LA JUIVE – DIE JÜDIN – Göteborg, Oper

von Jacques-Fromental Halévy (1799-1862), Oper in fünf Akten, Libretto: Eugène Scribe, UA: 23. Februar 1835 Paris, Opéra de la rue Le Peletier

Regie/Bühne: Günter Krämer, Kostüme: Isabel Ines Glathar, Licht: Joakim Brink

Dirigent: Pierre Valet, Orchester der Oper Göteborg

Solisten: Mireille Delunsch (Rachel), Lars Cleveman (Eléazar), Tuomas Katajala (Léopold), Regina Šilinskaitė (Prinzession Eudoxie), Michael Schmidberger (Kardinal de Brogni), u.a.

Besuchte Aufführung: 5. April 2014 (Premiere)

Göteborg JudinKurzinhalt

Während des Konstanzer Konzils 1414 wird der jüdische Goldschmied Eléazar beinahe von einer aufgebrachten Menge gelyncht, weil er einen christlichen Feiertag mißachtet. Bei ihm lebt Rachel, die glaubt, seine Tochter zu sein. Tatsächlich handelt es sich bei ihr jedoch um das Kind des Kardinals de Brogni, der es bei einem Brand verloren zu haben glaubt, und das Eléazar gerettet und gemäß der jüdischen Tradition aufgezogen hat. Rachel hat eine Liebesbeziehung mit dem Prinzen Léopold, der sich als Jude Samuel ausgibt und mit der Prinzessin Eudoxie verheiratet ist. Als diese illegitime Beziehung bekannt wird, werden Eléazar, Rachel und Léopold festgenommen, denn auf Verbindungen zwischen Juden und Christen steht die Todesstrafe. Rachel gelingt es im Prozeß, Léopold zu entlasten, doch sie und ihr Ziehvater werden zum Tode verurteilt. Im Moment ihrer Hinrichtung offenbart Eléazar de Brogni, daß dessen Tochter gerade vor seinen Augen stirbt.

Aufführung

Die Bühne bleibt bis auf ein paar Stühle und einen Tisch leer. Man sieht die ganze Aufführung über die nackte Rückwand des Theaters und die Scheinwerfer vom Schnürboden hängen, die im letzten Akt weit herabgelassen werden. Der Bühnenboden ist beleuchtet, was den Akteuren, also vor allem dem Chor, durch das Licht von unten eine gespenstische Erscheinung verleiht. Darüber hinaus kommen lediglich zwei weitere bühnenbildnerische Elemente zum Einsatz: ein weißer Rundhorizont und Jalousien, die herabgelassen werden und die Rampe vom Hauptteil der Bühne abgrenzen. Im zweiten und vierten Akt sind auf den Jalousien unzählige Namen wie in einer Holocaustgedenkstätte zu sehen. Auch die einheitlichen, schwarzen Kostüme des Chors im Stile folkloristischer Kleidung des frühen 19. Jahrhunderts lassen an die nationalsozialistische Judenvernichtung denken, ebenso wie die vielen schwarz-weiß-roten Fahnen, die geschwungen werden und der riesige Judenstern, der im ersten Akt Eléazar auf den Rücken gemalt wird. Im letzten Akt tritt der Chor am Rand des Parketts in Alltagskleidung auf. Die Hinrichtung Eléazars und Rachels erfolgt auf dem elektrischen Stuhl.

Sänger und Orchester

Halévys Jüdin verlangt exzellente und technisch speziell geschulte Sänger, denn als sog. Große Oper enthält sie zahlreiche spektakuläre Koloraturarien, anspruchsvolle Ensembles und massive Chorsätze. Die Solisten müssen dabei durchaus anders als hochdramatisch singen. Beide weiblichen Soloparts wurden von Mireille Delunsch als Rachel und Regina Šilinskaitė als Prinzession Eudoxie vorbildlich wiedergegeben. Beide Stimmen haben Stärke und Flexibilität, was vor allem in Šilinskaitės Interpretation ihrer Solopartie im dritten Akt deutlich zutage trat. Die größte Überraschung war aber Tuomas Katajala als Léopold, der sich auf das zwischenzeitlich ausgestorbene Fach des hohen französischen Operntenors (haute-contre) spezialisiert zu haben scheint. Sein Timbre ist das eines lyrischen Tenors, d.h. er singt mit schnellem Vibrato in der sog. hohen Mischung oder sogar im Kopfregister, und das mit einer enormen Durchschlagskraft, die diejenige eines dramatischen Tenors zu übertreffen vermag. Das erwies sich bei einem Vergleich mit Lars Clevemans Vortrag des Eléazars. Cleveman ist z.Z. der führende Heldentenor Schwedens. Auch wenn seine Partie nicht als solche komponiert wurde, hat sich die Tradition eingebürgert, sie mit einem dramatischen Tenor zu besetzen. Clevemans stimmliche und darstellerische Wandlungsfähigkeit ist erstaunlich. Seine Verkörperung und sängerische Umsetzung der eigentlichen Hauptrolle der Oper brachte ihm im vierten Akt tosenden Szenenbeifall für die Arie Rachel, quand Du Seigneur la grâce tutélaireRachel, der Herr hat mir einst die vormundschaftliche Gnade gegeben ein, mit dem das Publikum auch sonst nicht sparte. Seine hervorragend ausgeglichene Stimme hat Volumen, Glanz und Ausdrucksvermögen in allen Registern. Von Michael Schmidberger als de Brogni kann man dies leider nicht behaupten: Ihm fehlt eine kräftige Höhe und Tiefe, und wegen seines unausgeglichenen Tremolos v.a. in den tiefen Lagen klingt sein Gesang an manchen Stellen intonatorisch unrein.

Das Orchester und der Chor brachten Halévys umwerfende Musik, mit der er sowohl Wagner als auch Bizet vorwegnimmt, kraftvoll und energisch zum Vortrag.

Sehr bedauerlich ist jedoch, daß die Partitur nur in verstümmelter Form erklang. Arien und Ensembles wurden stark gekürzt oder sogar ganz gestrichen und statt der schönen Ouvertüre wurde das Publikum mit einem Einfall der Regie bedacht, der in seiner Plakativität symptomatisch für die ganze Inszenierung sein sollte: Eléazar wird, während er auf Hebräisch betet, von de Brognis Gebet auf Latein niedergebrüllt. Das äußerst effektvolle Rutschen der Tonart um einen Halbton nach unten, das Halévy zwischen Ouvertüre und dem den ersten Akt eröffnenden Te Deum vorsieht, wurde damit eliminiert, und das Publikum auf die abgestandene Personenregie, die diese Inszenierung kennzeichnet, eingestimmt.

Fazit

Halévys Oper ist – wie die allermeisten Großen Opern – zutiefst pessimistisch. Es gibt mit Ausnahme Rachels keinen positiven Charakter, sondern alle Figuren zeichnen sich durch ihre Unehrlichkeit und ihren Haß aus. Das gilt nicht zuletzt für den Chor, der für Halévys Publikum natürlich den rasenden Mob verkörperte, der in den französischen Revolutionen des 18. und 19. Jh.s seine Opfer forderte. Das Thema der Jüdin wie vieler anderer Großer Opern ist die gesellschaftliche Intoleranz.

Dieser Vielschichtigkeit und Modernität des Librettos wird die Inszenierung nicht gerecht, sondern präsentiert eine stark vereinfachte Deutung, derzufolge die Juden als Opfer und die Christen als Täter zu sehen sind. Darüber hinaus ist unklar, in welche Zeit Regisseur Günter Krämer die Handlung versetzen will: Die schwarz-weiß-roten Flaggen und das Auftreten des Kaisers, der Wilhelm I. ähnelt, erinnern an das deutsche Kaiserreich; in dem Zusammenhang wäre dann allerdings das Auftreten des Kardinals historisch unsinnig, denn der Bismarck’sche Kulturkampf richtete sich bekanntermaßen gegen Juden und Katholiken. Außerdem wäre Eléazars Haß auf die Christen, den er u.a. in seiner Arie über das Wiederentstehen Zions im zweiten Akt artikuliert, so in einen geschmacklosen Zusammenhang mit dem Aufkommen des Zionismus gestellt. Die schwedische Presse verortet die Aktualisierung entweder in der Weimarer Republik oder sogar im heutigen Ungarn, nicht aber in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, ein Indiz für die zahlreichen Unklarheiten, die diese Inszenierung bereithält und dafür, daß die deutsche Geschichte im Ausland weniger bekannt ist als mancher deutsche Regisseur annehmen mag.

Die Göteborger Jüdin bietet, kurz gesagt, erstklassige Sänger, einen imposanten Chor und eine Inszenierung, die durch den Rückgriff auf den deutschen Antisemitismus den Inhalt des Librettos in mitunter prekärer Weise verändert.

 

Dr. Martin Knust

Bild: Mats Bäcker

Das Bild zeigt: Jonas Landström (Albert), Tuomas Katajala (Léopold), Regina Šilinskaitė (Prinsessan Euoxide),Lars Cleveman ( Eléazar), Michael Schmidberger (Kardinal de Brogni) v.l.n.r.

Veröffentlicht unter Göteborg, Oper, Opern