Peter Grimes – Göteborg, Oper

von Benjamin Britten (1913 – 1976), Oper in einem Prolog und drei Akten, Text von Montagu Slater nach einem Gedicht von George Crabbe, UA: 7. Juni 1945, Sadler’s Wells London

Regie: Netia Jones, Bühnenbild, Kostüme und Videodesign: Netia Jones und Lightmap, Lichtdesign: Ellen Ruge, Kostümassistentin: Sukie Kirk, Videoassistenz: Marc Lavallee, Kampfchoreograph: Peppe Östensson

Dirigent: Christoph Gedschold, Orchester und Chor der Oper Göteborg

Solisten: Joachim Bäckström (Peter Grimes), Matilda Sterby (Ellen Orford), Åke Zetterström (Captain Balstrode), Katarina Karnéus (Auntie), Sofie Asplund und Mia Karlsson (zwei Nichten), Mats Almgren (Swallow), Daniel Ralphsson (Bob Boles), Tobias Westman (Rev. Adams), Katarina Giotas (Mrs. Sedley), Kristian Lindroos (Hobson), Hannes Öberg (Ned Keene), Noa Flensner (Lehrling, stumme Rolle)

Besuchte Aufführung: 8. März 2025 (Premiere)

Kurzinhalt
Die Handlung spielt zu Beginn des 19. Jahrhunderts in dem kleinen Fischerdorf Borough an der rauhen englischen Ostküste. Der Fischer Peter Grimes ist angeklagt, den Tod seines Lehrlings verschuldet zu haben, was ihm jedoch nicht nachzuweisen ist. Die Stimmung im Dorf wird ihm gegenüber immer feindseliger, lediglich die Lehrerin Ellen Orford und der alte Captain Balstrode halten noch zu ihm. Grimes hat vor, durch harte Arbeit genug Geld für eine sichere Existenz auf dem Lande zu verdienen und Ellen zu heiraten. Als er einen neuen Lehrling bekommt, führt er ihn mit großer Strenge in sein Handwerk ein. Die Dorfbevölkerung beginnt unruhig zu werden, und wütend zieht man zu Grimes’ Hütte, der seinen Lehrling so unbedachtsam hinausscheucht, daß er die Klippen hinunterstürzt und stirbt. Grimes verschwindet für ein paar Tage. Nach einer Mittsommernachtsfeier macht sich der rasende Mob angestachelt von Mrs. Sedley erneut auf, um ihn zu stellen. Grimes setzt die Segel und versenkt sein Boot draußen auf dem Meer.


Aufführung
Das Bühnenbild kombiniert realistische Kostüme und Andeutungen von Hafen- und anderen einfachen Gebäuden mit grobkörnigen Videoprojektionen. Wir befinden uns im England der Gegenwart, in einem sozial schwachen Milieu. Da ist Ned Keene, gesungen von Hannes Öberg, der in seinem grauen Trainingsanzug mit seinen Tätowierungen so gar nicht wie ein Apotheker, sondern wie ein Dealer aussieht und Mrs. Sedley, gespielt von Katarina Giotas, mit Laudanum versorgt. Da sind die verschmierten Arbeitskleider der Arbeiterinnen, die in der Fabrik die angelieferten Fische ausnehmen, die Fischkisten, Eimer, Kanister aus Plastik und seelenlosen Gebäude aus Wellblech und Holz. Am Hafen steht ein Kran, die eingespielten Videos zeigen keine erhabenen Bilder des Meeres, sondern Klippen, Netze und ein ertrinkendes Kind. Im Prolog und den ersten zwei Akten ist das Farbspektrum realistisch grau und düster. Lediglich bei Ellen Orfords hoffnungsvollem Monolog im ersten Akt ist für ein paar Momente blauer Himmel zu sehen. Die Mittsommernachtsfeier bietet hingegen ein apokalyptisch anmutendes Bild mit feuerroten, phantastischen Kostümen der Choristen und Solisten vor Flammen auf schwarzem Grund.

Sänger und Orchester
Diese Produktion hat in Gestalt von Joachim Bäckström (Peter Grimes), Matilda Sterby (Ellen Orford) und Åke Zetterström (Captain Balstrode) drei ausgezeichnete Sänger der tragenden Rollen. Bäckströms Tenorstimme spricht leicht an, er intoniert glasklar, verfügt über eine schlackenfreie Tongebung und gestaltet seine anspruchsvolle Partie rhythmisch sicher und dynamisch ausgeglichen. Seine musikalische Darbietung gerät vielleicht etwas zu sauber, zu perfekt, wenn man das überhaupt so sagen kann, und das Gequälte und Getriebe, das diesen Charakter auszeichnet, kommt abgesehen von den sprechnahen Abschnitten ausschließlich in seiner szenischen Verkörperung zum Tragen. Das im Falsett gesungene, träumerische Arioso „Now the Great Bear and Pleiades“ im ersten Akt war ein lyrischer Höhepunkt. Intonatorisch tadellos sang er seine teilweise langen A-Cappella-Passagen, insbesondere die mit Sterby im Duett vorgetragene im ersten Akt. Sterby hat eine große Stimme, die durchaus für hochdramatische Partien taugt, hält sich aber gekonnt zurück, um ihre ganze Kraft für die verzweifelten Momente oder die Chortuttis aufzusparen, in denen sie heraussticht. Ihr Spiel war ergreifend und die Regie machte sie zu derjenigen Figur, mit der man sich im Gegensatz zum verbissenen Grimes am besten identifizieren konnte. Zetterström singt und agiert vorzüglich. Seine Tongebung und sein natürliches Spiel schufen einen glaubhaften Charakter, und die oft quasi-sprecherischen Teile seiner Partie waren deutlich sowohl von der Diktion als auch der sprechnahen Modulierung des Stimmklangs her mustergültig. Alle drei Sänger sprachen sehr gut aus und dies passenderweise der britischen Phonetik des Englischen gemäß. Wenn der Personenregie in dieser Produktion etwas gelang, dann die Personencharakterisierung. Selbst kleine Rollen wie die von Kristian Lindroos gesungene Partie des Hobson oder die von Daniel Ralphsson gesungene des Bob Boles bekamen Tiefe und Individualität. Hobsons Wandlung von einem in sich gekehrten, wortkargen Dorfbewohner zu einem Anheizer des Mobs – im zweiten Akt schlägt er mit einer Eisenstange den Trommelpart auf einem Plastikkanister – und Boles‘ linkische, aufdringliche Art, die ihm dank seiner Hetze gegen Grimes von der mordlüsternen Dorfgemeinschaft nachgesehen wird, die ihn zu einem ihrer Anführer kürt, waren ebenso realistisch herausgearbeitet wie das individuelle Spiel der Choristen. Wer auch immer für die Choreographie verantwortlich war – im Programm ist kein allgemeiner Choreograph erwähnt –, gab dieser Produktion ihr entscheidendes Gepräge, denn der das Dorf verkörpernde Chor wird zum eigentlichen Hauptakteur der Handlung. Zwischen Lethargie, billigem Exzeß und Brutalität changierend hatten alle Choristen individuell zu agieren und viele Interaktionen auszuführen und dabei die alles andere als einfache oder eingängige, oft rhythmische komplexe polyphone Musik vorzutragen. Das gelang ohne Zwischenfälle. Das Orchester der Oper Göteborg unter der Leitung von Christoph Gedschold bemühte sich nach Kräften. Damit ist gemeint, daß die Anstrengung der Interpretation der schwierigen Stimmführung und der häufig rubato zu spielenden Passagen der Partitur hörbar wurde. Erschwerend hinzu kommt eine akustische Besonderheit des Saales. Der sehr offene Orchestergraben in Verbindung mit der großen Deckenhöhe führt dazu, daß vor allem das Blech schnell grell klingen kann und die anderen Register übertönt. Der Dirigent machte aus dieser akustischen Not eine Tugend und setzte sehr markante dynamische Höhepunkte, auch, aber nicht nur in den berühmten Orchesterzwischenspielen. So fehlte es einerseits der leisen Introduktion zum letzten Akt – die das ruhige nächtliche Meer schildert – ein wenig an mystischer Spannung, andererseits rollten die Gezeiten zu Beginn und Ende der Oper, wenn der Orchesterpart das Morgengrauen über dem Meer wiedergibt, umso gewaltiger durch den Saal. Und vollkommen packend waren die homophonen „Peter Grimes!“-Schreie des Chores, in deren Generalpausen man die aufgebrachte Menschenmasse keuchen hören konnte.

Fazit
Die Göteborger Oper bietet eine musikalisch kraftvolle und szenisch realistische – d.h. nicht beschönigende oder idealisierende – Deutung dieser Oper. Zu hören sind einige der besten Sänger, die man derzeit in Schweden erleben kann. Die Geschichte vom Scheitern eines ehrgeizigen Außenseiters bei seinem verzweifelten Bemühen um Anerkennung wird in die Gegenwart verlegt. Das Regiekonzept, mit welchem die musikalische Interpretation Hand in Hand geht, zeigt auf, daß es sich bei dieser Oper in mehrfacher Hinsicht um ein zeitloses, ein aktuelles Werk handelt. Wenige Opernhäuser dürften dabei als Ambiente besser geeignet sein als das direkt am Göteborger Hafen gelegene. Das Publikum war zu Recht begeistert.

Dr. Martin Knust

Bild: Cordula Treml

Das Bild zeigt: Matilda Sterby (Ellen Orford) und Chor der Oper Göteborg

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