Der ferne Klang – Stockholm, Königliche Oper

von Franz Schreker (1878-1934), Oper in drei Akten, Libretto: Franz Schreker, UA: 18. August 1912 Frankfurt a.M., Opernhaus

Regie: Christof Loy, Bühnenbild: Raimund Orfeo Voigt, Kostüm: Barbara Drosihn, Licht: Olaf Winter, Dramaturg: Yvonne Gebauer

Dirigent: Stefan Blunier, Königliche Hofkapelle, Chor der königlichen Oper, Chorleitung: James Grossmith

Solisten: Agneta Eichenholz (Grete Graumann), Daniel Johansson (Fritz), Lars Arvidson (Dr. Vigelius; der Baron), Klas Hedlund (Kavalier; ein zweifelhaftes Individuum), Ola Eliasson (der Graf; Rudolf), Miriam Treichl (Gretes Mutter; eine alte Frau; eine Spanierin; die Kellnerin), u.v.a.

Besuchte Aufführung: 5. Oktober 2019 (Premiere)

Kurzinhalt

Die Handlung spielt in Deutschland und Venedig und erstreckt sich über ein Vierteljahrhundert. Im ersten Akt verläßt der Komponist Fritz seine junge Geliebte Grete, um sich auf die Suche nach dem vollendeten Klang zu begeben. Er verspricht zu ihr zurückzukehren, wenn er Ruhm erlangt habe. Unterdessen hat Gretes Vater seine eigene Tochter beim Kegeln an den Wirt seines Stammlokals verspielt. Er und ihre Mutter verlangen von ihr, sich mit dem Wirt zu vermählen. Grete läuft von zu Hause fort und gerät in die Fänge einer Kupplerin.

Der zweite Akt spielt zehn Jahre später auf einer Insel bei Venedig. Grete, die nun den Namen Greta angenommen hat, ist eine berühmte Kurtisane und gibt ein Fest im Kreise ihrer Verehrer. Der Graf ist in sie verliebt und macht schon länger vergeblich Avancen. Grete, die insgeheim immer noch ihrer Liebe zu Fritz nachtrauert, veranstaltet einen Wettbewerb: Wer das schönste Lied vorträgt, darf die Nacht mit ihr verbringen. Der Graf beginnt mit einer düsteren Ballade, gefolgt von dem Kavalier, der ein schlüpfriges Lied vorträgt. Auch Fritz ist anwesend. Er und Grete erkennen sich und sie kürt ihn trotz allgemeinen Protestes zum Sieger des Wettbewerbs. Als er jedoch versteht, was aus seiner ehemaligen Geliebten geworden ist, wendet er sich angewidert von ihr ab, und sie wirft sich in die Arme des Grafen.

Der dritte Akt spielt fünfzehn Jahre danach wieder in Deutschland. Man gibt ein Stück, zu dem Fritz die Musik geschrieben hat, doch das Publikum versteht das Ende nicht und die Uraufführung mißglückt. Fritz, der von einer tödlichen Krankheit gezeichnet ist, blickt auf sein Leben zurück, das er als ebenso mißglückt empfindet. Der perfekte Klang ist ihm nie begegnet. Doch am Morgen nach der Premiere erwacht er und hört ihn. In dem Moment tritt Grete, die nunmehr Tini heißt und sich auf der Straße prostituiert, ein. Sie erkennen und beide versprechen sich, für immer zusammenzubleiben. Fritz hört den Klang, nach dem er gesucht hat, und stirbt in Gretes Armen.

Aufführung

Die schnellen und farbigen Klangwechsel der Partitur haben ihre Entsprechung auf der Szene. Das Bühnenbild ist zum Teil halb abstrakt, etwa im ersten Akt, der zu Beginn vor einer vergilbten Landschaft spielt, zum Teil surreal, etwa am Ende des gleichen Aktes, in dem die Charaktere des zweiten Aktes aus einem tiefen Wald auftauchen. Solche bildlichen Vorgriffe kommen häufiger vor, und die Besetzung etlicher kleinerer Rollen mit denselben Sängern ist offenbar nicht nur ökonomischen Interessen geschuldet, sondern auch künstlerisch motiviert, denn so erscheinen bestimmte Charaktere in veränderter Gestalt immer wieder im Geschehen. Ständig geschieht etwas auf der Szene, oft sogar mehrere stumme Handlungen parallel. Dies ist vor allem im zweiten Akt der Fall.

Die Choreographie ist aufwendig und mehrere stumme Figuren – zumeist Tänzer – agieren zwischen den Sängern. Die Kostüme entsprechen der Entstehungszeit der Oper, d.h. die männlichen Figuren treten in Frack oder Anzug auf. Das Altern und die Entwicklung der Charaktere werden über die Maske deutlich. Visueller und musikalischer Rhythmus befinden sich durchweg im Einklang und den Regieanweisungen des Komponisten/Librettisten wird Folge geleistet. Um den Sängern die Möglichkeit zu geben, stimmlich durch das dichte Orchestergewebe hindurchzukommen, ist die Bühne im ersten und letzten Akt verkleinert worden.

Sänger und Orchester

Schrekers Musik gehört zu den instrumentatorisch filigransten Schöpfungen für Orchester überhaupt. Das Klangbild verändert sich unaufhörlich und in schneller Folge. Um die komplexe Textur des Orchesterparts zur Geltung kommen zu lassen, braucht man schon einen Schreker-Spezialisten, den die königlicher Oper an diesem Abend aufbieten konnte: Stefan Blunier hat sich international als Schreker-Dirigent einen Namen gemacht und die Klangsicherheit des Orchesters war schlicht und einfach atemberaubend. Nicht nur harmonisch und instrumentatorisch, auch dynamisch schillerte es an diesem Abend in allen Farben und feinsten Abstufungen. Zugleich ließ Blunier den Sängern Luft zum Atmen und Raum, um ihre schweren Parts vorzutragen. In dieser Oper treibt Schreker den Wagnerschen Sprechgesang gleichsam auf die Spitze, d.h. konkret, es gibt zwar kantable, aber keine melodisch sonderlich eingängigen Passagen, weil die Nachahmung der Sprechtonfälle des Deutschen hier den Vorrang vor der rein musikalischen Gestaltung hat so wie Ausdruckskraft der Stimmen vor der belcantistischen Tonschönheit. Auch melodramatische Passagen kommen vor, d.h. die Sänger haben laut zur orchestralen Begleitung zu sprechen oder zu rufen und viel im Grenzbereich zwischen lautem Singen und Sprechen zu arbeiten. Die sichere Beherrschung der deutschen Aussprache hat folglich höchste Priorität.

Die eigentliche Hauptrolle der Oper ist Grete Graumann, die von Agneta Eichenholz gesanglich und darstellerisch mit Hingabe vorgetragen wird. Die schnellen gesprochenen Abschnitte glücken ihr ebenso wie die plötzlichen lyrischen Zurücknahmen. Die extreme Entwicklung dieser tragischen Figur ergreifend darzustellen gelingt ihr vollkommen. Der Sänger des Komponisten Fritz, Daniel Johansson, hatte an diesem Abend mit einer abklingenden Erkältung zu kämpfen. Das merkte man lediglich im ersten Akt, in dem seine Einsätze etwas zu oft schluchzend klangen, was an sich ein gutes Mittel ist, diese leicht gequälte und etwas sentimentale Rolle musikalisch zu realisieren. Mit den schnellen Sprechpassagen kam er nicht überall zurecht, weil die Stimme nicht schnell ansprach.

Ola Eliasson, dessen Tenor einen fülligeren Eindruck als derjenige des Primo uomo (Hauptperson) machte, stellte einen souveränen Grafen auf die Bühne, auch darstellerisch. Klas Hedlund, in den Rollen als hämisches zweifelhaftes Individuum und als unmoralischer Kavalier, spielte beweglich und dringt mit seinem spieltenoralen Timbre ohne Schwierigkeiten durch. Eine sängerisch starke Leistung im letzten Akt zeigte Lars Arvidson als Dr. Vigelius.

All die Sänger der vielen kleineren Rollen hier aufzuzählen, ist kein Raum. Sie machten so wie die zahlreichen Komparsen ihre Sache darstellerisch und musikalisch ausgezeichnet. Betörend schön waren die Chorsätze im zweiten Akt. Die Aufstellung der Choristen ließ die räumliche Dimension der Komposition deutlich zum Vorschein kommen.

Fazit

Die wahrhaft berauschende Musik dieses Werkes wird in Stockholm in all ihren Nuancen und ihrem enormen Abwechslungsreichtum dargeboten mit Sängern, die in ihren Rollen zur Gänze aufgehen. Szenenbild und Musik greifen wunderbar ineinander. Christof Loy bietet hier eine üppige Bilderwelt zusammen mit einer großartigen Personenregie. Eine Oper über den perfekten Klang in perfekter Darbietung!

Dr. Martin Knust

Bild: Monika Rittershaus

Das Bild zeigt: Agneta Eichenholz (Grete)

Veröffentlicht unter Opern, Stockholm, Königliche Oper