CARMEN – See Festspiele Berlin, Seebühne Wannsee

von Georges Bizet (1838-1875), Opéra comique in 3 Akten und 4 Tableaus, Libretto: Henri Meilhac u. Ludovic Halévy; UA: 3. März 1875 Paris

Regie: Volker Schlöndorff, Bühnenbild: Volker Hintermeier, Lichtdesign: Guido Petzold, Kostüme: Roy Spahn, Choreinstudierung: Ud Joffe; Dirigent: Judith Kubitz, Kammerakademie Potsdam, Neuer Kammerchor Potsdam

Solisten: Erica Brookhyser (Carmen), Christian Schleicher (Don José), Michael Bachtadze (Escamillo), Anna Pisareva (Micaëla), Anna Gütter (Frasquita), Anna Pisareva (Mercédès), Vincenzo Neri (Moralès), Ingo Witzke (Zuniga), David Pichlmaier (Dancairo),  Marco Alves dos Santos(Remendado), u. a.

Besuchte Aufführung: 17. August 2012 (B-Premiere)

Vorbemerkung

Die See Festspiele am Wannsee in Berlin starteten im vergangenen Jahr durchaus erfolgreich mit Mozarts Zauberflöte, so daß man mit gespannten Erwartungen in die diesjährige Saison gehen konnte (OPERAPOINT 4/2011). Im zweiten Anlauf hat man nun Starregisseur Volker Schlöndorff als Zugpferd auserkoren, um das umstrittene Festival auf die Bühne zu hieven, umstritten deshalb, da die See-Festspiele Berlin von Anfang an unter keinem guten Stern standen. So konnte bereits im vergangenen Jahr die Bühne nicht, wie zunächst geplant, bei Potsdam aufgebaut werden. Man verlegte kurzerhand den Austragungsort zum Wannsee. Auch hier konnte die Bühne nicht, wie vorgesehen, im See selber aufgebaut, sondern mußte aus Umweltschutzaspekten weit von ihm entfernt am Festland errichtet werden. Auf Grund der Querelen mit den Verwaltungen sollten 2012 erst gar keine neuen Festspiele stattfinden. Man entschied sich doch anders und auch in diesem Jahr gab es wieder Streit um die Lage der Bühne. Um allen Streitigkeiten des Naturschutzes aus dem Weg zu gehen, schob man die Bühne noch weiter aufs Festland. Dafür brechen auf die Veranstaltungen hochgerechnet insgesamt 9.600 Plätze und somit rund 400.000 Euro an Einnahmen weg. So ist für den Konzertveranstalter Peter Schwenkow auch nach zwei Veranstaltungen am Wannsee endgültig Schluß. Man prüft für die Zukunft andere Veranstaltungsorte. Eine kulturelle Watsche für den Berliner Senat, der damit ein qualitativ ausbaubares Event im Kulturkalender verliert, aber auch für den Veranstalter, der sich in Zukunft im Vorhinein wohl gründlicher über Schutzzonen und Auflagen informieren wird.

Kurzinhalt

Der Sergeant Don José verfällt in blinde Liebe zu der in einer Zigarrenfabrik arbeitenden Zigeunerin Carmen. Darüber vergißt er seine Vorsätze, zu seiner Mutter zurückzukehren und das Bauernmädchen Micaëla zu heiraten. Für Carmen geht José sogar ins Gefängnis, damit jene einer Verhaftung entgeht, und er schließt sich, wieder auf freiem Fuß, einer Schmugglerbande um Carmen an, um bei ihr sein zu können. Auch der Stierkämpfer Escamillo ist in Liebe zur verführerischen Carmen entbrannt. Vor der Stierkampfarena in Sevilla kommt es schließlich zum Showdown. Carmen gesteht José, daß sie allein Escamillo liebe und mit ihm ein neues Leben beginnen werde. In verzweifelter Wut ersticht José seine Geliebte, für die er alles aufzugeben bereit war.

Aufführung

Die Freilichtbühne wird im Hintergrund von einem großen Fächer eingenommen, deren Segmente im unteren Bereich auf- und zugeschoben werden können. Der Fächer ist darüber im Halbkreis begehbar und mit einem oberen Zugang versehen. Daneben steht eine durchbrochene, in Nebel gehüllte Ruine sowie ein Wohnwogen, der in der Bergszene und im letzten Akt durch einen Container mit Flüchtlingen ausgetauscht wird. Auf die Längsseite des Containers werden zudem Filmszenen (etwa von einem Stierkampf) eingeblendet. Die Kostüme halten sich an die zeitlichen Vorgaben des Stückes.

Sänger und Orchester

Um es bereits vorwegzunehmen: Die Leistungen der Sänger bleiben an diesem Abend vieles schuldig, auch wenn eine objektive Beurteilung auf Grund der sich bedauerlicherweise sehr in den Vordergrund drängenden Mikrofonverstärkung erschwert ist. Die amerikanische Mezzosopranistin Erica Brookhyser (Carmen) kann kaum stimmlichen Glanz verbreiten. Ihr fehlt es an deutlicher Intonation und sauber ausgeführtem Legato. Allein in der Habanera klingt ein Hauch seidigen Glanzes an. Doch ihr fehlt alles Glutvolle und wendiger Phrasierung. Blaß im Ansatz und klamm in den schmalen Höhen gelingt es auch Tenor Christian Schleicher (Don José) nicht, seiner Rolle dramatische Tiefenschärfe zu verleihen. Irritierend schmalbrüstig und mehr unsauber gepreßt als heldenhaft getragen erklingt der Bariton von Michael Bachtadze (Escamillo). Auch Baß Ingo Witzke (Zuniga) changiert extrem auf einer stimmlichen fahlen und angekratzt klingenden Farbskala, die ein breit aufgestelltes Fundament vermissen läßt. Allein die aus Minsk stammende Sopranistin Anna Pisareva (Mercédès) versprüht jugendlich frische Strahlkraft und lyrischen Charme, von dem man sich gerne einnehmen läßt. Insgesamt lassen es fast alle Darsteller an packender Bühnenpräsenz und mitreißender Interaktion fehlen, und sie wirken schauspielerisch wie auch stimmlich reichlich verloren.

Die Kammerakademie Potsdam unter Judith Kubitzspielt die Musik hölzern mechanisch und bisweilen uninspiriert herunter, so, als suchte man noch nach dem richtigen Ansatz, südländisch mitreißendes Fieber und flirrende Hitze zu erzeugen. Emotional aufwühlend ist hier allein der Ärger über einige verpaßte Chancen.

Fazit

Die unsinnigerweise gemischt in deutscher und französischer Sprache gesungene Aufführung wirkte insgesamt lieb- und planlos inszeniert, sich dabei in einer klischeehaften Collage starrer Szenenbilder verlierend. Das scheint auch kein Wunder zu sein – gibt doch Regisseur Schlöndorff im Programmheft selber zu, daß er „kein Konzept“ hatte. Konzeptlos und unschlüssig verloren wirkten so auch die Leistungen der Sänger. Hier brannte in hilflos unschön mikrofonverstärktem Soundambiente keine sinnliche Leidenschaft – das einzige Feuer, das auf der Bühne entfacht wurde, war ein planmäßig entzündeter Zigeunerwohnwagen. Carmens Temperament verging bereits mit den ersten Szenen der Aufführung. Da mußte man nicht erst die sich zäh dahinziehenden Szenenfolgen bis zu ihrer äußerst undramatisch umgesetzten Ermordung im letzten Akt abwarten.

Dr. Andreas Gerth

Bild: Lutz Edelhoff

Das Bild zeigt:  Das Bühnenbild mit Darstellern vor dem Wannsee-Abendhimmel

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