AUS EINEM TOTENHAUS – Z MRTVÉHO DOMU – Wien, Staatsoper

von Leoš Janáček (1854-1928), Oper in drei Akten. Libretto: der Komponist nach F. M. Dostojewskijs Roman Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, UA am 12. April. 1930 Brünn, Nationaltheater

Regie: Peter Konwitschny, Bühne/Kostüme: Johannes Leiacker, Licht: Jürgen Hoffmann

Dirigent: Franz Welser-Möst, Wiener Philharmoniker und Chor, Einstudierung: Martin Schebesta

Solisten: Sorin Coliban (Alexandr Petrovic Gorjancikov), Misha Didyk (Luka Kusmitsch), Herbert Lippert (Skuratov), Christopher Maltman (Siskov), Gergely Németi (Aljeja), Alexandru Moisiuc (Der Platzkommandant), Donna Ellen (Dirne), Michael Roider (Šapkin), u.a.

Besuchte Aufführung: 14. Dezember 2011 (Premiere 11.12.2011)

Kurzinhalt

Der intellektuelle Adlige Alexandr Petrovic Gorjancikov ist der Neuling in einem sibirischen Gefangenenlager. Gleich nach der Ankunft wird er vom Kommandant verhört und ausgepeitscht. Gewalt, Brutalität und harte Arbeit bestimmen den Alltag im Lager. Ein Jahr vergeht, Gorjancikov und der junge Gefangene Aljeja haben sich inzwischen angefreundet. An einem  Feiertag dürfen die Sträflinge ein Fest begehen, bei dem sie zwei Theaterstücke improvisieren. Auch dieser Abend endet im Streit, Aljeja wird dabei schwer verletzt. Im Lazarett wacht Gorjancikov an der Seite seines jungen Freundes, der in ihm einen Vater sieht. Für Gorjancikov ist es der Tag der Freiheit, denn er wird vom Kommandant begnadigt und entlassen. Die Handlung wird immer wieder unterbrochen durch die Monologe der Häftlinge, die ihr Schicksal erzählen, so hat z.B. Schischkow seine Frau aus Eifersucht auf den Rivalen Filka erdolcht. Den einstigen Feind erkennt Schischkow in einem Mitgefangenen: Luka ist Filka, der im Augenblick der Wiedererkennung stirbt.

Aufführung

Der für provokante Inszenierungen bekannt gewordene Regisseur Peter Konwitschny verzichtet auch in dieser Inszenierung, die bereits im Opernhaus Zürich (4. Juni 2011) zu sehen war, auf eine dem Libretto getreue Darstellung – und dies auf allen Ebenen der Oper außer der der Musik: Er siedelt die Handlung statt in einem sibirischen Gefangenenlager in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Gegenwart an. Ein elegantes Loft wird zum Gefängnis, die Häftlinge tragen moderne Anzüge von heute – Manager, Makler oder Mafiosi, alle in schwarz, bis auf den Kommandanten, der ein weißes Dinnerjacket trägt. Das Spiel im Spiel im zweiten Akt wird zu einer Strip-Show, die in einer mehrfachen Vergewaltigung endet. Die Männer tragen nun gestreifte Sträflingsjacken über ihren Anzügen, eine parodistische Anspielung auf die eigentlich vorgesehene Szenerie. Im dritten Akt zeigen alle Männer deutliche Blessuren der vorangegangenen Gewaltexzesse, sie spielen selbstverloren mit großen Holz-Babuschkas. Auch das Ende der Oper verändert Konwitschny radikal: Statt in die Freiheit entlassen zu werden, wird Gorjancikov erschossen. Ebenso drastisch verfährt er  bei der Untertitelung der Oper: Der Text des Libretto wird nicht linear übersetzt, sondern in eine derbe, von Sexismen und Vulgaritäten geprägte Sprache überführt.

Sänger und Orchester

Dirigent Franz Welser-Möst stellt die Musik Janáčeks kraftvoll in all ihrer Schroffheit dar, die immer wieder aufscheinenden lyrischen, kantablen Stellen werden dagegen zart und fein gezeichnet. Hervorzuheben sind die zahlreichen virtuos gemeisterten Solo-Parts, die die Partitur vorsieht. In der Ouvertüre z.B. zitiert Janáček einige Takte aus seinem unvollendeten Violinkonzert, die der erste Geiger technisch perfekt meistert. Gleiches gilt für die zahlreichen offen liegenden Stellen der Holzbläser im zweiten und dritten Akt, die ebenso rein intoniert wie präzis artikuliert waren. So bekommen Dirigent und Orchester viel Applaus für eine musikalische Darbietung auf höchstem Niveau. Den kräftigsten Beifall unter den Sängern erhielten Christopher Maltman (Siskov) und Herbert Lippert (Skuratov). Maltman, der den ausführlichsten Gefangenen-Monolog (3. Akt) zu bewältigen hat, stellt die verschiedenen Stimmen, die in seiner Erzählung vorkommen, stimmlich sehr differenziert mit unterschiedlichen Timbre-Färbungen dar. Lippert verleiht dem Part des Skuratow belcantohafte Züge. Baß-Bariton Sorin Coliban (Gorjantschikow) gefällt mit einem warmen, vollen Baß; er singt seine Partie mit Innigkeit und kontrastiert so mit den übrigen Gefangenen, die ihren Monologen eine innere Spannung und geradezu aggressive Intensität verleihen. Besonders gut gelingt dies Michael Roider als Šapkin.

Fazit

In jedem Menschen steckt ein Funke Gottes – Dieses Diktum stellte Janáček seiner Partitur voran. Peter Konwitschny läßt auf der Bühne davon nicht mehr viel sehen, vielmehr löst er fast alle Vorgaben des Librettos dialektisch auf. Damit verringert er den „Sicherheitsabstand“, den das Publikum angesichts einer Handlung, die weit weg in Sibirien in der Mitte des 19. Jahrhunderts angesiedelt ist, einnehmen könnte. Das gefällt nicht allen Zuschauern: Einige Buhs mischen sich unter den Schlußapplaus.

Annika Klanke

Bild: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Das Bild zeigt: Markus Eiche (Don Juan), Peter Jelosits (Kedril), Donna Ellen (Dirne)

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