DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN – Essen, Aalto-Theater

Operette in drei Akten von Emmerich Kálmán, Text von Leo Stein und Béla Jenbach, Neufassung der Dialoge: Michael Sturminger, UA 13. November 1915, Wien
Regie: Michael Sturminger, Bühne/Kostüme: Renate Martin/Andreas Donhauser, Choreographie: Craig Revel Horwood
Dirigent: Stefan Soltesz, Essener Philharmoniker, Chor des Aalto-Theaters
Solisten: Bea Robein (Sylva Varescu), Peter Bording (Edwin), Albrecht Kludszuweit (Boni Káncsiánu/Benjamin Koppstein), Astrid Kropp-Menéndez (Stasi), Günter Kiefer (Feri Bácsi), Mark Weigel (Eugen von Rohnsdorff) u.a.
Besuchte Aufführung: 20. März 2010 (Premiere)

Kurzinhalt
Österreich-Ungarn kurz vor dem ersten Weltkrieg: In Budapest genießt Fürst Edwin von Lippert-Weylersheim mit seinen Freunden Boni Káncsiánu und Feri Bácsi das süße Leben. Er verliebt sich in die Varieté-Sängerin Sylva Varescu und will sie heiraten. Edwins standesbewußte Eltern sind entsetzt. Bevor sie ihn zur Rückkehr nach Wien zwingen, gibt er Sylva ein schriftliches Heiratsversprechen. Sie aber trennt sich von Edwin, als sie erfährt, daß er bereits mit der Komtesse Stasi verlobt ist. In Wien begegnen sich die beiden wieder: Sylva gibt sich auf einem Ball der Lippert-Weylersheims als Gattin von Boni Káncsiánu aus. Die Situation scheint bereinigt, als sich Boni und Stasi ineinander verlieben. Da Edwins Eltern aber nach wie vor gegen die Verbindung sind, zerreißt Sylva öffentlich das Heiratsversprechen. Erst nach einer Reihe von weiteren Verwicklungen finden die Paare zueinander und brechen gemeinsam zu einer Amerika-Tournee auf.
Aufführung
Die Regie verlegt die Handlung in das Jahr 1940 und hat dafür neue Dialoge verfaßt. Bühnenbild, Kostüme und Choreographie geben Zeit und Ort historisch genau wieder. Die ausgiebig genutzte Drehbühne garantiert schnelle, fast filmreife Szenenwechsel. Sylva wird in der Essener Fassung zur Jüdin, Edwin zum arischen Wehrmachtsoffizier. Boni Káncsiánu heißt hier Benjamin Koppstein und ist ein jüdischer Impresario, der mit Sylva nach Amerika fliehen will. Edwins Vetter Eugen von Rohnsdorff, für den Kálmán eigentlich nur einen kurzen Auftritt vorgesehen hat, wird als fieser SS-Obersturmbannführer zu einer wichtigen Figur. Immer wieder versucht er das Paar auseinanderzubringen – bis er schließlich von Edwins Mutter erschossen wird. Am Ende entschließen sich Sylva, Edwin, Boni-Benjamin, Stasi und die Eltern Lippert-Weylersheim zur gemeinsamen Flucht nach Amerika.
Sänger und Orchester
Bei dem Dirigenten Stefan Soltesz, Wiener ungarischer Herkunft, und den Essener Philharmonikern ist die Csardasfürstin in den allerbesten Händen: Federleicht kommt Kálmáns mal spritzige, mal sentimentale, aber immer elegante Musik daher. Vorbildlich gelingen die abrupten Wechsel in Tempo und Dynamik, die nicht oft so vollendet ausmusiziert zu hören sind. Auch das Ensemble hält die Fahne für die Wiener Operette hoch. Zum Publikumsliebling avanciert Peter Bording (Edwin), ein hochgewachsener Beau und flotter Tänzer. Bording gehört zu der seltenen Sänger-Spezies, die ihre Dialoge in Wortsinn und Aussprache deutlich darstellen können. Daß sich das Ohr an seinen nasalen, engen Bariton erst gewöhnen muß, fällt kaum ins Gewicht. Bea Robeins (Sylva) voller, dunkler Mezzosopran ist vielleicht etwas zu schwer für dieses Repertoire (auch wenn sie die Stimme zurückzunehmen weiß), gibt der Figur aber eine Tiefe, die man sonst vermißt. Astrid Kropp-Menéndez (Stasi) spielt und singt anmutig und mit leichtem Ton den verliebten Backfisch. Mit seinem Teddybären-Charme und prickelnd wie Champagner dargebotenen Hits wie Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht kann Albrecht Kludszuweit (Boni) nach Bording den meisten Applaus für sich verbuchen.
Fazit
Ein Werk durch Eingriffe in den Text passend für die eigene Sichtweise zu machen, ist ohne Zweifel ein fragwürdiger Ansatz. Trotzdem: Die neuen Dialoge von Regisseur Michael Sturminger und die Musik fügen sich nahtlos zu einem Ganzen. Überflüssig sind nur aufgesetzt wirkende Anspielungen auf Hitlers Beziehung zu Kálmán oder auf Hugo Boss’ Vergangenheit als Designer für SS-Uniformen. Geschmälert wird die Wirkung der temporeichen, Hollywood-reif ausgestatteten und mit Filmzitaten von Ernst Lubitsch bis Quentin Tarantino reichlich gespickten Inszenierung dadurch aber nicht: Sturminger hält die Spannung bis zum überraschenden Showdown. Wie Dirigent und Orchester bekennt er sich zum ureigenen Auftrag der Operette: mit leichter Hand zu unterhalten. Dies ist rundum gelungen und wird vom Publikum angemessen gewürdigt – auch wenn sich im allgemeinen Jubel für alle Beteiligten auch einige hartnäckige Buhrufe halten.

Dr. Eva-Maria Ernst

Bild: Harald Reusmann
Das Bild zeigt: Verlobung: Bea Robein (Sylva Varescu) und Peter Bording (Edwin)

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