Daphne – Staatsoper unter den Linden, Berlin

von Richard Strauss (1864-1949), bukolische Tragödie in einem Akt, Libretto von Joseph Gregor, UA: 1938 Dresden

Dirigent: Thomas Guggeis, Staatskapelle und Staatsopernchor Berlin; Choreinstudierung: Martin Wright

Solisten: Vera-Lotte Boecker (Daphne), René Pape (Peneios), Anna Kissjudit (Gaea), Magnus Dietrich (Leukippos), Pavel Černoch (Apollo) u.v.a.

Romeo Catellucci (Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme, Licht), Evelin Facchini (Choreographie) und viele Mitarbeiter

Besuchte Aufführung: 19. Februar 2023 (Premiere)

Kurzinhalt

Daphne, Tochter der Gaea und des Fischers Peneios, weilt am Abend des Dionysosfestes bei ihrem Lieblingsbaum. Sie fühlt sich den Pflanzen stärker verbunden als den Menschen. Ihr Vater ruft die Schäfer mit einem Horn zum Fest, das dem Rausch und der Zeugung gewidmet ist. Unter ihnen befindet sich Leukippos, den Daphne seit ihrer Kindheit kennt und der sie nun als erwachsener Mann zu begehren beginnt. Daphne weist ihn zurück. Zwei Mägde überreden ihn, sich in Frauenkleidern unter die Feiernden zu mischen, um seine Annäherungsversuche fortsetzen zu können. Unterdessen erscheint Apollo als Hirte verkleidet, der Daphne ebenfalls begehrt und sie mit einem Kuß erschreckt. Er ist eifersüchtig auf Leukippos, den er demaskiert und dem er vorwirft, das Fest des Dionysos entweiht zu haben, gibt sich als Phöbus Apollo zu erkennen und tötet Leukippos mit einem Blitz. Von Reue geplagt bittet er daraufhin den Göttervater Zeus Kronion, Leukippos unter die Götter zu versetzen und Daphne ihren Wunsch, eins mit den von ihr am meisten geliebten Geschöpfen zu werden, zu erfüllen. Sie verwandelt sich in einen Lorbeerbaum.

Aufführung

Schon beim ersten Blick auf die Bühne wurde deutlich, daß es sich die Regie zum Ziel gesetzt hatte, das Werk gehörig gegen den Strich zu bürsten. Statt einer heißen, trockene, griechischen Landschaft befinden wir uns in einer arktischen Polarnacht. Es schneit ständig, die Bühne ist dunkel – auch wenn die Beleuchtung sich häufig stimmungsvoll ändert und ein paar Polarlichter angedeutet werden – und die Akteure laufen in dicker Winterbekleidung herum, mit einer Ausnahme: Daphne entledigt sich bereits bei ihrem ersten Monolog ihrer Kleider und singt dann fast den ganzen Abend über in Unterwäsche. Apollo entsteigt einem klassischen Relief, das sich aus dem Schnee erhebt, die Fischer um Peneios angeln auf dem Eis und rituelle Handlungen werden mit wenigen Requisiten nur angedeutet. So liegt Daphne während der Dionysosfeier auf einem schlichten weißen Altar und scheint zu bluten, der enttarnte Leukippos wird mit einem Kanister Blut übergossen, der auf einer Säule im auf ihn Vordergrund wartet, die Männer wappnen sich für die Zeremonie mit Thyrsosstäben und Daphnes Begegnung mit Apollo gipfelt im Tausch seines weißen Mantels, den er ihr überzieht. Das entscheidende Requisit, der Baum, der Daphnes bester Freund ist, ist ein dürres, kahles Gewächs, das sie am Ende der Oper ausreißt und das im Zentrum der Bühne schweben bleibt, während sie sich bei ihrer Verwandlung mit dunkler Farbe einreibt und im Schnee vergräbt. Die Choreographie der Chöre war beweglich. Allerdings sangen die Solisten häufig nach Art von Konzertsängern nebeneinander stehend frontal ins Publikum hinein. Bei der Bühnentechnik kam es an diesem Abend zu ein paar Zwischenfällen. Mitunter polterte es laut im Hintergrund und beim ersten Vorhang nach dem Stück hatten die Bühnentechniker es noch nicht geschafft, die Szene zu verlassen.

Sänger und Orchester

Das üppige, ständig changierende, farbige Orchester und die dunkle, an Farben arme und monotone Bühne stehen in seltsamem Kontrast zueinander. Thomas Guggeis dirigierte die Staatskapelle sicher und präsentierte viele klanglich schön austarierte Passagen. Doch war das großbesetzte Orchester stellenweise zu laut für die Sänger. Vera-Lotte Boecker hat eine jugendliche, bewegliche Stimme von großer Strahlkraft, mit der sie ihre exzeptionell anspruchsvolle Partie mit scheinbarer Leichtigkeit meisterte. Darstellerisch war ihr Vortrag ebenso beweglich und engagiert und sie trug mit ihrer Leistung die nicht gerade verständliche Handlung, die an diesem Abend dem Publikum präsentiert wurde. René Pape gab einen erhaben über die Szene schreitenden und stimmlich vollen Peneios. Seine Leistung wurde allerdings von Anna Kissjudit als Gaea in den Schatten gestellt. Ihre tiefen Brusttöne waren unglaublich voluminös und standen klanglich klar über dem Orchester. Magnus Dietrich (Leukippos) sang und spielte kraftvoll und mit großer Hingabe. Seine Stimme hat eine schöne Spitze, die Pavel Černoch (Apollo) ein wenig fehlt. Auch wenn er keine kleine Stimme hat, klang sie doch über weite Strecken etwas verschleiert. Darstellerisch ist er hingegen eine eindrucksvolle Erscheinung. Der Text war bei den Männern recht schlecht zu verstehen, was aber auch zu einem guten Teil der Komposition geschuldet sein dürfte.

Fazit

Den ausbleibenden Erfolg von Strauss‘ Daphne hat man oft dem Libretto angelastet. Man kann die recht statuarische Dramaturgie, die gestelzte Sprache oder auch die nicht sonderlich stringente Entwicklung der Handlung in der Tat kritisch sehen. Statt jedoch zu versuchen, Klarheit in diese schwer verständliche Oper zu bringen, lud man sie mit zusätzlichen Symbolen und Bedeutungsebenen auf. Der dunklen Szene entsprach an diesem Abend der dunkle Sinn der Inszenierung. Das ist nicht immer von Schaden und ließ einige ergreifende Momente – den Auftritt Apollos und seine Begegnung mit Daphne etwa – entstehen. Dann gab es aber auch ein paar Einfälle, die überaus schlicht und plakativ daherkamen, etwa Daphnes an den Gekreuzigten erinnernde Seitenwunde, die thematisch ziemlich deplaziert daherkam, oder (unfreiwillig?) komische Momente, etwa, wenn Daphne dem vom Blitz getroffenen Leukippos eine Herz-Lungen-Massage verpaßt. Es mag dieser Inszenierung eine tiefgründige einheitliche Idee zugrunde liegen. Erschlossen hat sie sich mir in dem Falle aber nicht.

Dadurch, daß die Handlung recht schemenhaft bleibt – sowohl inhaltlich als auch visuell –, tritt die Musik umso stärker in den Vordergrund. Das ist vielleicht das größte Verdienst dieser Aufführung, der Musik den Vortritt zu lassen, denn die Qualität der musikalischen Darbietungen ließ die Schönheit dieses Spätwerkes voll zur Geltung kommen.

Dr. Martin Knust

Bild: Monika Rittershaus

Das Bild zeigt: Pavel Černoch (Apollo), René Pape (Peneidos), Anna Kissjudit (Gaea), Herren des Staatsopernchores

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