Salzburger Festspiele Pfingsten 2021

Poema Sinfonico

Konzert mit Werken
von Felix Mendelssohn (1809-1847), Symphonie Nr. 4 – Italienische und Konzert für Violine und Orchester
von Ottorino Respighi (1879-1936) Pini di Roma – Poema sinfonico, UA: 14.12.1924 in Rom
Dirigent: Zubin Mehta, Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino

Solisten: Maxim Vengerov (Violine)
Besuchte Aufführung: 22. Mai 2021 im Großen Festspielhaus

What Passion Cannot Music Raise

Arienabend mit Werken von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Nicola Porpora (1686-1768), Johann Adolph Hasse (1699–1783), Georg Philipp Telemann (1681-1767), Antonio Vivaldi (1678-1741)
Dirigent: Gianluca Capuano, Les Musiciens du Prince-Monaco

Solisten: Cecilia Bartoli (Mezzosopran)
Besuchte Aufführung: 23. Mai 2021, Im Haus für Mozart

Il Trionfo del Tempo e del Disinganno

von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Oratorium in zwei Teilen, Libretto: Kardinal Benedetto Pamphili, UA: Juni 1707, Collegio Clementino
Regie: Robert Carsen, Bühne und Kostüme: Gideon Davey
Dirigent: Gianluca Capuano, Les Musiciens du Prince-Monaco

Solisten: Melissa Petit (Bellezza-Schönheit, Sopran), Cecilia Bartoli (Piacere- Vergnügen, Mezzo), Lawrence Zazzo (Disinganno-Erkenntnis, Countertenor), Charles Workman (Tempo-Zeit, Tenor)
Besuchte Aufführung: 23. Mai 2021, Im Haus für Mozart

Tosca

von Giacomo Puccini (1858-1924), Melodramma in drei Akten, Libretto: Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem gleichnamigen Schauspiel von Victorien Sardou, UA: 14. Januar 1900 Rom, Teatro Costanzi, konzertante Aufführung
Dirigent: Zubin Mehta, Orchestra e Coro del Maggio Musicale Fiorentino, Choreinstudierung: Lorenzo Fratini, Chor der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor, Choreinstudierung: Wolfgang Götz

Solisten: Anna Netrebko (Floria Tosca), Jonas Kaufmann (Mario Cavaradossi), Luca Salsi (Baron Scarpia), Alessandro Spina (Cesare Angelotti), Alfonso Antoniozzi (Mesner), Francesco Pittari (Spoletta), Giulio Mastrototaro (Sciarrone), Adolfo Corrado (Schließer), Cecilia Bartoli (Hirt)
Besuchte Aufführung: 24. Mai 2021, Großes Festspielhaus

Vorbemerkung

Auf die Salzburger Pfingstfestspiele freute man sich immer besonders. Schließlich waren die Pfingstfestspiele 2020 ausgefallen und die Sommerfestspiele selbst können bislang nur sehr eingeschränkt stattfinden. Salzburg im Sommer steht für Kunst, Kultur, Mozart, aber auch für Prominentenrummel und Blitzlichtgewitter. Die Pfingstfestspiele speziell stehen für die Auseinandersetzung mit der historischen Aufführungspraxis meist barocker oder historischer Werke. Speziell seit Cecilia Bartoli die Leitung übernommen hat, stieg auch der künstlerische Anspruch und auch die Reputation bzw. Nachfrage. Die Auswahl der Solisten und Gastorchester entspricht den hohen Erwartungen. Meist wird eine der Produktionen in den Kanon der Salzburger Festspiele im Sommer übernommen. In diesem Jahr mußten zahlreiche Kompromisse gemacht werden hinsichtlich Abstand, großes Orchester, Chor und Zuschauerzahl. Man subsumiert das unter dem Schreckenswort Hygieneregeln. Dieses Jahr gab es nur drei Orchester. Die großen Werke wie Tosca konnten nur konzertant unter der Nutzung der gesamten Bühnenbreite im großen Festspielhaus stattfinden. Die Proben wurden reduziert, so daß die versuchte szenische Darstellung durch die Sänger nur als verwirrend beschrieben konnte. Der Kinderchor blieb hinter dem großen Orchester fast unbemerkt und mußte sich in der Applausordnung erst wieder in den Vordergrund spielen.

Die kleineren barocken Werke hingegen mit kleinem Orchester, keinem Chor und wenigen Solisten hatten im Haus für Mozart viel Platz, so daß auch eine angemessene szenische Produktion möglich war, die allen Erwartungen entsprach und in den höchsten Tönen gelobt wurde. Und weil die Solisten getestet oder geimpft waren, durften sie sich sogar einander nähern.

Aufführung

So überzeugte das Oratorium Il Trionfo del Tempo e del Disinganno von Anfang an mit einer pfiffigen Choreographie, die alle Hebel des modernen Regietheaters zog. Eigentlich ein Stück über Moral und Geltungsdrang zeigt die Handlung einen den Wettbewerb eines Models, der mit vielen modischen Kostümen und Verkleidungswechseln einherging. Auch die Solisten des Orchesters, die mit Trompete oder Querflöte orchestersolistischen Verpflichtungen nachgingen, wurden neu eingekleidet.

Der junge Händel findet 1707 in Rom eine Anordnung des Papstes vor, der Opernaufführungen verboten hat. Es sei ein Zeichen der Buße nach einem verheerenden Erdbeben. Der Zweiundzwanzigjährige umgeht das päpstliche Dekret aber raffiniert und komponiert sein erstes Oratorium als eine verkappte Oper. Der römische Kardinal Benedetto Pamphili hatte ihm dazu ein rhetorisch brillantes, hochphilosophisches Libretto geschrieben.

Das Oratorium feiert am Ende also den Sieg der Zeit und der Erkenntnis über die Schönheit und das sich amüsieren. Diese vier allegorischen Figuren verhandeln existentielle Fragen zwischen höchster Lebensart und Vergänglichkeit, zwischen Carpe Diem (etwa: genieße den Augenblick) und Memento Mori (etwa: sei des Todes stets gewiß).

Die Schönheit hat mit dem Vergnügen einen Pakt geschlossen, der ihr im „Spiegel der Täuschung“ ewige Jugend suggeriert. Im Kampf mit der Zeit und der Erkenntnis kommt die Schönheit schließlich zu der schmerzlichen Einsicht, den Blick in den „Spiegel der Wahrheit“ zu wagen und damit ihre Vergänglichkeit zu akzeptieren. Sie bereut ihr ausschweifendes Leben und fügt sich dem göttlichen Willen.

Das stark moralisierende Sujet trifft den aktuellen Zeitgeist in der Coronakrise genau – mit ihrem Verzichtsgebot und ihrem Zwang, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. Und ohne Chor, mit nur vier Protagonisten ist Händels Oratorium auch aufführungspraktisch perfekt für die Pandemie. Regisseur Robert Carsen würzt „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ mit einer Schar von Tänzerinnen und Statisten.

Im schönen Salzburg geht es los: Das Finale von „The World’s next Topmodel“ findet dort statt. In der Jury: Cecilia Bartoli im roten Hosenanzug, mit Kurzhaarschnitt und Zigarette als personifiziertes Vergnügen, Lawrence Zazzo im eleganten schwarzen Anzug und Charles Workman im Priestergewand als Allegorien von Erkenntnis und Zeit. Das Schaulaufen der Models gewinnt Belezza, die Schönheit, in Gestalt von Mélissa Petit. Für diese „Allerweltsfrau“ beginnt nun eine Achterbahn der Gefühle zwischen Vergnügungssucht und Entsagung.

Zusammen mit der Choreographin Rebecca Howell inszeniert Robert Carsen den Palast des Vergnügens als Hippe Party mit Discokugeln und flirrenden Time-Codes. Die Zeit rast dahin, auch Alkohol ist im Spiel und Belezza hat Sex mit dem DJ. Zuvor hat sie Cecilia Bartoli als diabolische Drahtzieherin in virtuelle Traumwelten entführt, die doch nur billige Blue-Box-Effekte sind. Überhaupt kommt wieder mal in dieser Festspiel-Produktion viel Video zum Einsatz. Umso stärker wirken Momente des Innehaltens, etwa wenn sich die Tänzer zur „Urnen-Arie“ der Zeit ausziehen und nackt zu Boden fallen.

Ausstatter Gideon Davey läßt Händels Parabel in der Mode- und Theaterwelt spielen. Glühbirnen-gerahmte Schminkspiegel in der Künstlergarderobe symbolisieren „Spiegel der Täuschung“ – was sind sie anderes im Theater.

Und der „Spiegel der Wahrheit“? Bühnenfüllend bekommt das betuchte Festspielpublikum den Spiegel vorgehalten, wird zum Nachdenken, zur Selbstreflexion aufgefordert. Belezza landet erst noch auf der Couch von Psychiater Disinganno – Der Erkenntnis, bevor sie am Ende auf der bis zur Brandmauer leeren Bühne zu sich selbst findet. Oder zu Gott? Carsen läßt das sympathischerweise offen. Seine Inszenierung frömmelt nie. Er versucht, die allegorischen Figuren als Menschen von heute zu zeigen. Insgesamt wirkt das Setting jedoch allzu glatt, artifiziell und kühl – zu schön, um wahr zu sein.

Das von der Bartoli mitbegründete Alte-Musik-Ensemble Les Musiciens du Prince-Monaco lotet im Graben die unfaßbare Klangfantasie des jungen Händel mit etlichen Zupfinstrumenten, reichem Continuo und konzertierender Orgel lustvoll aus. Manchmal schlägt Gianluca Capuano am Pult arg forsche Tempi an, so daß die Sänger nicht immer hundertprozentig mitkommen.

Sänger und Orchester

Händels Il Trionfo del Tempo e del Disinganno hat Capuano mit ungewöhnlich reifen Männerstimmen besetzt. Der Tenor Charles Workman ist ein stimmstarker, manchmal etwas grober Herrscher über die Zeit, der Countertenor Lawrence Zazzo berührt besonders in der Schlummer-Arie der Erkenntnis mit bezaubernden Lyrismen. Die junge Mélissa Petit braucht auch gesanglich eine Weile, um zu sich zu finden – ihrem Timbre fehlt es gewiß nicht an Schönheit. Aber für die Riesenpartie würde man sich eine klarere, fokussiertere, auch flexiblere Sopranstimme wünschen. Den Vogel abgeschossen aber hat – wieder mal und immer noch – Cecilia Bartoli mit ihrer einzigartigen Gesangskunst, die als Piacere sichtlich und hörbar Vergnügen hat an ihrer Rolle. Die teuflischen Charaktere waren eben schon immer die dankbarsten.

Cecilia Bartoli hat ihre Tätigkeit als Mezzosopran und Intendantin als Sängerdarstellerin historischer Musik noch persönlich bereichert. Sie untermauert dies nun noch mit dem Arienabend What Passion Cannot Music Raise. Unterstützt noch von einem großartigen Orchester wurde hier ein Höhepunkt der barocken Gesangskunst zelebriert, bei dem Frau Bartoli mit Arien in ihrer bekannten persönliche gestalterische Note das Publikum überzeugen konnte

Das Orchester Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino stellt sein großes Können in der Darstellung klassischer Musik und italienischen Programmpunkten unter Beweis. Poema Sinfonico ist das Programm und der Titel des Werkes von Ottorino Respighi. Es ist eine Wiederentdeckung. Der Kontakt zwischen Zubin Mehta, dem Orchester und Maxim Vengerov funktioniert reibungslos, obwohl Mehta mittlerweile nicht mehr sehr beweglich wirkt und eher auf kleine Gesten setzt bevor die Arme herniedersinken. Die akustischen Verhältnisse im großen Festspielhaus sind ideal für ein solches Galakonzert. Die Zugabe konnte nach Respighi konnte natürlich nur das Intermezzo aus der Cavalleria Rusticana sein.

Fast zwanzig Minuten Applaus, davon mindestens die Hälfte mit dem gesamten Publikum des Großen Festspielhauses, besiegelten die Tosca, den letzten Termin der Pfingstfestspiele.

Als großer Alchimist einer perfekten Aufführung versteht es der gerade 85 Jahre alt gewordene Zubin Mehta, Solisten, Orchester und Chor unter seine Fittiche zu nehmen, ihnen allen das Beste zu entlocken und es dann zu einer wunderbaren musikalischen Geschichte zu verschmelzen, in der nichts dem Zufall überlassen wird, die aber immer spontan ist.

Der Klang des Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino ist üppig, aber ohne jede Affektiertheit oder Selbstgefälligkeit, und darauf verläßt sich Mehta, um eine lebendige und mitreißende Lesung zu gestalten, in der die Erzählung mit winzigen Rubati zum Leben erwacht und mit mitreißender Dynamik, die sich in melodische Einblicke von absoluter Schönheit öffnet. Eine Tosca in Techicolor-Cinemascope, aber gleichzeitig intim, in der der indische Dirigent mit den Sängern atmet – die linke Hand ist ganz für sie da – und ihnen die idealen Bedingungen bietet, sich von ihrer besten Seite zu zeigen.

Die Aufführung in Konzertform – nur eine Leinwand hinter dem Orchester, auf die nach und nach die Abbildungen von Sant‘Andrea della Valle, Palazzo Farnese und Castel Sant‘Angelo projiziert werden – lenkt glücklicherweise die Aufmerksamkeit auf die Musik nicht ab. Sie tritt in ihrer ganzen brillanten Kraft hervor.

Die Sängerschar ist eine von denen, die man einst als „diskographisch“ bezeichnet hätte, bestehend aus Stars, die sich mit der Demut, die nur den Großen eigen ist, ganz in den Dienst der Musik stellen.

In der Titelrolle zeigt Anna Netrebko – tatsächlich in letzter Minute für Anja Harteros eingesprungen – eine üppige Phrasierung, die sich mit der Schönheit ihres über die Jahre braun gewordenen Timbres verbindet. Die Beherrschung der Holzbläser, die Leichtigkeit der Ausstrahlung, die Suche nach Farben tun ihr übriges; ihre Tosca ist leidenschaftlich, aber nicht rücksichtslos, une tragédienne elegant, aber gleichzeitig stolz auf ihre Zerbrechlichkeit.

An ihrer Seite zeigt Jonas Kaufmann einen Cavaradossi von kindlicher Ader, in seiner Interpretation vollkommen. Kaufmann beherrscht den üppigen Gesangsstil mit mezzevoci – Stimmsetzen. Die Pianissimoattacke in Qual occhio al mondo – welche Augen auf dieser Welt entfaltet sich in leidenschaftlich verzweifelten Ausbrüchen und gelingen ihm meisterhaft.

Großartig war der elegant sadistische Scarpia von Luca Salsi – der anstelle des angekündigten Bryn Terfel aus Wien angereist – der die ganze Palette an Farben und Akzenten, die seine Stimme besitzt, in den Dienst der Figur stellen konnte.

Alfonso Antoniozzi, einer der intelligentesten Sänger, ist ein Sagrestano, der reich an Sinn für Humor ist, während Alessandro Spina ein Angelotti von großer Autorität darstellt.

Francesco Pittaris Spoletta und Giulio Matrototaros Sciarrone sind extravagant – und weit mehr als Nebenrollen – ebenso Adolfo Corrado als Carceriere.

Cecilia Bartoli singt den Hirtenstornello (Hirtenruf) in Lederhosen und tadellosem Romanesco (römischer Dialekt) gibt ihm endlich die Würde, die er verdient, und fegt Jahrzehnte verstimmter und monotoner Kinder in weniger als zwei Minuten hinweg; einfach fantastisch.

Der Chor des Maggio, vorbereitet von Lorenzo Fratini, ist der Protagonist einer brillanten Aufführung, ebenso wie die Kinderstimmen des Theater Kinderchors unter der Leitung von Wolfgang Götz.

Der Triumph wurde bereits erwähnt, aber er ist es wert, wiederholt zu werden: Zwanzig Minuten tosender Applaus.

Fazit

Spätestens mit diesem Festspielprogramm sind die Pfingstfestspiele mit eigenständigem Profil aus dem Schatten der Salzburger Sommerfestspiele herausgetreten. Für die historische Aufführungspraxis mit spezialisierten Orchester-Ensembles findet man hier den entsprechenden Raum, das Sängerensemble bietet auf, was unter dem Schlagwort „Farinelli und Friends“ Rang und Namen hat, man kann hier von „Bartoli und Ihre Freunde“ sprechen: Das Besetzung des Schlußaktes mit drei weltbekannten Hauptdarstellern spricht Bände. Diese Tosca wird zu den Salzburger Festspielen hinzukommen – in welcher Besetzung ist noch nicht ganz klar. Das Publikum akzeptiert die aktuellen Einschränkungen – die Geduld mit der eine luftdichte FFP2-Maske für fast drei Stunden akzeptiert wird. mag sogar erstaunen. Die musikalische Seite hingegen steht strahlend da, der nahezu hysterische Schlußapplaus der aufgeführten Veranstaltungen mag als Beleg genügen.

Oliver Hohlbach
Bild: Monika Rittershaus
Das Bild zeigt: Melissa Petit (Bellezza-Schönheit), Cecilia Bartoli (Piacere- Vergnügen) in Il Trionfo del Tempo e del Disinganno

 

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