Die Frau ohne Schatten – Berlin, Deutsche Oper

von Richard Strauss (1864-1949), Oper in drei Akten, Text von Hugo von Hofmannsthal, UA: 1919 Wien

Inszenierung: Tobias Kratzer, Ausstattung: Rainer Sellmaier, Lichtdesign: Olaf Winter, Video: Manual Braun, Jonas Dahl und Janic Bebi, Dramaturgie: Jörg Königsdorf

Dirigent: Sir Donald Runnicles, Orchester der Deutschen Oper Berlin

Chor der Deutschen Oper Berlin, Einstudierung: Jeremy Bines

Kinderchor und Junger Chor der Deutschen Oper Berlin, Einstudierung: Christian Windhorst

Solisten: Daniela Köhler (Kaiserin), Clay Hilley (Kaiser), Marina Prudenskaya (Amme), Patrick Guetti (Geisterbote), Catherine Foster (Baraks Frau), Jordan Chanahan (Barak, der Färber), Hye-young Moon (Hüter der Schwelle), u.v.a.

Besuchte Aufführung: 26. Januar 2024 (Premiere)

Kurzinhalt

Die Kaiserin der südöstlichen Inseln stammt aus dem Feenreich. Noch gehört sie nicht ganz zu den Menschen, denn sie wirft keinen Schatten und kann keine Kinder empfangen. Ihrem Gatten steht darum die Verwandlung in Stein bevor. Die Amme der Kaiserin, die sich insgeheim zum Ziel gesetzt hat, sie wieder zurück in das Feenreich zu bringen, gibt vor, ihr helfen zu wollen und macht sich mit ihr auf in die Menschenwelt zu dem Färber Barak und seiner jungen Frau. Auch sie haben keine Kinder, allerdings weil die Färbersfrau es so will. Die Amme versucht, der Färbersfrau ihren Schatten und damit ihre Fruchtbarkeit abzukaufen, doch die Kaiserin schreckt davor zurück, ihr Glück mit dem Leid anderer zu erkaufen. Sie empfindet Mitleid mit dem ehrlichen und sanftmütigen Barak, dessen Wunsch nach Kindern unerfüllt zu bleiben droht, wenn die Intrige der Amme aufgehen sollte, und dessen Frau sich ihm gegenüber immer feindseliger verhält. Die Kaiserin erlöst durch ihren Verzicht auf den Schatten der Färbersfrau ihren Mann, den Kaiser, und rettet die Ehe des Färberpaares. Ihr Vater, der Geisterfürst Keikobad, erfüllt ihr zudem ihren Wunsch, in die Menschenwelt hinüberzuwechseln und einen Schatten zu werfen. Die Amme verurteilt er dazu, unter den ihr verhassten Menschen leben zu müssen.

Aufführung

Die Drehbühne zeigt immer wieder verschiedene Interieure und wird meistens während der instrumentalen Zwischenspiele bewegt. Das Ambiente, in dem wir uns befinden, ist das der Gegenwart und die Handlung hat einige entscheidende Veränderungen erfahren. Die Ehe von Kaiser und Kaiserin befindet sich in der Krise. Der Kinderwunsch lastet auf beiden. Der Kaiser versucht, seinen Kummer zu betäuben, die Kaiserin begibt sich mit der Amme zu dem Färberehepaar, das eine chemische Reinigung betreibt. Auch deren Ehe steht kurz vor dem Scheitern, weil die Färberin ganz und gar nicht auf Mutterschaft aus ist. Die Amme schlägt ihr jedoch einen Handel vor, auf den die Färbersfrau eingeht: Für eine Leihmutterschaft soll sie Geld und Güter bekommen. Doch die künstliche Befruchtung schlägt fehl und stürzt beide Paare in eine existentielle Krise. Auch der letzte Akt, in dem die beiden Paare Prüfungen zu bestehen haben, ist aus der Märchenwelt in die Gegenwart versetzt und schreibt die originale Handlung um: Barak und seine Frau unterziehen sich einer Ehetherapie, allerdings erfolglos, und unterschreiben dann die Scheidung. Die Amme begibt sich mit der Kaiserin zu einem Heim, um ein Kind zu adoptieren, doch die Kaiserin weigert sich. Bei ihr zu Hause warten bereits Freunde und Familie zusammen mit ihrem versteinerten Mann auf die Ankunft des Kindes. Das Bekenntnis der Kaiserin, kein Kind zu wollen, erweckt ihn aus seiner Starre. Beide Gatten finden sich wieder und unter den versöhnlichen Klängen des Nachspiels holt Barack seine kleine Tochter aus dem Kindergarten ab. Die jeweiligen Räumlichkeiten – die Wohnung des Kaiser-Ehepaares, des Färberehepaares, die Praxis der Ehetherapeutin etc. – werden durch das Mobiliar andeutet. Szenenwechsel bei offenem Vorhang sind die Regel, bei dem das Bühnenpersonal oft während der orchestralen Zwischenspiele die Einrichtung ändert. Die Personenregie ist beweglich und sieht viele Aktionen vor, mitunter mit humoristischen Einschlägen, etwa wenn Barak den Fernseher anstellt, um sich eine Schlagersendung mit den drei Flippers anzusehen, während der Gesang der drei Wächter zu hören ist.

Sänger und Orchester

Erwartungsgemäß gestaltete Sir Donald Runnicles mit dem Orchester der Deutschen Oper das stark besetzte Werk analytisch und klanglich transparent. Die Chöre sangen stets hinter der Szene. Die Wahl der Tempi und die eher zurückgenommene Lautstärke kamen den Solisten entgegen, die nicht nur ihre schweren Partien zu singen, sondern auch darstellerisch viel Feinarbeit zu leisten haben. Die Aktionen sind rhythmisch auf die Musik abgestimmt. Was ihren schauspielerischen Part betrifft, machten alle Sänger eine gute Figur. Daniela Köhlers (Kaiserin) Gesang wirkte zu Anfang etwas nervös, was an ihrem schnellen Tremolo liegen kann. Sie hat sowohl die Höhe als auch die für diese Partie erforderliche Strahlkraft der Stimme. Clay Hilley gab einen desolaten Kaiser und setzte die lauten, hohen Töne souverän. Marina Prudenskayas Amme ist gouvernantenhaft und von ihrem Habitus betont distinguiert, man nimmt ihr den Abscheu vor der Menschenwelt ohne weiteres ab. Sie hat eine volle tiefe Lage. Patrick Guetti (Geisterbote) ist stimmlich und physisch eine beeindruckende Erscheinung, allerdings klingt seine voluminöse Stimmgebung etwas angestrengt. Catherine Foster (Baraks Frau) stand im Zentrum der Aufmerksamkeit. Gesanglich hat sie keine Probleme mit ihrer anspruchsvollen Partie. Hinzu kommt eine burschikose, ihrer Rolle als frustrierter Frau des Kleinunternehmers und -bürgers Barak gut anstehende Körpersprache. Sie ist ungefähr einen Kopf größer als Jordan Chanahan (Barak, der Färber), womit das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen beiden in ihren Attacken auf ihn deutlich sichtbar wird. Chanahan gibt seiner Rolle viele Nuancen. Sein Barak ist nicht nur gutmütig und verzeihend, sondern leidet an seiner unglücklichen Ehe. Deren Ende bedeutet für ihn eine Befreiung. Chanahan singt wie alle Sänger an diesem Abend, von denen nur wenige Muttersprachler sind, mit hervorragend deutlicher Aussprache und dank des zurückgenommenen Orchesters können sie auch klanglich sprecherisch modifizieren.

Fazit

Diese Produktion ist sowohl szenisch als auch musikalisch auf Klarheit und das Herausarbeiten von Strukturen bedacht. Es geht nicht um das Schaffen einer märchenhaft-entrückten Atmosphäre, sondern das Publikum wird mit einer Handlung konfrontiert, die sich im Hier und Jetzt abspielt. Vielleicht war das manchem zu nüchtern. Jedenfalls gab es für den Dirigenten vereinzelte Buhs, trotz einer handwerklich vollkommen gediegenen Leistung, die das Heraushören von motivischen Details zu einem wahren Vergnügen machte. Beim Erscheinen des Regieteams wurde es dann richtig laut im Saal, als die Buhrufe zunahmen und zugleich derjenige Teil des Publikums, dem die Inszenierung gefallen hatte, sie zu übertönen versuchte. Diese Produktion weckt starke Emotionen. Sie behandelt trotz ihrer Aktualisierung und der komödiantischen Einlagen das Stück nicht despektierlich, sondern läßt die starken musikalischen Energien, die es freisetzt, in eine Deutung der Oper einfließen, die große ergreifende Momente hat. Das eher zurückhaltende Spiel des Riesenorchesters läßt Raum für kraftvolle dynamische Steigerungen wie etwa am Ende des 2. Aktes und das Geschehen auf der Bühne, das auf Effekte verzichtet und sich stets auf eine Aktion konzentriert, verschafft der Musik alle nur wünschenswerte Präsenz. Mit anderen Worten: Musikalische und szenische Interpretation spielen schön ineinander und präsentieren eine schlüssige, geradlinige Deutung des symbolbeladenen Stoffes.

Dr. Martin Knust

Bild: Matthias Baus

Das Bild zeigt: Daniela Köhler (Kaiserin) mit Statisten

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