ANNA BOLENA – Luzern, Theater

von Gaetano Donizetti (1797-1848), Tragedia lirica in zwei Akten, Libretto: Felice Romani. UA: 1830 in Mailand, Teatro Carcano

Regie: Tobias Kratzer, Bühne/Kostüme: Rainer Sellmaier, Dramaturgie: Dr. Christian Kipper, Licht: Gérard Cleven

Dirigent: Florian Pestell, Luzerner Sinfonieorchester, Chor und Extrachor des Luzerner Theaters, Choreinstudierung: Lev Vernik

Solisten: Olga Privalova (Smeton), Caroline Vitale (Giovanna Seymour), Madelaine Wibom (Anna Bolena), Flurin Caduff (Lord Rochefort), Utku Kuzuluk (Riccardo Percy), Robert Maszl (Sir Hervey), Boris Petronje (Enrico VIII)

Besuchte Aufführung: 27. Februar 2011 (Premiere)

Kurzinhalt

Enrico und Anna sind das königliche Paar, dessen Gefühle nach einigen Jahren Ehe abgekühlt sind. Enrico weiß seine Macht und Stellung egoistisch zu nutzen. Seine ehemalige Mätresse Anna ist seine zweite Frau, doch dabei bleibt es nicht. Seine neue Geliebte Giovanna hat es auf den Thron abgesehen. Annas ehemaliger Geliebte Riccardo wird aus dem Exil entlassen, damit der König eine Intrige einleiten und die Königin des Ehebruchs beschuldigt werden kann. Die Intrigen sind initiiert, so daß bald die Ehefrau beim angeblichen Ehebruch ertappt, beschuldigt und sie vor Gericht gestellt wird. Unter Folter werden die Geständnisse des Pagen erzwungen. Annas Rivalin Giovanna wird von reuigen Gefühlen bedrängt. Doch ihre Versuche, die Begnadigung der Verurteilten zu bewirken, bleiben unerhört. Daraufhin läßt sie das schlechte Gewissen nie mehr los. Der König bleibt hart und veranlaßt die Enthauptung seiner Ehefrau. Das Todesurteil trifft auch ihre Gefolgschaft mit ihrem Geliebten Riccardo und ihrem Bruder Rochefort. Die Todesangst treibt Anna in den Wahn.

Aufführung

Während das Orchester die Ouvertüre gestaltet, öffnet sich der Vorhang und man bekommt zeitgenössisch eingerichtete Wohnräume einer Durchschnittsfamilie zu sehen. Die Wohnung ist nahezu ganz in weiß auf zwei Ebenen angelegt. Im oberen Stockwerk befindet sich das Schlafzimmer, links unten ist der Eingangsbereich mit einer Grünpflanze hinter der Tür, die Bodenklappe geht zum Keller, die Garderobe mit Spiegel, eine Treppe führt ins Schlafzimmer. Es gibt keine Küche. Rechts im Wohnzimmer steht ein Fernseher, Tisch und Stühle, ein mit Büchern überfülltes Regal, hinten ist ein kleines Musikzimmer mit einem schwarzen Flügel. Während des ersten Akts sind nur aktuelle Gegenstände und Elektronik zu sehen. Die junge Ehefrau hört der Ouvertüre über Kopfhörer zu. Der Mann hat viel zu tun, er arbeitet am Laptop, trinkt Wein. Er scheint viel unterwegs zu sein. Sie findet auf seiner Jacke ein fremdes Haar, auf einer zufällig entdeckten Videoaufnahme sieht sie etwas Entsetzliches. Der Page bringt Kisten mit und trägt Paketdienstkleidung. Per Handy werden Rendezvous vereinbart.

Der zweite Akt beginnt im historischen Bühnenbild in spätmittelalterlichen Kostümen des Adels und des Henkers. Die Atmosphäre ist zauberhaft, das Licht bleibt gedämpft, einige Fackeln brennen.

Sänger und Orchester

Das Orchester unter Florian Pestell ließ stets den nötigen Spielraum für das Sängerensemble, spielte empfindsam und, wo nötig, zurückhaltend. Die Chöre klangen stets kraftvoll. Einen ergreifenden Moment bot der Frauenchor mit Chi può vederla a ciglio asciutto Wer kann es mit trockenen Wimpern ansehen (2. Akt). Die Solisten nahmen mit ihrer klaren Aussprache und begeisterndem Spiel das Publikum in ihren Bann. Olga Privalova war ein lebhafter Smeton geschmeidig und farbig in ihrer klaren Stimme. In Ah! Parea che per incanto Ach! Es schien wie ein Zauber (1. Akt). Eine große Rolle hatte Madelaine Wibom (Anna) zu bewältigen: Gemeinsam mit Caroline Vitale (Giovanna) zeigten im Duett Sul suo capo aggravi un Dio Es möge ein Gott über seinem Haupt walten (2. Akt) gekonnte wiegenden Koloraturen sowie gute dynamische Spielbreite Flurin Caduff (Lord Rochefort) hatte immer wieder einen anderen männlichen Geliebten und demonstrierte leidenschaftlich die homosexuelle Männerliebe. Die lamentierende und leicht nasal klingende Stimme des Utku Kuzuluk passte sehr zur Rolle des verliebten Riccardo. Seine durchdringend kraftvolle Seite zeigte er in der gefühlsgeladenen Arie Vivi tu, te ne scongiuro – Lebe, ich flehe dich an (2. Akt). Boris Petronje meisterte die undankbare Rolle als König Enrico ausdauernd tapfer und der in seiner Gefolgschaft agierende Robert Maszl hatte diesmal auch den gnadenlosen Scharfrichter darzustellen.

Fazit

Eine Inszenierung mit vielen kritischen Hintergedanken, Gegenüberstellung der Zeiten und Sitten und vielem mehr. Es gab den feingeführten und angenehmen Orchesterklang wie glanzvolle Koloraturen und schöne Singstimmen. Die Liebe zum Detail bestimmte die farbenfrohe und reichliche Ausstattung der Bühne und der Künstler. Die mehrmaligen homosexuellen Handlungen zwischen den männlichen Darstellern waren eher Geschmackssacht.

Ruta Akelyte Hermann

Bild: Tanja Dorendorf

Das Bild zeigt Caroline Vitale (Giovanna Seymour), Madelaine Wibom (Anna Bolena)

Veröffentlicht unter Luzerner Theater (CH), Opern