Die Walküre – Berlin, Deutsche Oper

von Richard Wagner (1813-1883), erste Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen in drei Aufzügen, Libretto: R. Wagner UA: 26. Juni 1870, Staatsoper München

Regie: Stefan Herheim, Bühnenbild: Stefan Herheim und Silke Bauer, Kostüme: Uta Heiseke, Licht: Ulrich Niepel, Video-Design: William Duke und Dan Trenchard, Dramaturgie: Alexander Meier-Dörzenbach und Jörg Königsdorf

Dirigent: Donald Runnicles, Orchester der Deutschen Oper Berlin

Solisten: Brandon Jovanovich (Siegmund), Andrew Harris (Hunding), John Lundgren (Wotan), Lise Davidsen (Sieglinde), Annika Schlicht (Fricka), Nina Stemme (Brünnhilde), u.v.a.

Besuchte Aufführung: 27. September 2020 (Premiere)

Kurzinhalt

Sieglinde findet in ihrer Hütte einen fremden Mann vor, der sich auf der Flucht befindet. Er stellt sich ihr und ihrem Mann Hunding als Wehwalt vor. Während der Erzählung seiner Flucht wird deutlich, daß er ein Feind von Hundings Sippe ist. Hunding gewährt ihm Asyl für eine Nacht und kündigt an, ihm am nächsten Tag nachzusetzen. Alle begeben sich zur Ruhe. Sieglinde, die ihren Gatten betäubt hat, erscheint und Siegmund offenbart ihr seine wahre Identität und zieht das Schwert Nothung aus dem Stamm einer Esche, die in der Hütte steht. Beide entdecken, daß sie Zwillingsgeschwister sind und verlieben sich ineinander. Daraufhin stellt Fricka, die Schutzgöttin der Ehe, ihren Gatten Wotan, zur Rede. Siegmund und Sieglinde sind seine außerehelichen Kinder, ebenso wie die neun Walküren.

Die Walküren haben gefallene Helden nach Walhall zu bringen, die die Götterburg vor einem Angriff Alberichs verteidigen sollen. Siegmund soll den Ring des Nibelungen an sich bringen. Doch, wie Fricka ihrem Mann darlegt, wäre das ein Verstoß gegen seine eigenen Gesetze. Wotan befiehlt Brünnhilde, Siegmund im Kampf mit Hunding sterben zu lassen. Sie erscheint Siegmund und verkündet ihm seinen baldigen Tod. Von Schmerz überwältigt droht er damit, sich und seine ohnmächtige Zwillingsschwester zu töten. Brünnhilde empfindet Mitgefühl und setzt sich über Wotans Befehl hinweg, der doch selber in den Kampf eingreift und Hunding den Sieg davontragen läßt.

Unterdessen sammeln sich die Walküren, um nach Walhall zu ziehen. Brünnhilde bittet sie um Hilfe für Sieglinde, die von Siegmund ein Kind erwartet, doch vergebens. Sieglinde flieht in den Wald und Brünnhilde erwartet ihren zornigen Vater, der sie aus Walhall verstößt. Er versenkt sie in Schlaf und schließt einen Kreis aus Feuer um ihren Felsen, der nur von demjenigen, der seinen Speer nicht fürchtet, durchbrochen werden kann.

Aufführung

Das wichtigste bühnenbildnerische Element dieser Produktion ist der Koffer. In allen Akten werden sowohl Hundings Hütte als auch die Berglandschaften der beiden letzten Aufzüge mit Wänden und Haufen von Koffern gestaltet und die Darsteller tragen oft auch Koffer mit sich herum. Die Personenregie und Bühnenbildgestaltung verfolgt eine dreifache Strategie:

Zum einen werden die Wagnerschen Anweisungen ernst genommen und sogar überhöht; so läuft zu Anfang ein Wolf (!) über die Bühne, bricht der Frühling mit bildnerischer Macht in den ersten Aufzug ein und Brünnhilde tritt in einem Kostüm auf, das aus einer Inszenierung des 19. Jahrhunderts stammen könnte.

Zum anderen werden Musik und Handlung ironisiert; die ganze Zeit befindet sich ein Flügel auf der Bühne, auf dem abwechselnd Wotan, Fricka oder Brünnhilde spielen, ein Klavierauszug wird von den Sängern eifrig benutzt und im Laufe des Abends zerfleddert und beim Ertönen des letzten mächtigen Siegfried-Leitmotivs am Ende hilft ein grotesker Richard Wagner Sieglinde bei der Entbindung.

Zum dritten versucht die Regie durch Einfügen von stummen Aktionen eine Art Kommentar – oder vielleicht sogar eine eigenständige Parallelhandlung? – zu formulieren.

Die Bühne wimmelt im zweiten und dritten Aufzug von Komparsen, die mit Koffern auf der Bühne stehen, ein zusätzlicher stummer Charakter wohnt in Hundings Hütte und bedroht oder umschmeichelt die Sänger. Alle Aufzüge haben stumme szenische Vorspiele vor den musikalischen bekommen. Es gibt nur punktuell szenischen Stillstand. Ein wichtiges dramaturgisches Moment ist das Entkleiden. Wotan tritt in Unterwäsche auf, die gefallenen Helden entkleiden sich und reißen im dritten Akt den Walküren die Kleider vom Leib so wie Wotan es mit Brünnhilde tut, Fricka wirft Wotan ihren Mantel vor die Füße usw.

Sänger und Orchester

Donald Runnicles stellte wieder einmal unter Beweis, wie verantwortungsvoll er mit den Stimmen seiner Sänger umzugehen imstande ist. Das mächtige Ring-Orchester – Wagner besetzt fast alle Holz- und Blechblasinstrumente vierfach – ließ in den gesangsfreien Momenten die Muskeln spielen. Doch sobald ein Sänger einsetzt, wird das Niveau sofort so reduziert, daß Gesangsmelodie und Text gut durchkommen. Im Zweifelsfall wird eher leise gespielt, ohne jedoch den Klang intransparent werden zu lassen. Mitunter werden Nebenstimmen herausgearbeitet, die man so noch nicht gehört hat. Daß nach der langen Spielpause ein paar leise Einsätze im Blech ein wenig klapperten, tat der Sache keinen Abbruch. Hervorragende Sänger hat man verpflichtet: Nina Stemme, die sich derzeit auf dem Höhepunkt ihrer vokalen Karriere befindet, vereinbart darstellerisches Selbstbewußtsein, das man für die Rolle der Brünnhilde auch wirklich braucht, mit einer Stimme, die mühelos zu laufen scheint. Die gefürchteten Schlachtrufe der Walküren gelangen ihr tadellos und ohne daß sie zu forcieren genötigt wäre. Ihr Ansatz ist faszinierend: Mit einer kleinen Verzögerung bei den kräftigen hohen Tönen öffnet sich ein kraftvoller Klang, der nicht bloß Metall und Spitze, sondern auch viel Körper hat. Ein Ereignis!

Lise Davidsen (Sieglinde) überraschte an diesem Abend vielleicht am meisten mit ihrem starken Organ, dem allerdings die Nuancierungsfähigkeit von Stemmes Stimme bei den lauten Partien abgehen. Brandon Jovanovich hat einen eher dunklen, klanglich abwechslungsreichen Heldentenor. Allerdings könnten einige deutsche Konsonanten etwas deutlicher sein. Darstellerisch gaben beide Wälsungen eine großartige Leistung.

Eine weitere sängerische Überraschung dieses Abends war Annika Schlicht als Fricka. Sie vereint eine ausgeglichene, stabile Stimme mit klarer Aussprache und einer eleganten Bühnenpräsenz. John Lundgren hat in dieser Inszenierung sowohl heroisch als auch ironisch-komisch als Wotan aufzutreten, was ihm gelang. Sein Heldenbariton klingt rund, wenn ihm auch in den lautesten Passagen ein wenig die Durchschlagskraft fehlt; daß sich ganz vereinzelt Text- und Intonationsschwierigkeiten einstellten ist bei dieser langen Partie nur menschlich und vollkommen verzeihlich. Die kurze jedoch dankbare Rolle des Hunding wurde von Andrew Harris schnörkellos und geradlinig gestaltet.

Fazit

Diese Premiere der Walküre ist – da die Rheingold-Premiere im Juni ausfiel – gleichzeitig die Premiere des neuen Ring-Zyklus der Deutschen Oper Berlin, die Götz Friedrichs Inszenierung von 1984/85 ablösen wird. Man bekam also einen Eindruck davon, wie die anderen Teile aussehen werden. Was Sänger, Dirigent und Orchester angeht, ist die Besetzung erstklassig: Die wohl derzeit beste Brünnhilde derzeit (Nina Stemme) musizierte an diesem Abend unter der Leitung des Ring-Spezialisten Runnicles.

Ob die Wahl des Regieteams es auch ist, darüber kann man allerdings streiten. Herheim bot an diesem Abend seine typische Mischung aus Pathos und Witzen. Natürlich ist es erlaubt, Wagner ironisch und kritisch zu inszenieren. Aber es dürfte dann bitteschön etwas subtiler zugehen. Die Personenregie ist unruhig, so als hätte der Regisseur regelrecht Angst vor szenischem Stillstand, der nun einmal zur Wagnerschen Dramaturgie dazugehört. Wenigsten läßt er in der Todesverkündigung im zweiten Aufzug eine Weile nur die originale Handlung wirken.

Um nicht mißverstanden zu werden: Die Regie nimmt das Werk zum Teil ernst, bringt ein paar eigene Lesarten ein – die Entmachtung der Walküren entspricht einer Machtübernahme der Männer wie sie Wotan gegenüber Brünnhilde vollzieht, deren Helm und Schild er ihr abnimmt und selber führt –, aber durch den Versuch, eine weitere kommentierende Handlung hineinzubringen, wird es etwas zuviel, was da auf der Bühne passiert, abgesehen davon, daß der Sinn dieser Handlung weitgehend im Dunkeln bleibt. Sollen die Koffer möglicherweise ein Symbol für Flucht und Vertreibung sein? Ist das Spiel mit dem Klavierauszug der Versuch, das Ganze auf eine Metaebene zu hieven? Soll der Flügel das Wagnersche Musik-Drama versinnbildlichen?

Vieles bleibt im Unklaren. So war es wenig überraschend, daß diese Inszenierung polarisierte. Ein Teil des Publikums spendete dem Regieteam frenetischen Beifall, ein anderer machte seinem Unmut mit lautstarken Invektiven Luft. Soviel kann man vielleicht sagen: Daß diese Inszenierung sich nur annähernd so lange wie die Vorgängerinszenierung auf dem Spielplan halten wird, ist mehr als fraglich.

Dr. Martin Knust

Bild: Bernd Uhlig

Das bild zeigt: Nina Stemme (Brünnhilde) und John Lundgren (Wotan)

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