Siegfried – Chemnitz, Theater

von Richard Wagner (1813 – 1883), zweiter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen, Libretto: R. Wagner, mit deutschen Übertiteln, UA: 16. August 1876 Bayreuth, Festspielhaus

Regie: Sabine Hartmannshenn, Bühne: Lukas Kretschmer, Kostüme: Susana Mendoza

Dirigent: Felix Bender, Robert-Schuhmann-Philharmonie

Solisten: Daniel Kirch (Siegfried), Arnold Bezuyen (Mime), Ralf Lukas (Wanderer), Bjorn Waag (Alberich), Avtandil Kaspeli (Fafner), Simone Schröder (Erda), Christiane Kohl (Brünnhilde), Guibee Yang (Stimme eines Waldvogels).

Besuchte Aufführung: 29. September 2018 (Premiere)

Kurzinhalt

Siegfried wird vom Zwerg Mime großgezogen, ohne Respekt oder Furcht zu kennen. Wie es der Wanderer prophezeit, gelingt es dem Furchtlosen das Schwert Nothung aus Trümmern neu zu schmieden. Mimes Ziel ist es, Siegfried gegen Fafner aufzustacheln, damit er ihn töte und ihm den Ring verschaffe. Nachdem Siegfried den Riesenwurm getötet hat, bringt er den Ring an sich und erkennt durch das magische Drachenblut die wahren Ziele Mimes. Aus Zorn bringt er ihn um und macht sich auf zum Brünnhildenfelsen, um dort Brünnhilde zu erwecken und ihre Liebe zu erringen. Zuvor trifft er auf den Wanderer – den umherstreifenden Gott Wotan – und zerschlägt seinen Speer, der Wotan die Macht über die Welt sicherte. Wotan tritt ab und macht Siegfried so den Weg frei.

Aufführung

Wir befinden uns zeitlich irgendwo zwischen Heute und Endzeit. Die Kleidung stammt aus einer zeitlosen Altkleidersammlung und hat selbst für Wotan nur einen Schlapphut, einen langen Mantel und eine alte Hose bereit. Siegfried hingegen kann auf khaki-farbene Jacke, Hose und Wanderstiefel zurückgreifen. Runen schmiert man sich nicht nur auf den Oberkörper, sondern auch auf die stilisierten, rechteckigen Baumstämme des Waldes, die nur für den Brünnhildenfelsen am Schluß beiseite geräumt werden. Dazwischen lagern sich Statisten, die mit einer goldenen Maske entweder, wie der Chor, in einer griechischen Tragödie das Geschehen wortlos kommentieren, den Drachen nachformen sollen oder am Schluß als Fackelträger einen mageren Feuerzauber produzieren.

Sänger und Orchester

Daniel Kirch ist ein strahlender lyrischer Tenor, der unendlichen Melodie verbunden und Poesie ausstrahlend. In der Premiere schien er leicht angeschlagen, denn die Stimmeführung wirkte oft kehlig, eng geführt, in der Höhe manchmal nicht strahlend und in der Gesangslinie wie im Forte unsicher. Doch wer die Schmiedelieder durch alle Höhen und Tiefen im Forte stemmt und am Ende noch Kraft und Volumen hat, den Dialog mit Brünnhilde Leuchtende Liebe, lachender Tod durchzustehen, der zählt zur ersten Garde der Wagner-Tenöre. Seine Partnerin im Finale ist Christiane Kohl als Brünnhilde. Sie kann als jugendlicher Sopran die Dialog auf Augenhöhe gestalten, aber auch der Verzweiflung mit Durchschlagskraft und Lautstärke Raum verleihen. Ralf Lukas gestaltet den Wanderer mit viel Erfahrung (u.a. als Gunther in Bayreuth): Als sicher fundierter Baßbariton verfügt er über ein leuchtendes Timbre, ist auch immer wortverständlich – auch wenn die Schönheit der Durchschlagskraft mittlerweile etwas abgeht. Genauso altgedient ist Arnold Bezuyen: Mit seiner Erfahrung kann er die Rolle des Mime als Charakterfachstudie anlegen und nähert sich dem Sprechgesang immer mehr an. In der Höhe kann er geschickt kaschieren. Über ein großes Stimmvolumen verfügt Bjorn Waag. Mit kluger Gestaltung der Gesangslinie und Einsatz seiner Möglichkeiten gelingt es ihm, die kurzen Auftritte des Alberich äußerst wirkungsvoll als bösen Antihelden Alberich zu gestalten. Ebensolche Wirkung erzielt Avtandil Kaspeli (Fafner) als ein tiefensicherer Baß mit leicht schwarzer Stimme. Guibee Yang ist mit ihrem verspielten Koloratursopran mit warmer, technisch sauberer Stimme die richtige Besetzung für das hohe Gezwitscher des Waldvogels. Felix Bender arbeitet wunderbar mit den Sängern zusammen, gerade das Zusammenspiel in der Wissenswette zwischen Wotan und Mime und das Finale zwischen Siegfried und Brünnhilde bleibt in Erinnerung. Auch die Zusammenarbeit mit der Robert-Schumann-Philharmonie kann orchestral überzeugen. Es gelingt zum einen die klare Ausziselierung der Leitmotive, die monumentale Wucht Wagners wird harmonisch abgemildert. Zuerst zurückhaltend, aber dann bringen die Temposteigerungen Aufmerksamkeit und erregende Dynamik ins Spiel, wie z.B. beim Waldweben. Der vorwärtstürmende Siegfried (Vorspiel dritter Akt) leidet auch unter der Konterkarierung auf der Bühne, wenn Wotan, Erda und Brünnhilde durch die Reihen der Statisten und Bäume agitieren.

Fazit

„Kopf Runter!“ ruft das kleine Mädchen in der vorderen Reihe ihren beiden kleineren Brüdern zu. Somit bekommen die Kleinen nichts mit von der sinnlos-brutalen Vergewaltigung einer Statistin durch Alberich, der brutalen Kaiserschnittgeburt Sieglindes durch Mime und dem großen entstellten Bärenkadaver mit Fell und Klauen, aus dem Siegfried die Organe auf die Bühne wirft. Diesen aufwendigen Grusel-Teddybär wird kein Kindergarten haben wollen. Die Liebesszene zwischen Siegfried und Brünnhilde dagegen bleibt fast berührungs- und blickkontaktfrei und gerät absolut einfallslos: Siegfried wird Anzugträger. „Kopf Runter!“ ruft sie nicht, als das Regie-Team vor die Bühne tritt, aber einige Buh-Rufe müssen sie sich schon gefallen lassen – für eine über weite Strecken belanglose und langweilige Szenerie, in der „Frau Regisseurin“ der #Metoo-Bewegung nachläuft anstatt die Handlung der Personen aufzuzeigen. Ungehemmter Jubel hingegen für Orchester, Solisten und Dirigent, die nachweisen, daß auch alte Hasen respektive altgediente Solisten mit Bayreutherfahrung es noch drauf haben. Und ihren Rollen stimmlich Tiefe und Würde verleihen!

Oliver Hohlbach

Bild: Nasser Hashemi

Das Bild zeigt: Christiane Kohl (Brünnhilde), Daniel Kirch (Siegfried)

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