TRISTAN UND ISOLDE – Théâtre des Champs-Elysées, Paris

von Richard Wagner, Handlung in drei Aufzügen, Libretto: R. Wagner, UA: 10. Juni 1865 München, Königliches Hof- und Nationaltheater

Regie: Pierre Audi, , Bühne/Kostüme: Christof Hetzer, Licht: Jean Kalman, Video: Anna Bertsch. Dramaturgie: Willem Bruls

Dirigent: Daniele Gatti, Orchestre National de France, Chor von Radio France, Choreinstudierung: Stéphane Petitjean.

Solisten: Torsten Kerl (Tristan), Rachel Nicholls (Isolde), Michelle Breedt (Brangäne), Steven Humes (König Marke), Brett Polegato (Kurwenal), Andrew Rees (Melot), Marc Larcher (Ein Hirte, ein junger Matrose), Francis Dudziak (Ein Steuermann)

Besuchte Aufführung: 12. Mai 2016 (Premiere, Koproduktion mit Stichting Nationale Opera & Ballet-Amsterdam, Teatro dell‘Opera di Roma)

VorbemerkungParis TCE Tristan

Mitten im Komponieren des Siegfried bricht Wagner 1856 plötzlich ab und wendet sich einem Stoff zu, der ihn schon seit drei Jahren im Geiste beschäftigt und der zumindest zum Teil von seiner Liebe zu Mathilde Wesendonck inspiriert war: das mittelalterliche Minnelied von Tristan und Isolde. Wenn auch Wagner nach der Fertigstellung dieser neuen Oper wieder zur Spätromantik zurückfindet und sie somit ein Einzelfall in seinem Schaffen bleibt, so zeigt sie dennoch, wie weit Wagner auf dem Weg der Moderne bereit war zu gehen.

Kein Musikstück des 19. Jahrhunderts ist von vergleichbarer Wirkung und Nachwirkung.
Von der Tristan-Harmonikist die Richtung ablesbar, die zur Auflösung der Tonalität, zur Emanzipation der Melodik und des Kontrapunkts, von vorgeformten Akkordzusammenhängen führt. Tristan und Isolde ist eine der „Ursprungsurkunden“ der musikalischen Moderne
(Carl Dahlhaus 1971).

Kurzinhalt

Isolde, Prinzessin von Irland, ist auf der Überfahrt nach Cornwall, um König Marke zu heiraten. Doch der Gedanke ist ihr zuwider, liebt sie doch insgeheim, ohne es sich eingestehen zu wollen, Tristan, Markes Neffe, den Kapitän des Schiffes, den sie einst als Schiffbrüchigen rettete, obwohl er ihren damaligen Verlobten erschlagen hatte. Sie weist ihre Dienerin Brangäne an, einen Todestrank zu mischen, um die versäumte Rache nachzuholen und ihr eigenes Leid zu beenden. Doch Brangäne mischt insgeheim statt dessen einen Liebestrank, den Tristan und Isolde gemeinsam trinken.
Merlot hat für den König eine nächtliche Jagd veranstaltet. Tristan und Isolde bleiben allein im Schloß zurück und erklären einander ihre leidenschaftliche Liebe. Doch Merlots Jagd war nur eine Falle, um den König von ihrer Untreue zu überzeugen. Für König Marke bricht eine Welt zusammen. Tristan verteidigt sich nicht und wird von Merlot schwer verwundet.
Kurwenal hat seinen sterbenskranken Herrn in Tristans Schloß gebracht und wacht über ihn. Nur noch das Eintreffen Isoldens kann ihn retten. Und sie kommt. In einer letzten großen Anstrengung erhebt er sich, geht ihr entgegen und stirbt in ihren Armen. Auch König Marke, der inzwischen vom Liebestrank erfahren hat, trifft ein, um seinem Neffen Isolde zuzuführen. Doch Tristan ist tot und Isolde sinkt neben ihm nieder und stirbt einen verklärten Liebestod.

Aufführung

Pierre Audi und sein Team waren wohl hin und her gerissen zwischen Archaik und Moderne. Ersteres hätte vielleicht genügt. Denn die silhouettenhaften Bühnenbilder – riesengroße, dunkle sich verschiebende Kulissen gegen einen hellen Morgenhimmel, oder von Wind und Wetter gebleichte, in den Boden gerammte Schiffsrippen mit einem Menhir in der Mitte, der sich auf dem Höhepunkt der Liebesnacht in einen durchsichtigen Kristall verwandelt, und schließlich einen mit Felsbrocken übersäten Strand, der den Blick auf ein nebelverhangenes Meer freigibt, schaffen eine starke Atmosphäre, wenn man will, keltischer Urzeit. Eine geometrische Glas- und Metallkonstruktion umstrahlte den Liebestod Isoldes. Die Kostüme  – Überwürfe, Mieder, Hemden, Hosen und sonstiges – sind primitiv und farblos. Die Beleuchtung schafft eine sonnenlose Welt.

Sänger und Orchester

Es ist ein beträchtliches, Wagnis kurzfristig in eine der schwierigsten Rollen des Sopranrepertoires einzuspringen. Rachel Nicholls hat diese Herausforderung angenommen. Sie verkörpert die Isolde mit kräftiger, klangvoller Stimme in den lyrischen Szenen. So ist ihre Interpretation des zweiten Teils der Liebesnacht O sink hernieder, Nacht der Liebe im zweiten Akt und der Liebestod am Ende der Oper auch schön anzuhören. Doch wird ihre Stimme in den dramatischen Szenen, vor allem in den hohen Lagen, gellend und verliert ihre Klangfarbe. Torsten Kerl ist ein etwas schwerfälliger Tristan. Er ist schauspielerisch und stimmlich besonders eindrucksvoll in den Monologen des sterbenden, von Visionen erfüllten Helden im dritten Akt. Als Brangäne ist Michelle Breedts dramatischer Mezzo wohl kontrolliert mit schönen dunklen Klangfarben in den unteren Lagen. Brett Polegato als Kurwenal erfreut durch einen schön timbrierten Bariton. Steven Humes sang würdig, mit gediegenem Baß den verzweifelten König Marke.
Daniele Gatti, der sich in den letzten Jahren mehr und mehr als Wagner Dirigent profiliert hat, steuert die Solisten und das Orchestre National de France mit Einsicht und Umsicht durch die anspruchsvolle Partitur.

Fazit

Tristan und Isolde wurde zum letzten Mal 1952 im Théâtre des Champs-Élysées gegeben, andere Wagner Opern nicht mehr seit etwa 30 Jahren. Da nun mit der 100-Jahr-Feier sowohl des Theaters als auch der Uraufführung des Sacre du Printemps im Jahre 2013, der Orchestergraben wieder auf die ursprüngliche Größe erweitert worden ist, sind nun auch wieder die großen Opern aufführbar.
Tristan und Isolde war ein ehrgeiziges Projekt und es ist weitgehend gelungen. Von den stimmlichen Schwächen der weiblichen Titelrolle abgesehen, war es eine schöne Aufführung.

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Vincent PONTET

Das Bild zeigt: Torsten Kerl (Tristan), Rachel Nicholls (Isolde)

Veröffentlicht unter Opern, Paris, Théâtre des Champs-Élysées