PARSIFAL – Wien, Staatsoper

von Richard Wagner (1813-1883), Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen, Libretto: Richard Wagner, nach dem mittelalterlichen Epos von Wolfram von Eschenbach. UA: 26. Juli 1882 Bayreuth, Festspielhaus

Regie, Bühne: Alvis Hermanis,: Kostüme: Kristine Jurjane

Dirigent: Semyon Bychkov, Orchester der Wiener Staatsoper, Chor, Extrachor und Kinder der Opernschule der Wiener Staatsoper (Chorleitung: Martin Schebesta)

Solisten: Gerald Finley (Amfortas), Jongmin Park (Titurel), Kwangchul Youn (Gurnemanz), Jochen Schmeckenbecher (Klingsor),  Christopher Ventris(Parsifal), Nina Stemme (Kundry), Monika Bohinec (Stimme aus der Höhe), u.a.

Besuchte Aufführung: 16. April 2017 (Ostersonntag)

Kurzinhalt

Amfortas leidet an einer Verletzung, die er bei dem Raub des heiligen Speers durch Klingsor erlitten hat. Nur durch die Berührung mit dem heiligen Speer ist Heilung möglich – durch „einen reinen Toren“. Gurnemanz hält Parsifal für den „reinen Tor“ und nimmt ihn mit in die Gralsburg. Als er sich getäuscht sieht, setzt er Parsifal vor die Tür. Parsifal findet den Zaubergarten Klingsors mit seinen verführerischen Mädchen. Als auch Kundry ihn nicht halten kann, versucht Klingsor ihn mit dem Speer zu bannen. Parsifal ergreift den Speer, der Zaubergarten versinkt. Parsifal kehrt zurück zu den Gralsrittern, die von Amfortas fordern, den Gral zu enthüllen, doch Amfortas will lieber sterben. Parsifal heilt die Wunde mit dem Speer und enthüllt den Gral.

Aufführung

Alvis Hermanis verlegt die Handlung in die Zeit der ersten Aufführung des Parsifals in Wien, die Gebäude der Wiener Sezession des Namensvetters Otto Wagner dominieren wortwörtlich die Bühne: Da ist das Otto Wagner-Spital am Steinhof: in dieser Nervenheilanstalt werden Geisteskranke wie Amfortas auch in Käfigen behandelt. Die Fassade im Hintergrund gehört zu der Otto-Wagner-Kirche, deren Altarkuppel sich als heiliger Gral herabsenkt und ein überdimensionales Gehirn zu umfassen sucht. Klingsor ist der alternative Doktor im Leichenschauhaus, in dessen Bücherwand prächtige Folianten und medizinische Präparate kleiner Kinder stehen. Der Otto Wagner-Pavillon am Karlsplatz ist nur als Portal, aber nicht in seiner Benutzung zu sehen. Die Gralsritter haben offensichtlich gerade die Walküre als Therapie genossen – in goldenen Götterrüstungen. Sonst kann man die Kostüme der Wiener Gesellschaft bzw. deren Krankenbehandlung zuordnen.

Sänger und Orchester

Es wäre unfair, einen Star aus diesem Ensemble hochrangiger altgedienter Solisten auszuwählen. Vielleicht Christopher Ventris als Parsifal, der sich in dieser Rolle zu einem führenden Heldentenor entwickelt hat. So zeigt er strahlenden Glanz, auch wenn es keine großvolumige Stimme ist. Ebenfalls ein alter Bekannter ist Kwangchul Youn in der Rolle des Gurnemanz. Er verfügt über eine weiche, warme, aber dennoch volltönende und durchschlagsstarke Stimme, die immer präsent ist und immer wortverständlich ist. Gerald Finley ist ein Konzertsänger, der im Mozartfach aufgewachsen ist. Zusätzlich hat er sich als Hans Sachs oder Escamillo eine dramatische Durchschlagskraft erarbeitet und ist so in der Lage, die unendlichen Leiden und Verzweiflungsrufe des Amfortas umzusetzen. Jochen Schmeckenbecher ist als hellklingender Klingsor der ebenbürtige Gegenspieler des Amfortas. Leider kann die große dramatische Nina Stemme an diesem Abend der Kundry nicht den verführerischen Ausdruck und Zungenschlag geben.

Semyon Bychkow hat sich große Bekanntheit erarbeitet, als er in der Ära Sinopoli an der Semperoper die Wagnerdirigate übernahm. Er zelebriert das weihevolle Pathos der musikalischen Gralswelt wie eine symphonische Dichtung: langsame Tempi dominieren allerdings. Es gelingt ihm auch das Blech in den Streicherklang zu integrieren, so klingen die Gralszenen auch im Fortissimo nicht hart und blechern, sondern ausgewogen und monumental. Die Solisten können ihre Gesangslinien optimal gestalten, Wortverständlichkeit ist so selbstverständlich. Großes Lob dem Chor, dem Kinderchor und den Blumenmädchen, die sich an der Wiener Staatsoper harmonisch in den Orchesterklang einfügen.

Fazit

Es ist wie im Traum! Man schließt die Augen und lehnt sich zurück. Der Tuttiklang der Streicher in der Wiener Staatsoper beginnt zu tragen, man schwebt über den Dingen, fühlt den Einklang von Musik und Natur, der Karfreitagszauber beginnt zu wirken, die Sonne geht auf und vertreibt das Dunkel der Zeit. Man öffnet die Augen und stürzt auf den harten Bühnenboden herunter. Nichts in der Szenerie hat etwas mit der Erzählung der Musik zu tun. Zwar sind die Jugendstil-Gebäude für Wien prägend, aber spätestens bei dem Gehirn in der Gralszene fragt man sich, wo der Bezug zwischen dem Baumeister Otto Wagner und Richard Wagner ist. Und ist dennoch dankbar, daß Alvis Hermanis nicht den Bezug zu einem Pizzabäcker gleichen Namens genommen hat – und daß es möglich ist, für eine Ostervorstellung in Wien Karten zu bekommen – üblicherweise ein schwieriges Unterfangen! Obschon die musikalische Leistung der Wiener Staatsoper vom Publikum enthusiastisch gefeiert wird.

Oliver Hohlbach

Bild: Michael Pöhn

Das Bild zeigt: Nina Stemme (Kundry) li., Christopher Ventris (Parsifal), Mitte, Jochen Schmeckenbecher(Klingsor)

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