Wie der Fisch zum Meer fand – München, Nationaltheater

von Franziska Angerer, Musiktheater/Tanztheater für Kinder ab 4 Jahren, nach der Geschichte The Fish Who Found The Sea von Alan Watts. Szenen aus Generation Goldfish von Charlotte Edmond (UA: Juni 2021), München, UA: 24. September 2022, München, Nationaltheater

Regie: Franziska Angerer/Ballettszenen: Charlotte Edmonds/Einstudierung Ballettszenen: Thomas Mayr/Komposition: Katya Richardson/Livemusik und Erzählstimme: Christine Börsch-Supan/Bühne: Dieter Eisenmann/Kostüme: Charlotte Edmonds, Susanne Stehle/Regieassistenz: Magdalena Padrosa/Dramaturgie: Serge Honegger/Technische Produktionsleitung: Andrea Hajek/Beleuchtung: Franz-Leonhard Zels/Lichtpult: Johannes Unger/Video: Lea Heutelbeck

Mitwirkende: Judith Seibert (Fisch)/Severin Brunhuber (Gill)/Sinéad Bunn (Red)/Christine Börsch-Supan (Meer)

Besuchte Aufführung: 24. September 2022 (Premiere)

 

Kurzinhalt

Der Kleine Fisch genießt sein Dasein im Großen Meer. Er schwimmt fröhlich und leichtflossig durch das Wasser und bemerkt dabei gar nicht, daß er sich im Wasser befindet und schwimmt. Er schwimmt gemeinsam mit anderen Fischen und Meerestieren und manchmal schwimmt er auch allein für sich. Das Schwimmen ist für ihn so selbstverständlich wie für die Menschen das Atmen, und er bemerkt eigentlich gar nicht, daß er schwimmt und damit Teil des Großen Meeres ist.

Eines Tages aber fragte er sich, wie das Schwimmen überhaupt vor sich ging. Fast augenblicklich wußte er gar nicht mehr, wie das Schwimmen geht. Er bekam große Angst davor, daß er in die tiefe Dunkelheit des Großen Meeres unter ihm abstürzen könnte. Der Kleine Fisch geriet in heftige Panik und wußte sich in seiner Not nicht anders zu helfen, als seine Schwanzflosse zu schnappen. Er glaubte, wenn er nur die Schwanzflosse erwischen würde, dann könne er wieder so selbstverständlich schwimmen wie zuvor. Der Kleine Fisch nahm alle seine Kraft zusammen und versuchte immer und immer wieder, seine Schwanzflosse mit dem Maul zu schnappen. Die Fische Red und Gill schwammen vorbei und versuchten, ihm zu helfen und ihn zu unterstützen. Der Kleine Fisch aber hatte nur seine Schwanzflosse im Sinn und nahm kaum Notiz von den anderen Meeresbewohner*innen.

Nach vielen, vielen Versuchen war der Kleine Fisch müde und schon ganz schwach. Da sprach ihn plötzlich das Große Meer an und wollte wissen, was er da tue. Der Kleine Fisch glaubte, keine Zeit für das Meer zu haben. Das Große Meer aber fragte, warum er denn noch nicht in die Tiefe gestürzt sei, wenn er doch gar nicht schwimmen konnte. Und in diesem Moment fiel dem kleinen Fisch auf, daß er ja bereits am Schwimmen war. Von diesem Augenblick an war der Fisch unheimlich glücklich und erleichtert. Er bemerkte, wie er vom Großen Meer getragen wurden und daß er selbst ein wichtiger Teil des Großen Meeres war.

Aufführung

Die Parkettgarderobe des Nationaltheaters war zu Vorstellungszwecken umgestaltet worden: Matratzen luden zum gemütlichen Liegen und Kuscheln ein, spiegelnde Flächen erinnerten direkt an Unterwasserwelten. Durchsichtige, heliumgefüllte Luftballons an langen Schnüren symbolisieren Wasserblasen. Drei Goldfische schwimmen in einem kleinen Aquarium. Im Zentrum der freien Fläche in der Mitte, die als Bühne fungierte, steht eine nostalgische Badewanne mit Löwenfüßen, die auf Rollen bewegt werden kann. Durch diese „andere“ Bühne sind die Darstellenden für die Kinder zum Greifen nah.

Vor dem Eintreten in den Raum werden die Zuschauenden gebeten, ihre Schuhe auszuziehen. Auf diese Weise wird das Musiktheater-Erlebnis noch gemütlicher.

Sänger/Darstellende und Musik

Darstellerin Judith Seibert singt und tanzt sich von Anfang an in die Herzen der Zuschauenden. Ihre sorglosen, fröhlichen Töne zu Beginn muten kindlich an und lassen viel Raum für Identifikation für das junge Publikum. Ihre Darstellung gelingt im Lauf der gesamten Vorstellung überzeugend. Sowohl im Zusammenspiel mit den Fischen Gill (Severin Brunhuber) und Red (Sinéad Bunn), im „Duett“ mit dem Großen Meer (Christine Börsch-Supan), aber auch in solistischen Szenen wie im Kampf mit der widerspenstigen Schwanzflosse ist die Figur des Kleinen Fischs fortwährend lebendig.

Sinéad Bunn hingegen stellt einen ganz anderen Fisch dar, mit weichen, fließenden Bewegungen aus dem Bereich des klassischen Balletts. Einen ebenso anderen Fisch stellt Severin Brunhuber als einziger männlicher Darsteller dar. Gill und Red treten so als gelungener Gegenpol zum Kleinen Fisch auf und setzen sich mit ihrer Existenz im Großen Meer scheinbar kaum auseinander.

Christine Börsch-Supan als das Große Meer nimmt eine andere Rolle ein. Sie begrüßt die Kinder zu Beginn und sorgt auch für die Live-Musik. Hierbei verwendet sie beispielsweise das Gluckern des Wassers als Begleitung zu den Bewegungen der anderen Darstellenden und duettiert mit diesem Gluckern beispielsweise auch mit dem Kleinen Fisch, der zu Beginn eine Colaflasche nebst Strohhalm in der Hand hält und so ebenfalls gluckern kann.

Die Musik des Stückes ist grundsätzlich abwechslungsreich und dient insbesondere dazu, die Stimmungen in den einzelnen Szenen zu verstärken.

Fazit

Wie der Fisch zum Meer fand ist Musiktheater im besten Sinne: Musik, Darstellung, Tanz, multimediale Darstellung, Live-Performance, aktives Mitmachen und Sprache treffen aufeinander. Die Vorstellung gestaltet sich als überaus stimmungsintensiv, abwechslungsreich und überzeugend: die Herausforderungen des Kleinen Fischs im Großen Meer lassen sich ohne Schwierigkeiten nachvollziehen und auch auf emotionaler Ebene miterleben.

Die Überzeugungskraft der Darstellung haben auch die kleinen Zuschauenden bemerken können: Alle Zuschauenden waren die vierzig Minuten bis zum Schlußapplaus konzentriert dabei. Einige Zwischenfragen seitens der Darstellenden und Mitmachangebote machten es den Kindern zusätzlich leicht, bei der Sache zu bleiben: Die Kinder machten mit Begeisterung Schwanz- und Seitenflossen und die Bewegungen des Fischmauls nach. Auf den gemütlichen Matratzen ergab sich außerdem die Möglichkeit, sich selbst als Teil des Großen Meeres zu fühlen.

Das liebevoll gestaltete Programmheft rundete das Musiktheater-Erlebnis ab: Auf rund 40 Seiten findet sich die Geschichte des Kleinen Fischs, aber auch Angebote zum Weitermalen oder Ausschneiden. Auf diese Weise kann der Kleine Fisch auch in den Kinderzimmern weiterschwimmen, und das Programmheft sorgt für eine nachhaltige Verankerung des Musiktheater-Erlebnisses im Alltag der Kinder. Nach der Vorstellung durften sich die vielfältigen Akteure auf und hinter der Bühne über kräftigen Applaus freuen.

Ein einziges Fragezeichen steht hinter dem Aquarium mit den lebenden Fischen: die Fische haben kaum Platz und weder Beschäftigungs- noch Rückzugsmöglichkeiten. In Zeiten, in denen das Tierwohl wieder einen Stellenwert bekommt, hätten diese Fische sicherlich auch durch Wasserpflanzen oder durch eine multimediale Installation ersetzt werden können.

Dr. Raika Lätzer

Bild: Ksenia Orlova

Das Bild zeigt: Judith Seibert (Fisch), Christine Börsch-Supan (Meer)

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