LEAR – Malmö, Opera

 von Aribert Reimann (*1936), Libretto: Klaus H. Henneberg nach Skakespeare, UA: 1978 München

Regie: Stefan Johansson, Bühne: Richard Andersson, Kostüme: Dina Sandberg und Michael Glas, Licht & Video: Torben Lendorph

Dirigent: Erik Nielsen, Orchester der Oper Malmö, Choreinstudierung: Elisabeth Boström

Solisten: Fredrik Zetterström (König Lear), AnnLouice Lögdlund (Goneril), Karolina Andersson (Regan), Elsebeth Dreisig (Cordelia), Lars Arvidson (Gloster), Matthew Shaw (Edgar/Tom), Lars Humble, Sprechrolle (Narr), u. a.

Besuchte Aufführung: 27. April 2013 (skandinavische Erstaufführung)

Vorbemerkung

Reimanns Musik im Lear ist deutlich in der atonalen und expressionistischen Tonsprache der Zweiten Wiener Schule verankert, die er jedoch mit Vierteltönen bereichert, die den Grad der Dissonanzen noch verstärken. Reimann hat, geprägt durch seine langjährige Tätigkeit als Liedbegleiter, ein gutes Gespür für Singstimmen und verlangt keine unnatürliche Stimmbehandlung. Der Orchesterklang reicht von kammermusikalischer Transparenz bis hin zum monumentalen breiten Klang, wobei in der Schlagzeugsektion u.a. sowohl das Klirren der Waffen nachgeahmt als auch monotones rituelles Trommeln erzeugt wird..

Wie relevant ist eine Oper über König Lear heute? Mehr als man anfänglich vermuten mag. Shakespeares Tragödie greift Themen auf, die damals wie heute aktuell sind, und es auch morgen sein werden: Politische Macht, Generationswechsel und das Problem des Alterns. Reimanns Musik findet dazu die richtige Sprache.
Der Komponist, der bei dieser Aufführung zugegen war, zeigte sich von der skandinavischen Erstaufführung seines Lear sichtlich angetan.

Kurzinhalt
Der alternde König Lear will seine Macht seinen Töchtern übergeben und fordert sie auf, ihm den Grad ihrer Zuneigung zu schildern. Die beiden ältesten, Goneril und Regan, machen große Worte, während die jüngste, Cordelia, ihm schlicht und einfach erklärt, sie liebe ihn wie eben eine Tochter ihren Vater liebe, woraufhin sie vom Vater, der vermutlich beginnt, dement zu werden, verstoßen wird. Zwischen den beiden ältesten spielen sich Machtkämpfe ab, begleitet von dem Unwillen, sich des abgedankten Königs anzunehmen. In einer parallel verlaufenden Geschichte wird Graf Gloster, der nach wie vor dem König ergeben ist, von seinem unehelichen Sohn Edmund betrogen und verstößt daraufhin seinen richtigen Sohn, Edgar. Dieser, als Bettler Tom verkleidet, begibt auf die Flucht. Letztlich sind es jedoch Cordelia und Edgar, die sich um ihre Väter kümmern, während ihre Geschwister in Machtkämpfen umkommen.

Aufführung
Die Inszenierung der Oper hat Züge des Elisabethanischen Theaters, d.h. es gibt kein Bühnenbild oder Vorhang und beschränkt sich auf wenige Requisiten. Die Sänger, in phantasievoller, farbenprächtiger Kleidung, agieren wie zu Shakespeares Zeiten im Proszenium dicht am Publikum. Auch geben die Farben ihrer Roben – rubinrot, smaragdgrün und brillantweiß – einen subtilen Hinweis auf Shakespeares Original, in dem Lears Töchter als Juwelen bezeichnet werden. Die Darsteller agieren mit minimalen Bewegungen und verbergen, wenn sie nicht singen, ihre Gesichter hinter metallisch glänzenden Masken, die wie Insektenpanzer aussehen. Der Chor, in schmutzgrauen Kleidern, erinnert in seiner zurückhaltenden Rolle an den Chor der griechischen Tragödie. Im Hintergrund der Bühne, abgetrennt durch einen durchsichtigen Vorhang, das 84 Mann starke Orchester, mit verstärkten Streichern und sechs Schlagzeugern, dessen visuelle Präsenz die zentralen Bedeutung der Musik zum Ausdruck bringt.

Sänger und Orchester
Das Malmöer Ensemble besteht aus überwiegend jungen Kräften, die ihre Partien mit Bravour meistern. Fredrik Zetterström, ein erfahrener Sänger, zeigt Lear mit großer Autorität. Ähnlich verhält es sich mit den drei Sopranen, die die Rollen der Goneril (AnnLouice Lögdlund), Regan (Katarina Andersson) und Cordelia (Elsebeth Dreisig) sangen. Sie gestalten ihre Figuren sicher. Den stärksten Eindruck hinterläßt jedoch Matthew Shaw in der Rolle des Edgar, dessen Stimmlage jeweils der Rolle angepaßt wird, in der er agiert: Als Edgar singt er in Tenor- und in seiner Verkleidung als Tom in Counter-Tenorlage. Der Wandel vollzieht sich manchmal innerhalb eines einzigen Taktes, wenn er beispielsweise als Edgar denkt und als Tom spricht. Das Orchester wird von dem amerikanischen Dirigenten Erik Nielsen geleitet, einem Spezialisten für Neue Musik. Mit der Musik Aribert Reimanns ist er seit vielen Jahren vertraut. Seine freundliche Autorität und musikalische Souveränität wirkte sich auf das Orchester positiv aus.

Fazit
Insgesamt imponiert die Aufführung durch ihren zeitlosen Charakter, der die Verbindung von Reimanns Opus zu Shakespeares Vorlage wie auch zur griechischen Tragödie unterstreicht.

Dr. Marion Lamberth
Bild: Malin Arnesson
Das Bild zeigt: Karolina Andersson (Goneril), Fredrik Zetterström (Lear), AnnLouice Lögdlund (Regan) und Elsebeth Dreisig (Cordelia)

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