MANON LESCAUT – Dresden, Semperoper

von Giacomo Puccini (1858-1924), Dramma lirico in 4 Akten, Libretto: Ruggero Leoncavallo, Marco Praga, Domenico Oliva, Giulio Ricordi, Luigi Illica, Giuseppe Giacosa, UA: 1. Februar 1893, Turin

Regie: Stefan Herheim, Bühne: Heike Scheele, Kostüme: Gesine Völlm

Dirigent: Christian Thielemann, Sächsische Staatskapelle Dresden

Solisten: Norma Fantini (Manon Lescaut), Christoph Pohl (Lescaut), Thiago Arancam (Renato Des Grieux), Maurizio Muraro (Geronte di Ravoir), Giorgio Berrugi (Edmondo), Scott Conner (Wirt), Christel Lötzsch (Ein Musiker) u. a.
Besuchte Aufführung: 2. März 2013 (Premiere)

Kurzinhalt
Der Student Des Grieux ist in die schöne Manon Lescaut, die mit ihrem Bruder unterwegs ist, verliebt. Auch der alte, wohlhabende Geronte will Manon für sich gewinnen. Er beschließt sie zu entführen, jedoch gestehen sich Manon  und Des Grieux ihre Liebe und beide fliehen. Doch Manon, die dem Luxus frönt,  zieht es bald zum reichen Geronte. Auch hier findet sie kein Glück und als Manon wieder mit Des Grieux fliehen will und einiges von Gerontes Schmuck mitnehmen will, wird sie festgenommen und nach Nordamerika verbannt. In der Wüste Arizonas stirbt Manon in den Armen ihres Geliebten.

Aufführung
Regisseur Stefan Herheim verlegt die Handlung nach Paris um das Jahr 1880. Dabei eröffnet das Bühnenbild den Einblick in das Atelier von Frédéric-Auguste Bartholdi, dem Erschaffer der New Yorker Freiheitsstatue. Des Grieux nimmt in der Aufführung die Rolle dieses Künstlers ein, wobei auf der Bühne neben Holzgerüstkonstruktionen große Teilstücke der Freiheitsstatue zu sehen sind. Die Anordnung der genannten Aufbauten ändert sich im Zuge der Aufführung. Die Protagonisten tragen teilweise Kleidung des 18. Jh. und teilweise welche vom Ende des 19. Jh., so daß Puccinis Zeitangabe für das Werk ebenso mit in die Handlung einfließt. Selbst der Komponist taucht mit Melone, Schnäuzer und Zigarette im Mund als stumme Rolle auf. Dabei wird vermittelt, wie „Puccini“ z. B. in den einzelnen Akten gerade das Stück komponiert, wobei er zudem den Akteuren Notenblätter und ein Textbuch entgegenhält.

Sänger und Orchester
Die Aufmerksamkeit des Publikums ganz auf sich vereinend gelingt Norma Fantini (Manon Lescaut) das In quelle trine morbide – In den kalten Spitzen hier mit berückender Emphase, glühend leuchtenden Spitzen und pulsierend dynamischer Phrasierung. Ihre Arie im Schlußakt gewinnt zudem durch ihre mitreißend dramatische Interpretation mit stimmlich breit angelegtem Fundament und sich weit öffnenden Höhen an immenser Tiefenschärfe. Eine völlig desolate Leistung bringt hingegen Thiago Arancam (Des Grieux). Sein  Donna non vidi maiNie sah ich eine Frau changiert unausgewogen zwischen lyrisch lediglich fahl-blasser Klangfärbung und gepreßt flatternden Höhen, denen jegliche jugendliche Frische und glühendes Feuer der Leidenschaft abgeht. Christoph Pohls (Lescaut) Bariton hingegen strahlt mit seidig-geschmeidigem Timbre, und er verführt mit warmen Klangspektren und jugendlicher Leichtigkeit. Maurizio Muraro (Geronte di Ravoir) profiliert sich mit schlankem Baß, der mit klarem Duktus aufhorchen läßt. Tenor Giorgio Berrugi (Edmondo) besticht zudem durch lichte Klangfarben und straffe Linienführung.

Die Sächsische Staatskapelle Dresden unter Christian Thielemann spannt einen großen Bogen spannungsgeladener Spieldynamik mit gleißend erblühenden Klangkaskaden, die von sirrender Schwüle bis hin zu wuchtig ausgekosteter Eleganz große Emotionen atmet.

Fazit
Regisseur Stefan Herheims Versuch, den Spagat zwischen zwei Zeiten – dem des ursprünglichen Werkes und der Zeit der Entstehung der Miss Liberty –  auf der Bühne darzustellen, wirkt wie eine hilflose Aneinanderreihung von allegorischen Versatzstücken, die nicht so recht zueinander finden wollen und stark konstruiert wirken.  Zwar gibt es auch einige große Bilder, jedoch bleiben sie als reine Selbstdarstellung völlig inhaltsleer bezüglich der mitreißenden Gefühlswelt des Werkes. Herheim entgleiten völlig die Fäden, als er auch noch „Puccini“ selber auf der Bühne auftauchen läßt. Die stumme Rolle spielt sich mit pantomimischem Mitsingen und nervigem Herumfuchteln unverständlich stark in den Vordergrund. Dies geht im letzten Akt, bei der Manon den stummen „Puccini“ anstatt Des Grieux als Bezugspartner ansingt, ganz auf Kosten der Handlung. Statt eines mitreißend aufwallenden Stückes verdurstet durch derartige Mißgriffe die ganze Emotion in der Wüste Arizonas. Eines erreichte die Inszenierung jedoch: Eine kontroverse Zuschauerrektion, wie sich beim Schlußapplaus bzw. Buhrufen zeigte.

Dr. Andreas Gerth

Bild: Matthias Creutziger

Das Bild zeigt: Thiago Arancam (Renato Des Grieux), Norma Fantini (Manon Lescaut), Giorgio Berrugi (Edmondo), Muraro (Geronte di Ravoir)

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