DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – Paris, Opéra National (Bastille)

von Richard Wagner, Oper in drei Akten, Text: Richard Wagner, UA: 21. Juni 1868, München, Königliches Hof- und Nationaltheater

Regie: Stefan Herheim, Bühne: Heike Scheele, Kostüme: Gesine Völlm, Licht: Phoenix (Andreas Hofer) Stefan Herheim nach Olaf Freese, Video: Martin Kern, Dramaturgie: Alexander Meier-Dörzenbach

Dirigent: Philippe Jordan, Chor und Orchestre de l’Opéra National de Paris, Choreinstudierung : José Luis Basso

Solisten : Gerald Finley (Hans Sachs), Günther Groisböck (Veit Pogner), Dietmar Kerschbaum (Kunz Vogelgesang), Ralf Lucas (Konrad Nachtigall), Bo Skovhus (Beckmesser), Michael Kraus (Fritz Kothner), Martin Homrich (Balthasar Zorn), Stefan Heibach (Ulrich Eisslinger), Robert Wörle (Augustin Moser,), Miljenko Turk (Hermann Ortel), Panajotis Iconomou (Hans Schwarz), Roman Astakhov (Hans Folz), Brandon Janovich (Walter von Stolzing), Toby Spence (David), Julia Kleiter (Eva), Wiebke Lehmkuhl (Magdalene), Andreas Bauer (Nachtwächter).

Besuchte Aufführung: 1. März 2016 (Premiere, Koproduktion mit den Salzburger Festspielen)

DIE MEISTERSINGER VON NURNBERG -  LES MAITRES CHANTEURS DE NUREMBERG -

DIE MEISTERSINGER VON NURNBERG – LES MAITRES CHANTEURS DE NUREMBERG –

Vorbemerkung

Nach der Vollendung seines Tannhäusers fand Wagner im Sommer 1845 einige Wochen Erholung im böhmischen Marienbad und war dort nach eigener Aussage außerordentlich fröhlich. In dieser unbeschwerten Atmosphäre entstanden die ersten Entwürfe für die Meistersinger. Wie Falstaff in Verdis, so sind auch in Wagners Schaffen Die Meistersinger die einzige komische Oper. Beckmesser kann man als eine Figur der opera buffa bezeichnen, die Dialoge sind oft witzig, der Ton leicht. Und dennoch ist diese Oper vielschichtiger. Als Anspielung Wagners auf seine Wesendonck Beziehung ist die Liebesgeschichte Walter-Eva eng verquickt mit dem bewegenden Verzicht des Witwers Hans Sachs auf neue Liebe, auf Frau, auf eigene Kinder. Wie er selbst mit der Weisheit des Alters Eva gegenüber zugibt: Mein Kind, von Tristan und Isolde kenn‘ ich ein traurig Stück: Hans Sachs war klug und wollte nichts von Herrn Markes Glück (3. Akt. 4. Szene). In der Rivalität Stolzing-Beckmesser kommt auch der Gegensatz von künstlerischer Erneuerung und sturer pedantischer Regelung zum Ausdruck. Und schließlich ist die Oper ein romantisch-patriotischer Hymnus an den deutschen Geist und an die deutsche Kultur. Aber eben auch nicht nur das!

Kurzinhalt

Um die Goldschmiedstochter Eva Pogner heiraten zu können, muß der junge Ritter Walter von Stolzing in die Zunft der Meistersinger aufgenommen werden, und den jährlichen, nach strengen Regeln ausgeführten Gesangswettbewerb gewinnen. Denn Eva ist dem Gewinner dieses Wettbewerbs versprochen. Beckmesser ist sein Hauptrivale. Stolzings neuartiges Probelied wird verworfen. Doch der Schustermeister und beliebte Meistersinger Hans Sachs setzt sich für ihn ein. Hans Sachs weiß Eva davon abzuhalten, sich von Stolzing, den sie liebt, entführen zu lassen. Gleichzeitig stört er Beckmessers nächtliches Ständchen vor Evas Fenster. Der Schusterlehrling David verprügelt Beckmesser, weil er glaubt, er mache seiner Freundin Magdalene den Hof. Der Tumult bringt die ganze Nachbarschaft in weißen Nachthemden auf die Straße, und es entsteht eine Massenprügelei. Am Tag des Wettsingens, ermuntert Hans Sachs Stolzing, ihm seinen wunderbaren Traum vorzusingen. Sachs schreibt ihn nieder. Beckmesser tritt ein, entdeckt das Gedicht in Sachses Handschrift und wittert einen neuen Rivalen. Sachs beruhigt ihn und schenkt es ihm sogar. Nun ist Beckmesser sicher gewinnen zu können. Doch beim Vorsingen auf der Festwiese, macht er sich völlig lächerlich. Sachs fordert nun Stolzing auf, es auf seine Weise vorzusingen. Der Erfolg ist einhellig. Er wird in die Zunft der Meistersinger aufgenommen und gewinnt den Wettbewerb und die Hand Evas.

Aufführung

Stephan Herheim und sein Team haben die Handlung in die Zeit der deutschen Romantik, ins Biedermeier, verlegt. Möbel, Gemälde, Gebrauchsgegenstände und Kostüme sind bis ins einzelne stilgerecht und farbenprächtig. Gleichzeitig hat das Team viel Phantasie walten lassen, was eine fast märchenhafte Atmosphäre schafft bei der die Brüder Grimm, E.T.A. Hoffmann und wohl auch ein wenig Spitzweg und Wilhelm Busch Pate stehen. Die Bühnenbilder sind stark vergrößerte Biedermeier-Möbel, ein Schreibtisch mit Orgelempore im ersten Akt als Kirche und Ratssaal. Eine Kommode und ein Schrank im zweiten Akt als Häuser, und schließlich Schuhmacher Regale im dritten Akt als Umrandung der Festwiese. Dazwischen bewegen sich die Ausführenden wie Liliputaner und blättern in überdimensionalen Büchern, wie in Des Knaben Wunderhorn. All diese „Möbel“ sind der Wohnung des Hans Sachs „entnommen“, wie sie uns in richtigen Proportionen am Anfang der Oper und im ersten Teil des 3. Akts erscheint. Um das Phantastisch-Märchenhaften noch zu vertiefen, mischen sich in die Keilerei am Ende des zweiten Akts, lauter Märchenfiguren: Schneewittchen, die sieben Zwergen, Frau Holle, der Froschkönig, der gestiefelte Kater, Rotkäppchen samt Wolf, der Mäusekönig, und andere. Sogar der Struwwelpeter hat seinen Auftritt. Am nächsten Morgen sagt Hans Sachs über die Keilerei: Gott weiß, wie das geschah? Ein Kobold half wohl da! Ein Glühwurm fand sein Weibchen nicht, der hat den Schaden angericht’t. Der Flieder war’s: Johannisnacht!

Er hat den Zauber wohl gespürt und der Regisseur auch. Ein Mittsommernachtstraum! Auch bei dem Johannisfest im 3. Akt läßt der Regisseur seiner Phantasie freien Lauf: Alle treten in bunten Festkleidern auf. Eva in weißer Krinoline, Stolzing wie ein silberner Märchenprinz. Unter das Volk mischen sich bunt angemalte Riesenfiguren und in einer Miniatureisenbahn, Model Stephenson 1829, Riesenpuppen, die aussteigen und Walzer tanzen. Während der Zeit spielen Eva und Magdalena mit Puppen und ein Kinderorchester macht Musik. Die Welt der Kindheit ist nie fern. Die Regie wie auch Choreographie sind bis ins kleinste Detail geregelt, rapid, beweglich, komisch, bisweilen grotesk, aber dann auch wieder nachdenklich, bewegend, fast tragisch.

Orchester und Sänger

Philippe Jordan dirigiert die sehr komplexe Partitur mit Feingefühl, ohne Pathos; mit Leichtigkeit, wie im Beckmesser-Sachs Duett im dritten Akt, wo man sich fast operettenhaften Rhythmen nähert; mit Gemessenheit, wie in dem an Bach angelehnten Choral der ersten Szene; oder beherrscht und mit strenger Präzision wie in der meisterhaft gearbeiteten Doppelfuge der Prügelszene.

Gerald Finley verkörpert den alternden Hans Sachs mit Humor und Würde, stimmlich wendig und zugleich warm und solid, aber auch bewegend wie im langen Monolog Wahn! Wahn! Überall Wahn! (3. Akt, 1.Szene). Auch seine Diktion verdient Lob.

Bo Skovhus spielt hervorragend und singt mit sehr beweglicher Stimme, mal knarrend, mal klangvoll, den grotesken, von Paranoia geplagten Beckmesser. Besonders komisch im schon erwähnten Streitgespräch mit Hans Sachs Ein Werbelied! Von Sachs! (3. Akt, 3. Szene). Brandon Jovanovich ist mit schön timbrierter und wohl abgerundeter Tenorstimme ein glaubhafter, wenn auch szenisch etwas passiver Kavalier. Günther Groissböcks schöne, volle Baßstimme verkörpert die Autorität des Vaters Pogner. Julia Kleiter als die zwischen Zuneigung und Dankbarkeit zu Hans Sachs und ihrer Liebe zum jungen Stolzing hin und her gerissene Eva entfaltet ihre Sopranstimme im lyrischen legato des Selig wie die Sonne meines Glückes lacht und im folgenden Quintett (3. Akt, 4.Szene) zu feierlich strahlender Fülle. Wiebke Lehmkuhl mit angenehmer Altstimme und Toby Spence mit hellem Tenor stellen als Magdalene und David das zweite Liebespaar dar. Die übrigen Sänger fügen sich gut in das gut auf einander eingespielte Ensemble ein. Zu erwähnen sei noch der ausgezeichnet einstudierte Chor!

Fazit

Eine musikalisch brillante und szenisch phantasievolle und höchst erfreuliche Interpretation einer oft mißverstandenen Oper. Schade, daß nicht alle Opernregisseure so glückliche Einfälle haben. Vielleicht zu viel Politik und nicht genug Kultur? Das Publikum lachte, klatschte begeistert oder lächelte nur still und freute sich.

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Vincent Pontet

Das Bild zeigt: Gerald Finley (Hans Sachs)

Veröffentlicht unter Opern, Paris, Opéra Bastille