FIDELIO – Boston, Opera – Cutler Majestic Theatre

von Ludwig van Beethoven (1770-1827), Oper in zwei Aufzügen, Libretto: Joseph Sonnleithner und Georg Friedrich Treitschke, UA: Erste Fassung 1805, Wien, Theater an der Wien

Regie/Bühne: Thaddeus Strassberger, Kostüme: Nancy Leary, Licht: Christopher Ostrom, Produktionsleitung: Linda O’Brien

Dirigent: Gil Rose, Orchester und Chor der Opera Boston, Choreinstudierung: Edward Elwyn Jones

Solisten: Jason Ferrante (Jaquino), Meredith Hansen (Marzelline), Andrew Funk (Rocco), Christine Goerke (Leonore), Scott Bearden (Don Pizarro), Julius Ahn (1. Gefangener), John Salvi (2. Gefangener), Michael Hendrick (Florestan), Robert Honeysucker (Don Fernando)

Besuchte Aufführung: 22. Oktober 2010 (Premiere)

Kurzinhalt

Leonore liebt ihren Ehemann Florestan. Dieser allerdings ist seit seinem Versuch, die Verbrechen des spanischen Gouverneurs Don Pizarro zu enthüllen, spurlos verschwunden. Die von Sorgen geplagte Leonore heuert darum als Mann verkleidet unter dem Decknamen Fidelio im Staatsgefängnis nahe Sevilla an. Dies wird von Don Pizarro geleitet, der in seinem tiefsten Kerker einen unbekannten Gefangenen festhält. Leonore hofft, Florestan zu finden und wird zur emsigen Gehilfin des Kerkermeisters Rocco.

Als sich ein Kontrollbesuch des spanischen Ministers ankündigt, will Pizarro Florestan schnellstmöglich beseitigen und plant dessen Mord. Leonore muß das Grab für den Gefangenen mit ausheben. So erhält sie Zugang zum Kerker, wo sie Florestan in miserablem Zustand erkennt.

Als Pizarro herbeieilt, um Florestan zu töten, kann sich Leonore verstecken. Im entscheidenden Augenblick  gelingt es ihr, den Mord an Florestan zu vereiteln. In diesem Moment kündigt eine Fanfare die rettende Ankunft des Ministers an – Florestan ist frei.

Aufführung

Thaddeus Strassbergs Bühne zeigt einen ausladenden Raum in edlem Dekor mit zahlreichen Anspielungen auf den spanischen Katholizismus während der Inquisition. Er spiegelt sich in den prächtigen Gewändern der Mächtigen, während alle darunter Stehenden in farblich gedeckten Kutten oder Anzügen im Stil des 18. Jahrhunderts auftreten. Die Raumfunktion ändert sich gemäß dem musikalischen Szenenwechsel. Zu Beginn tummeln sich Marzelline und Jaquino in einem Atelier. Es folgt Roccos Schreibtisch, wo dieser über Marzellines Zukunft sinniert, sowie Don Pizarros Speisesaal, wo er genüßlich demonstriert, wie er Florestan aufspießen will. Im ersten Akt hängt ein großes Marienbild im Hintergrund, darüber liegt eine Galerie geistlicher Würdenträger. Hebt sich das Bild, eröffnet sich ein Blick in den Kerker auf den Gefangenenchor, der verschnörkelte Fußboden wird zum Grund des Gefängnisses. Ein bisweilen mitten in den Raum hinuntergelassenes Gitter grenzt die auftretenden Sänger in den Ensembles voneinander ab.

Sänger und Orchester

Der Abend beginnt vielversprechend: Jason Ferrante (Jaquino) brilliert mit hervorragender Textverständlichkeit, witzig-charmantem Schauspiel und präzisem Gesang, geht allerdings manchmal im Duett mit Meredith Hansen (Marzelline) unter. Sie überzeugt mit Koketterie und innigem Timbre – besonders am musikalischen Höhepunkt des Abends, dem Quartett Mir ist so wunderbar (Fidelio, 1. Akt)

Christine Goerke (Leonore) singt auch in höchsten Registern sicher, aber unnötig laut und mit zu starkem Vibrato, weshalb manch überflüssiges Luftschnappen auf Kosten des Textes geht. Enttäuschend ist Michael Hendrick (Florestan), dem die Stimme dynamisch und tonal in den Höhen anfangs massiv entgleitet. Später ist er darstellerisch durch die umso konzentrierter genommenen Einsätze blockiert. Mit seiner kraftvollen und kontrollierten Stimme erfreut Andrew Funk (Rocco), dem das Orchester rhythmisch jedoch oft voraus ist, was auch die Ensembles beeinträchtigt. Ausbaufähig ist die Kommunikation zwischen Orchester und Scott Bearden (Don Pizarro), während Robert Honeysucker (Don Fernando) mit seinem angenehmen Baß rundum überzeugt. Von Anfang an blaß klingt das Orchester, so daß viele Phrasierungen und Soli in dem kleinen Saal untergehen, wenngleich die Tempoübergänge durchweg souverän sind. Hervorstechend frisch sprudeln die Oboensoli, die Hörner hingegen hangeln sich stolpernd durch Leonores Komm, Hoffnung (1. Akt). Der von Edward Elwyn Jones einstudierte Chor ist dank der warmen Männerstimmen eine Freude.

Fazit

Die unbefriedigende dynamische Gestaltung lenkt die Aufmerksamkeit oft ins Visuelle, was aber wegen der wenig koordinierten Personenführung schnell ermüdet. Hatten Marzelline und Jaquino anfangs noch die Lacher auf ihrer Seite, so zerstob dieser Eindruck spätestens bei Florestans Auftritt, wobei man störende Lichtquellen auf der Bühne im Zuschauerraum per Programmheft abzuwehren versuchte. Der Applaus fiel respektvoll aus, diesen Abend aber will mancher Stammgast trotz der einladenden Atmosphäre des Cutler Majestic Theatres lieber nicht wiederholen. Weniger Forte im Gesang und mehr Phrasierung im Orchester hätte das Wiedersehen von Florestan und Leonore womöglich in süßes Glück, das Beethovens Partitur in vielen Momenten innewohnt, verwandelt.

Carolin Krahn

Bild: Clive Grainger

Das Bild zeigt: Christine Goerke (Leonore), Meredith Hansen (Marzelline) und Andrew Funk (Rocco) (Terzett „Gut, Söhnchen, gut“, 1. Aufzug)

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