Les Huguenots – Die Hugenotten – Paris, Opéra Bastille

Les Huguenots – Die Hugenottenvon von Giacomo Meyerbeer (1791-1864), Libretto: Eugène Scribe und Émile Deschamps, UA: 29. Februar 1836 Paris, Opéra, Salle de la rue Le Peletier

Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne: Harald B. Thor, Kostüme: Tanja Hofmann, Licht: Andreas Güter, Choreographie: Zenta Haerter, Choreinstudierung: José Luis Basso

Dirigent: Michele Mariotti, Orchester und Chor der Opéra national de Paris

Solisten: Lisette Oropesa (Marguerite de Valois), Yosep Kang (Raoul de Nangis, protestantischer Edelmann), Paul Gay (Graf von Saint-Bris), Ermonela Jaho (Valentine, Tochter von Graf de Saint-Bris), Karine Deshayes (Urbain, Page von Marguerite de Valois), Nicolas Testé (Marcel, Diener von Raoul), Julie Robard-Gendre (Ehrendame von Marguerite/Zigeunerin), François Rougier (Cossé, kath. Student), Florian Sempey (Graf von Nevers), uva.

Besuchte Aufführung: 28. September 2018 (Premiere)

Vorbemerkung

Eine der Hauptfiguren in Meyerbeers Oper ist Königin Marguerite de Valois, die einzige Thronerbin des französischen Königsthrons. Nach dem Tod ihres Bruders, König Heinrich III. (Sohn Heinrichs II. u. Enkel Franz‘ I.), heiratete sie König Heinrich von Navarra, später Heinrich IV. Er war Hugenotte, der später katholisch wurde (Paris ist eine Messe wert!). Schon Heinrich III. wollte eine Aussöhnung der Katholiken mit den Hugenotten. Und das war auch die Absicht der Ehe von Marguerite mit Henri IV. Die Zwietracht beider Religionsgemeinschaften ergab mehrere Kriege untereinander. Und für kurze Zeit erstarkten die Kräfte, die keine Versöhnung wollten. Es kam daher zu mehreren Massakern, am blutigsten in die Nacht vom 23. zum 24. August 1572 (Bartholomäusfest, in Frankreich genannt Massacre de la Saint-Barthélemy), wobei Tausende Hugenotten ermordet wurden, darunter Admiral Gaspard II. de Coligny, Anführer der Protestanten. In einer anderen Bezeichnung heißt sie Pariser Bluthochzeit, weil es der Vorabend zur Hochzeit von Margarete von Valois mit Henri IV war.

Außer dem Schluß der Oper Die Hugenotten sind alle Szenen freie Erfindung. Meyerbeer war im übrigen der Auffassung, daß der geschichtliche Hintergrund der Oper mehr Qualität verleihen würde.

Diese Ansicht war sicher richtig, war man doch im 19. Jahrhundert der Meinung, daß man die eigene Gegenwart nur durch das Zusammenbringen von Gegenwart und Vergangenheit ganz verstehen könne. Daher war es wichtig, die geschichtlichen Abläufe darzustellen, womit die Vergangenheit gegenwärtig wurde. Und die Geschichtskenntnis ist geradezu entscheidend zum Verstehen aber auch zum Genießen dieser Oper.

Meyerbeer griff dabei auf die Form der sogenannten Grand Opéra zurück, die er mit seine Oper Robert le diable – Robert der Teufel (1831) geschaffen hatte.

(Hinweis: Im OPERAPOINT werden wir in einiger Zeit die Form der Grand Opéra darstellen.)

Kurzinhalt

Der katholische Graf von Nevers hat den Hugenotten Raoul de Nangis zu einem Fest auf sein Schloß eingeladen. Das Fest hat gerade begonnen, als ein Bote von Prinzessin Margerite erscheint, um Raoul einen Brief mit einer Einladung für einem unbekannten Ort auszuhändigen. Den sollte er mit verbundenen Augen erreichen.

Aber während das Fest abläuft, beobachtet die Festgesellschaft durch ein geheimes Fenster den Besuch von Valentine de Saint-Bris mit Graf Nevers. Diese ist gekommen, um ihn um die Auflösung ihrer Verlobung zu bitten, die allein ihr Vater verlangt. Nevers ist damit einverstanden. Raoul erkennt in Valentine die schöne Dame, die er in Amboise vor der Zudringlichkeit von Studenten in Schutz genommen hatte, wobei er sich in die schöne Unbekannt verliebt hat.

Raoul kommt also mit verbundenen Augen auf das Schloß Chenonceau, das an der Loire liegt. Hier trifft er Prinzessin Marguerite. Dorthin war auch Valentine eingeladen worden. Marguerite will Raoul und Valentine in einer Ehe vereinigt wissen in der Absicht, durch die Ehe als einer versöhnenden Tat die Streitigkeiten zwischen den beiden Religionsgemeinschaften zu verbessern.

Doch Raoul hat gegenüber Valentine den Verdacht, sie sei Graf Nevers‘ Geliebte gewesen und lehnt daher strickt die Verlobung ab. Darüber sind alle verärgert und erbost. Valentines Vater, Graf von St.-Bris, beleidigt in seiner Wut Raoul, der ihn daraufhin zum Duell auffordert. Als Ort des Duells wird eine für Duelle bekannte Wiese in Paris bestimmt.

Saint-Bris setzt nun die Heirat zwischen Nevers und Valentine durch. Bezüglich des Duells mit Raoul plant Graf de St.-Bris mit einigen Gesinnungsgenossen auf der Duellwiese einen Hinterhalt. Das konnte durch Marcel, den Diener von Raoul, verhindert werden. Aber ein weiterer Überfall gegenüber den Hugenotten gelingt. Dabei werden alle sich in Paris aufhaltenden Hugenotten ermordet. Auch dabei sind Raoul, Valentine und Marcel.

Aufführung

Nach Öffnung des Vorhangs erblickt man einen rechteckigen Kasten in weißer Farbe, der die ganze Bühne einnimmt. Dieses rechteckige Gebilde ist in drei Etagen unterteilt. Im Hintergrund verlaufen zu jeder Ebene Treppen in diagonaler Anordnung. Die Gäste von Graf Nevers sind auf der zweiten Ebene mit Geländer geschützt. Der Gastgeber ist in einen intensiv roten, hochgeschlossenen Gehrock mit weißem Spitzenstehkragen gekleidet. Ein Schwert ziert seine rechte Seite. Ähnlich gekleidet, nur weniger prächtig, sind seine Gäste. Dazwischen erblickt man einige schwarz gekleidete schlanke Frauen, die in angedeuteten Aktionen mit Männern in Aktion treten.

Im zweiten Akt, im Schloßgarten von Chenonceau (so im Libretto), finden sich auf weiter Bühnenfläche zahlreiche bambusähnliche Gebilde. Dazwischen finden sich flache Wasserbecken. Von links führt eine Treppe in den Garten herab. Auf und ab bewegen sich verschiedene Personen. Zahlreiche Frauen in weiß-beigen, langen, schulterfreien Gewändern plaudern und spazieren in diesem japanischen Garten. Einige steigen von Zeit zu Zeit in die knietiefen Wasserbecken. Die Busen einiger Mädchen sind unbedeckt. In Szenenmitte erblickt man Königin Marguerite in tiefrotem, langem, schulterfreiem Kleid. In den weiteren Akten treten Nonnen und Mönche in roten und hellbraunen Kutten und Hauben, manche mit weißem Schultertuch auf. Die farbenfrohen Gewänder kontrastieren einerseits stark mit dem weißen Hintergrund, andererseits mit den durchweg schwarz gewandeten Hugenotten. Raoul trägt einen Gehrock in blauer Farbe und Marcels graugrüner Gehrock wird von einem breiten Ledergürtel umgürtet.

In den weiteren Akten dient das kastenförmige Gebilde meist teilweise als Szenenrahmen.

Sänger und Orchester

Der Auftritt so vieler Sängerinnen und Sänger erfordert eine Auswahl nach Rolle und Qualität des Gesangs. Dafür bitte ich um Verständnis. OPERAPOINT hat gegenüber vielen vergleichbaren Magazinen stets die Absicht, die Sängerschar mit ihren individuellen Eigenschaften als wichtigstes Element unserer Rezensionen hervorzuheben. Viele Rezensenten legen ihre Hauptaugenmerk öfter darauf, die jeweilige Inszenierung in den Vordergrund zu stellen, etwas, was sicher oft angebracht ist. Aber ist nicht der ausübende Musiker und die Sänger daneben von größerem Gewicht?

Hier ist von vornherein festzuhalten, daß man auf der großen Bühne der Opéra Bastille nicht allzuoft Stimmen mit solch hohem Können erlebt wie bei dieser Premiere, wobei es auch von Vorteil war, daß es nicht allzuviele Striche gab.

Beginnen wir mit der tiefsten Stimme, diejenige der Person des Marcel, der einen grundsatzfesten und verantwortungsvollen Hugenotten darstellt. Und das war in der Tat bei Nicolas Testé (Marcel) der Fall. Der gebürtige Franzose hat einen beneidenswert profunden, schwarzen Baß, den er mehrmals bis zur großen Oktav mit klarem, wohllautendem Ton hinunterführt. Für das Gefüge der Opernhandlung, der Auseinandersetzung zweier Religionsgemeinschaften der gleichen religiösen Wurzel, vertritt er die Grundfesten des neuen, des Calvinistischen Zweigs. Man weiß aus der Entstehung der Hugenotten, daß Meyerbeer selbst stark ins Libretto eingriff. Der Gegenpart wird von Paul Gay (Graf von Saint-Bris) mit wohltönendem Baß würdig vertreten.

Der Koreaner Yosep Kang als Raoul de Nangis, Marcels Chef, beweist schon in seiner Auftrittsarie Non loin des remparts d’Amboise – unweit der Stadtbefestigungen von Amboise … mit seinem hellen, offenen Tenor große Geschmeidigkeit und Eleganz. Seine Favoritin Valentine (Ermonela Jaho) beeindruckt mit klarem, lyrischem Sopran ohne Schärfen in den Fortestellen. Leider verunschönen einige Intonationstrübungen ihren im übrigen perfekten Gesang.

Florian Sempey als Graf von Nevers besitzt einen markanten Bariton. Hier aber zwingt er seine Stimme zu einem – zugegeben männlich wirkenden – Vibrato, das die für einen Bariton sehr tiefe Stimmführung wohl erfordert. In alten Klavierauszügen wird seine Stimme auch als Baß geführt!

Kommen wir zur sängerischen Überraschung dieser Premiere. Es ist die aus New-Orleans stammende Lisette Oropesa in der Rolle der Königin Marguerite de Valois. Vom Namen her vielleicht aus Südamerika stammend, ist sie ein wahres Stimmwunder. Ihre mit überreichlichen Koloraturfinessen ausgestattete Auftrittsarie zu Beginn des zweiten Akts, wo sie die Schönheiten der Loire-Landschaft besingt Ô beau pays de la Touraine – oh schönes Land der Touraine geht über zwölft Minuten! Sie setzt viel Einsatzkraft und Durchhaltevermögen voraus. Und beides besitzt Frau Oropesa reichlich. Schon der Beginn in mittlerer Stimmlage läßt aufhorchen: warmer lyrischer Klang, tadellose Aussprache. Mühelos schwingt sich ihr klarer Sopran in die höchsten Höhen hinauf. Wirklich überraschend und unvergleichlich ihre deutlichen Triller zum Ende der einzelnen Air-Abschnitte. Liebe Melomanen, suchen Sie nicht weiter nach der weltbesten Sopranistin. Hier ist sie!

Auch Meyerbeer hat sich hier in seiner Koloraturtechnik als ebenbürtig neben den verehrten Rossini gestellt, den er als seinen Lehrer ansah. Sie wäre eine geeignete Sängerin der Armida in Rossinis gleichnamiger Oper. Ihre Atemtechnik raubt einem selbst den Atem! Überwältigend sind ihre langangehaltenen Töne, keinerlei Schwierigkeiten bei den vielen Intervallsprüngen, Tonleitern, Arpeggien, Volaten und Vokalisen. Nur an wenigen Stellen kommen die geschwinden Noten nicht perlend genug. Dennoch: man kommt aus dem Staunen nicht heraus! Eine einmalige Sängerin! Das Haus tobt über eine Minute mit frenetischem Applaus.

Fazit

Mit großer ästhetischer Gewandtheit hat Regisseur Andreas Kriegenburg das Bühnenbild gestalten lassen. Doch stutzt man im zweiten Akt: wo findet sich ein japanischer Wald an den Ufern der Loire? Urbain, der die badenden Mädchen gerne beobachten möchte, kann sich hinter den schlanken Stämmen nicht verstecken. Meine diesbezügliche Frage gegenüber Herrn Kriegenburg beantwortete er entwaffnend: Sollte er auch nicht!

Geschmackssache ist der mit einem rechteckigen Kasten in drei Etagen unterteilte Ort am Opernanfang beim Fest von Graf von Nevers. Gegen Opernende schleicht sich ein Gefühl der Langweile ein durch diesen immer gleichen Bühnenaufbau. Ebenso ist diese stilisierte Darstellung ziemlich unterkühlt und distanziert sich stark bei den grausamen Szenen. Dadurch mangelt ein Mitgefühl des Zuschauers bei der Begegnung von Raoul mit Valentine und den letzten Szenen. Aber glücklicherweise gibt es keine der üblichen Bezüge zur heutigen Zeit, die andere Regisseure im Verlauf dieser Oper sicher benutzt hätten.

Die Opéra national feiert mit einem Jubiläumsjahr (27. 9. 2018 bis 31. 12. 2019) die 350jährige Geschichte der Académie royal de Musique. Am 28. Juni 1669 hatte Louis XIV. Pierre Perrin, dem königlichen Ratgeber, die Bewilligungsurkunde zur Gründung der Académie übergeben. Und seit Meyerbeers Hugenotten behauptet die Opéra national Paris noch immer bis heute ihre internationale Stellung innerhalb der Opernwelt.

Dr. Olaf Zenner

Bild: Agathe Poupeney, Opéra national de Paris

Bild 1 zeigt den Garten von Schloß Chenonceau (Touraine), von li nach re: Julia Robard-Gendre (La dame d’honneur) in violettem Kleid, Élodie Hache (Coryphée) in rotem Kleid, Lisette Oropesa (Marguerite de Valois) in goldfarbenem Gewand, Ermonela Jaho (Valentine) in grünem Kleid zwischen den japanischen Bäumen. Ganz re zwischen den Damen mit Augenbind in schwarzer Kleidung: Yosep Kang (Raoul)

Das 2. Bild zeigt im gleichen Akt die Szenen, in der Raoul Valentine als vermeintliche Geliebte von Graf von Nevers als Braut zurückweist, worüber alle erbost sind. Von li nach re: Yosep Kang (Raoul de Nangis), Lisette Oropesa (Marguerite de Valois), Paul Gay (Le Graf de Saint-Bris), Florian Sempey (Graf de Nevers), Ermonela Jaho (Valentine), sie umarmt Karine Deshayes (Urbain)

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