LULU – Kopenhagen, Det Kongelige Teater

von Alban Berg (1885-1935), Oper in drei Akten, Libretto: A. Berg nach Frank Wedekind, dritter Akt vervollständigt von Eberhard Kloke, UA (dieser Fassung): 15. Oktober 2010, Kopenhagen

Regie: Stefan Herheim, Bühne: Heike Scheele, Kostüme: Gesine Völlm

Dirigent: Michael Boder, Det Kongelige Kapel

Solisten: Sine Bundgaard (Lulu), Randi Stene (Gräfin Geschwitz), Johann Reuter (Dr. Schön/Jack the Ripper), Johnny van Hal (Alwa), Elisabeth Jansson (Theatergarderobiere/Gymnasiast/Groom), Peter Lohdal (Maler, Neger), Sten Byriel (Schigolch), Magne Fremmerlid (Athlet), Michael Kristensen (Prinz), Anders Jakobsson (Medizinalrat, Bankier Puntschu), u.a.

Besuchte Aufführung: 21. November 2010

Kurzinhalt

Der Journalist Dr. Schön hat vor Jahren die kindlich-verführerische Lulu von der Straße aufgelesen und ist ihr seitdem rettungslos verfallen. Um sich von ihr zu lösen, verkuppelt er sie immer wieder an andere Männer. Ohne Erfolg: Lulus ersten Gatten, den Medizinalrat, trifft der Schlag, der zweite, ein Maler, schneidet sich die Kehle durch. Resigniert läßt Dr. Schön sich von Lulu überreden und heiratet sie. Zur Katastrophe kommt es, als Dr. Schön in der gemeinsamen Wohnung gleich eine ganze Reihe von Nebenbuhlern antrifft, darunter die lesbische Gräfin Geschwitz und seinen Sohn Alwa. Lulu erschießt Dr. Schön und kommt ins Gefängnis. Mit Hilfe der Gräfin, des Athleten Rodrigo und des zwielichtigen Landstreichers Schigolch kann Alwa sie befreien. Wie Dr. Schön verfällt Alwa ihr mit Haut und Haar. In dem von Berg nicht mehr vollständig vertonten dritten Akt wird Lulu zur Prostituierten und schließlich von Jack the Ripper ermordet.

Aufführung

Die Welt der Lulu spielt in einer Art Wiener Zirkus-Arena der zwanziger Jahre. In der Vorstellung verwandelt sich die Schlange in Eva, zunächst in einer Jugendstil-Zeichnung, bis Lulu als diese Eva aus der Zeichnung steigt. Das Zirkus-Portal ist drehbar und verwandelt sich in das Atelier des Malers Schwarz, wobei oben auf dem Portal die Clowns, die nebenbei auch die Kapelle bedienen, als allgegenwärtige Beobachter erhalten bleiben. Der Medizinalrat, der Maler Schwarz und Dr. Schön verwandeln sich nacheinander nach ihrem Selbstmord in Clowns und werden ins Bühnengeschehen integriert. Alwa ist – besonders von der Frisur her – eindeutig als autobiografisches Abziehbild von Alban Berg dargestellt. Die Gräfin Geschwitz und Schigolch sind eher dekadente Gestalten der zwanziger Jahre, als sexuelle Spielpartner der Lulu. Der Clown, der einmal Dr. Schön war, verwandelt sich in Jack the Ripper und beendet den Abstieg Lulus mit einem Regenschirm.

Sänger und Orchester

Es ist, eine ideale Lulu-Besetzung, die man hier antrifft, allen voran Johnny van Hal. Sein durchschlagsstarker Tenor ist das dramatische Gegengewicht zur lyrischen Leichtigkeit des zurückhaltenden Soprans der Sine Bundgaard, die die Lulu nicht als eine hysterische Frau, sondern eher als eine Violetta Valérie leuchten läßt. Ebenfalls eine interessante Rolleninterpretation bieten Randi Stene (Gräfin Geschwitz) mit ihrem gut fundiertem Mezzo und Johann Reuter als stimmgewaltiger Bariton, der Dr. Schön/Jack the Ripper mit viel Wut in der Stimme darstellt. Auch die übrigen Rollen sind ausgezeichnet besetzt.

Michael Boder führt die königliche Kapelle sehr verschmitzt und verspielt durch die Abgründe der Zwölftontechnik. Während diese Klangbilder sonst manchmal abschreckend wirken, wirken sie hier eher elektrisierend und mitreißend. Die Entscheidung im dritten Akt die Violine und das Akkordeon (mit seinem mehr allgemeinen als spezifischen Klang) auf die Bühne zu stellen, kann man als durchaus ungewöhnlich bezeichnen, ergibt aber gerade in diesem Akt einen stimmigen Gegensatz zu der Clown-Kapelle.

Fazit

Hier ist Stefan Herheim sicher eine allgemeingültige Inszenierung gelungen. Zum einen, weil die Verlegung in die Entstehungszeit, der Wiener Sezession, sehr farbenprächtig wirkt. Zum anderen, weil er sich genau an das Original gehalten hat: die Clownerie und die Musiker sind aus der Handlung und der Partitur entwickelt, stellen keine weitere Erzählebene dar (wie so oft in seinen anderen Inszenierungen) und sind keinesfalls karikierend. So gibt es keine sexuellen Exzesse, sondern eher die familienfreundlich – aber tiefgründige Darstellung des Aufstiegs und Falls einer betörenden Frau. Auch Eberhard Kloke hält sich in seiner Spielfassung so nah wie möglich an Alban Bergs Komposition. So hat man den Eindruck, daß in Kopenhagen die Lulu sowohl szenisch als auch musikalisch in die Ära der Spätromantiker gerückt wurde. Und das ist für ein Werk der Zwölftontechnik ein schon fast revolutionäres Ergebnis, was vom restlos begeisterten Publikum mit riesigem Beifall für das Ensemble gewürdigt wurde.

Oliver Hohlbach

Bild: Miklos Szabo

Das Bild zeigt: Sine Bundgaard (Lulu)

Veröffentlicht unter Kopenhagen, Det Kongelige Teater, Opern