Mon père tombe sous les coups du destin aveugle et jaloux – vergebliche Trauer! … Mein Vater fällt unter den blinden und eifersüchtigen Schlägen des Schicksals.

Von Anfang an nimmt Stéphane Degouts Bariton den Zuhörer gefangen, gefangen durch die Eindringlichkeit seiner fokussierten Stimme, der Genauigkeit seiner Aussprache, der Rundung der Stimme, der er aber auch starke Männlichkeit verleihen kann. Schon in der folgende Szene mit Ophélie zeigt er, wie weich und biegsam er seinen Bariton einzusetzen vermag. Er ist die  Hauptstimme und eben die Hauptperson. Von ihm hängt Gedeih und Verderb des ganzen Opernverlaufs ab. Und Degout gelingt das über die Maßen vollendet. Dafür wird er mit häufigem Applaus gefeiert.

Den zweiten Höhepunkt erreicht ohne Abstriche Sabine Devieilhe (Ophélie), gleichermaßen in Aktion und Musik. Die im Belcantofach vielbeschäftigte, junge Französin setzt ihren Sopran zielsicher in jeder Stimmlage und für jede Simmung ein. Sie besitzt eine fabelhafte mezza voce: kaum zu glauben, wie sie in der Szene vor ihrem Suizid im Meer ihre Stimme scheinbar im Nichts verschwinden läßt, um sie in allmählichem Crescendo im schönsten Forte erklingen zu lassen! Dafür erhält sie den mächigsten Beifall des vollbesetzten Hauses.

Auch die anderen Rollen sind vorzüglich besetzt und ein Extralob noch einmal für den Chor Les éléments, nicht zu vergessen Dirigent Louis Lengrée mit dem Orchestre des Champs-Élysées, der die schwierige Partitur zum schönsten Hörerlebnis bringt.

Fazit

Regisseur Cyril Teste sollte hier besonders erwähnt werden. Hamlet, der seine Berühmtheit mehr durch Shakespears Bühnenstück erhält (es ist ja fast immer umgekehrt, daß nämlich die Oper einem Bühnenwerk Bekanntheit verleiht) steht im Ansehen als Musikwerk unter diesem. Daher ist der Inszenierung viel Aufmerksamkeit zu widmen.

Hier kann man man vieles der Problematik heutiger Aufführungsansichten mitbekommen. Cyril Teste hat auf jeden Fall eine dem Text ganau folgende Aufführung geliefert bis auf eine entscheidende Szene: des Königs weißes Hemd erscheint plötzlich blutdurchtränkt, und er singt: Je tombe frappé par l’épée d’Hamlet – ich sterbe durch Hamlets Schwert. Hamlet steht allerdings in einiger Entfernung. Hatte das auch mit Symbolismen zu tun?

Vieles seiner an Symbolen reichen Inszenierung kann man akzeptieren, obwohl manchmal der Eindruck aufkommt, einer Bühnenprobe ohne Kostüme beizuwohnen. Doch Cyril Teste hat wohl eine Abneigung gegen Kostüme, die oft als museal empfunden werden? Aber die Gestalt des Geistes von Hamlets Vater war ziemlich gewöhnungbedürftig. Ein Geist in grauem Pullover und Jeans? Wäre nicht etwas Geheimnisvolleres angebrachter?

Kurz: die Schwierigkeiten heutiger Inszenatoren sollten nicht immer dazu führen, auch das Publikum einzubeziehen. Vielleicht greift man da doch des öfteren daneben?

Dr. Olaf Zenner

Bild: DR Vincent Pontet

Das Bild zeigt: Stéphane Degout (Hamlet), Chor Les éléments

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