Wiesbaden, Hessisches Staatstheater – DER FREISCHÜTZ

von Carl Maria von Weber (1786-1826), Romantische Oper in drei Aufzügen
Libretto: Johann Friedrich Kind
Zusätzliche Texte von Johann Wolfgang Goethe, Heinrich von Kleist, Andreas Gryphius
UA: 18. Juni 1821, Königliches Schauspielhaus, Berlin
Regie: Dietrich Hilsdorf, Bühne: Dieter Richter, Kostüme: Renate Schmitzer
Dirigent: Marc Piollet, Orchester des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Solisten: Thomas de Vries (Ottokar), Axel Wagner (Kuno), Astrid Weber (Agathe), Emma Pearson (Ännchen), Thomas Jesatko (Kaspar), Martin Homrich (Max), Christoph Stephinger (Ein Eremit), Brett Carter (Kilian), Zygmunt Apostol (Samiel), Monika Baumgartner, Andrea Diedrich, Heike Schmidt, Barbara Schramm (Brautjungfern)
Besuchte Aufführung: 26. Januar 2008 (Premiere)

Kurzinhalt
freischuetz-wiesbaden.jpgDer Jägerbursche Max versagt beim Probeschießen. Doch um Agathe, die Tochter des Erbförsters Kuno, heiraten zu dürfen, muss Max beim Probeschießen am nächsten Tag das Ziel treffen. Da hat der Jäger Kaspar eine gute Idee: er schlägt vor, sich mit Max in der Wolfsschlucht zu treffen, um mit der teuflischen Hilfe Samiels sieben Freikugeln zu gießen. Die Freikugeln treffen immer ihr Ziel. Doch die Sache hat einen Haken: die letzte der sieben Kugeln darf Samiel selbst leiten. Währenddessen ist Agathe mit ihrer Vertrauten Ännchen daheim, und wird von bösen Vorahnungen geplagt. Um Mitternacht gießen Max und Kaspar die Kugeln.
Agathe träumt, sie wäre eine weiße Taube, und Max würde sie erschießen. Daraufhin kommen die Brautjungfern, um Agathe mit der Brautkrone zu schmücken, doch in der Schachtel liegt eine Totenkrone. Um die Situation zu retten, stellt Ännchen aus den weißen Rosen eines Eremiten einen neuen Kranz her. Beim Probeschießen soll Max eine weiße Taube treffen. Doch die beiden Jäger haben bereits sechs der sieben Freikugeln verpulvert. Max schießt, obwohl er weiß, dass Samiel die Kugel lenkt. Agathe und Kaspar gehen zu Boden. Zum Schluss erscheint der Eremit und bittet den Fürsten Ottokar, Max zu begnadigen.
Die Aufführung
Eigentlich spielt die Oper 1648, nämlich am Ende des Dreißigjährigen Krieges. Und so sind die Folgen des Krieges auch auf dem Bühnenbild von Dieter Richter noch deutlich zu erkennen: ausgebrannte Gebäude, zerstörte Häuserfronten. Doch schon nach kurzer Zeit bemerkt man, dass Dietrich Hilsdorf nicht das Ende des Dreißigjährigen Krieges meint, sondern die Handlung in die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges verlegt, also 1948. Im Harz. Zwischen Schierke und Elend. Am Ende des tausendjährigen Krieges wählt Hilsdorf den Schauplatz seiner Handlung. An der zertrümmerten Fassade sind noch die Spuren des Adlers und des abgeschlagenen Hakenkreuzes zu sehen, auf der Bühne patrouillieren Soldaten in SS-Montur und unterdrücken die Bauern. Da betreten Sträflinge die Bühne, da werden Gefangene exekutiert, der Jägerchor wird zu einer Jagd des „Angsthasen“, der von den Soldaten geschändet wird. Und während Max und Kaspar die Freikugeln gießen, erschießen die Soldaten im Hintergrund zu jeder Kugel einen Gefangenen. Immerhin paßt dies vielleicht zum satanischen Ritual, wenn sich der Teufel dabei nach und nach immer neue Seelen holt. Das konservative Wiesbadener Publikum protestiert jedoch mit massiven Buh-Rufen gegen die Gewalt- und Schändungs-Szenen: Sie wollen eine Romantische Oper sehen. Doch die wird ihnen an diesem Abend nicht geboten.
Nichtsdestotrotz gibt es viele raffinierte Ideen in der Inszenierung. So etwa der Theatereffekt zu Beginn der Oper, der durch mehrere transparente Vorhänge erzielt wird, auf denen der Wald zu erkennen ist. Dahinter werden während der Ouvertüre schon Andeutungen auf die spätere Handlung gemacht. Agathe erhält beispielsweise zu Beginn die weißen Rosen vom Eremiten, und Max erdrosselt ein Kind im Kinderwagen. Daran lässt sich schon früh erkennen, dass Agathe nach Hilsdorfs Interpretation schon vor der Hochzeit schwanger ist: Mit dem Ännchen futtert sie Gurken in der Schlafkammer, und später rufen die Bauern hinein: Es stinkt! Sie füttert zwei, wenn sie nun isst und trinkt!, frei nach Goethes Faust. Damit erhält natürlich auch Kunos Absicht, Max und Agathe schnell zu verheiraten, einen neuen Beweggrund.
Auf künstlerischer Ebene bewegt sich die Oper auf einem musikalisch hohen Niveau. Martin Homrich singt präzise einen sehr gefühlvollen Max. Thomas Jesatko als Kaspar meistert vor allem die Läufe gut, und gibt sich böse. Astrid Weber, die die Agathe spielt, gibt alle Gefühlszustände sehr gut wieder: Sie singt bald besorgt, bald freudig, mal sanft und mal voluminös. Emma Pearson als Ännchen erfreut durch einen angenehmen, hellen Klang.
Auch das Orchester unter der Leitung von Marc Piollet liefert eine brillante Vorstellung. Vor allem die für den Jägermythos so wichtigen Hörner spielen sehr sauber. Generell konnte man sich auch über ein gutes Zusammenspiel von Orchester und Chor beziehungsweise Solisten und über die einwandfreie Verständlichkeit der Texte freuen.
Fazit
Die Zuschauer sind mit der provokanten Inszenierung mehr als unzufrieden, die musikalische Darbietung von Orchester und Sängern erhält breite Zustimmung.
Tosender Applaus für das Ensemble, Bravi für die Musiker, Buhs für die Inszenierung.
Julia Korst                                                                       Foto: Martin Kaufhold

Veröffentlicht unter Opern, Wiesbaden, Staatstheater

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