Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg – Bayreuther Festspiele 2019

von Richard Wagner (1813-1883), Große romantische Oper in drei Aufzügen, Libretto: R. Wagner, UA: 19. Oktober 1845 Dresden,  Semperoper, Regie: Tobias Kratzer, Bühne/Kostüme: Rainer Sellmaier, Skulpturen Richard Wagners: Ottmar Hörl

Dirigent: Valery Gergiev, Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele, Choreinstudierung: Eberhard Friedrich

Solisten: Stephen Milling (Landgraf Hermann), Stephen Gould (Tannhäuser), Markus Eiche (Wolfram), Daniel Behle (Walther), Kay Stiefermann (Biterolf), Jorge Rodriguez-Norton (Heinrich), Wilhelm Schwinghammer (Reinmar), Lise Davidsen (Elisabeth), Elena Zhidkova (Venus), Katharina Konradi (Hirt), Le Gateau Chocolat, Manni Laudenbach (Trommler Oscar), u.a.

Besuchte Aufführung: 25. Juli 2019 (Premiere, Dresdener Fassung)

Kurzinhalt

Der Minnesänger Tannhäuser hat lange Zeit im Venusberg zugebracht, dem legendären Zufluchtsort der Liebesgöttin. Tannhäuser verläßt sie, als er der erotischen Ekstase überdrüssig wird. Von seinen Freunden und künstlerischen Konkurrenten wird er überredet auf die Wartburg zu einem Sängerwettstreit zurückzukehren. Thema des Wettstreits ist das Wesen der Liebe. Der Preis wird von Elisabeth, der Tochter des thüringischen Landgrafen, vergeben, die Tannhäuser in Zuneigung ergeben ist. Während seines Beitrags gesteht Tannhäuser jedoch seinen Aufenthalt im Venusberg, und nur dank des Eintretens Elisabeths darf er sein Leben behalten, unter der Bedingung, nach Rom zu pilgern und für seine Verfehlung beim Papst um Absolution zu bitten. Der aber überantwortet Tannhäuser der ewigen Verdammnis, vor der ihn das selbstlose Opfer Elisabeths rettet.

Aufführung

Die Handlung wird auf zwei Wegen erzählt: einmal als Filmeinblendung und dann als reale Szenerie auf der Bühne. Entweder getrennt voneinander bühnenfüllend, oder der Film wird oberhalb der Handlung auf der Bühne eingeblendet.

So wird die Ouvertüre zum Reisefarbfilm der „Neuen Künstlergruppe“ des Tannhäusers von der Wartburg über eine Burger-King-Filiale zu einem Märchenhaus, das als Rastplatz genutzt wird. Die Gruppe besteht neben dem Tannhäuser als Clown aus der Dragqueen „Le Gateau Chocolat“ (Schokoladenkuchen), der Aktionskünstlerin Venus und dem Trommler „Oscar“ mit (aus) der Blechtrommel (Mann, der durch Aussehen und Verhalten eine Frau darstellt.). Aus Geldmangel klauen sie Benzin aus einem Auto, prellen mittels falscher Kreditkarte die Speisenrechnung und überfahren auf der Flucht einen Polizisten. Statt Bacchanten-Reigen sieht man das Verspeisen der Beute, bis Tannhäuser im Streit darüber die Gruppe verläßt.

Tannhäuser trifft seine alten Kollegen vor dem Festspielhaus, der Chor der Pilger zieht als Festspielgäste ins Festspielhaus, Tannhäuser wird wieder als Tenor aufgenommen, darf in den Sängerkrieg eintreten. Der Sängerkrieg findet statt in einer historisierenden Inszenierung im Stile vor „Wieland Wagner“. Im Begleitfilm sieht man die ehemalige Künstlergruppe Tannhäusers ins Festspielhaus einsteigen. Die Venus verkleidet sich als Edelknabe, greift auch in die Handlung ein, die in einen zu handgreiflichen „Sängerkrieg“ ausufert. Der Inspizient ruft via Festspielleitung (Katharina Wagner höchst selbst), die Polizei. Diese verhaftet aber auf Anklage des Landgrafen Ein furchtbares Verbrechen ward begangen nur Tannhäuser – die Einbrecher stehen als Patchwork-Familie unter der Regenbogenfahne daneben.

Radikaler Szenenwechsel zum dritten Akt: statt Wartburgtal sehen wir einen heruntergekommenen Campingplatz oder Schrottplatz, auf dem das Vehikel der alternativen Künstlergruppe vor sich hinrostet. Elisabeth bekommt im Festkostüm zum Frühstück in der Blechtrommel Dosenbohnen erwärmt. Anstatt Festspielpilger kommt die Wermutbruderschaft, um den Schrott zu plündern. Wolfram schiebt in Tannhäusers Clownskostüm eine Nummer auf der Liegefläche des Wagens mit Elisabeth und singt dann die Strophe An den Abendstern als Entschuldigung. Elisabeth verübt Selbstmord. Der heruntergekommene Tannhäuser kehrt heim, verbrennt die Tannhäuserpartitur, Venus versucht ein Werbeplakat zu überkleben, Schlußchor aus dem dunklen Off, einzig Tannhäuser sitzt neben der blutüberströmten Elisabeth. Im Film fahren die beiden in den Sonnenuntergang.

Sänger und Orchester

Die hohen heldentenoralen Anforderungen an den Tannhäuser in Bayreuth erfüllt Stephen Gould wie man sich das im Idealfall vorstellt: Ausdrucksstark, tenoraler Glanz in soliden Höhe, technisch sichere Phrasierung und absolut sichere Sprünge die Tonleiter hinauf und herunter. Lise Davidsen als Elisabeth ist als jugendlich glockenreiner Sopran die richtige Partnerin, so wirkt die Hallenarie und der folgende Dialog mit Tannhäuser entsprechend herzzerreißend.

Ihre Gegenspielerin, die Venus der Elena Zhidkova, ist ein entsprechender Gegensatz, ein eher dramatischer Sopran mit Durchschlagskraft im dynamischen Auftritt mit Wutanfall, auch als Aktionskünstlerin überzeugend. Markus Eiche singt den Wolfram nunmehr in der zweiten Produktion. Er ist immer noch ein wohltönender lyrischer Bariton, aber sein charakteristischer weicher Klang ist in Richtung Härte gewandert. Stephen Milling ist der stimmgewaltige Landgraf, der dezent im Hintergrund guttural bleibt.

Die übrigen Ritter können den Sängerkrieg gewinnend gestalten, Daniel Behle erregt in der Tenorrolle des Walther die meiste Aufmerksamkeit. Noch mehr Aufmerksamkeit erzeugt Katharina Konradi als Hirt mit klarem, hohem, leuchtendem Sopran.

Etwas auseinanderfallend ist das Dirigat von Valery Gergiev. Es gibt Probleme in der Abstimmung, besonders mit den Anforderungen der Bayreuther Akustik. Man muß immer das Gefühl haben zu schleppen, hat Christian Thielemann einmal betont. Hörbar wird das bei den drei Strophen an die Göttin, die sich Stephen Gould nicht optimal einteilen kann.

Anzumerken ist noch der Auftritt der alternativen Künstlergruppe in der ersten Pause am Festspielteich, die Venus malt Plakate, der Trommler Manni Laudenbach unterstützt an der Blechtrommel Le Gateau Chocolat, der mit einer männlichen Frauenstimme Aufmerksamkeit erregt, nach seinem Auftritten an der Oper in Melbourne bzw. in „Porgy and Bess“ eine technisch saubere Vorstellung abliefert und Elisabeths Hallenarie interpretiert.

Fazit

Es ist keine populistische, sondern eine populäre Inszenierung, sie spaltet die Zuhörer, provoziert die Fraktion der werkgetreuen Wagnerianer, gefällt den Defätisten, die ein durch Regieeinfälle entstelltes, anderes Werk sehen wollen. Bei übergestülpten Handlungen gibt es immer Probleme im Übergang: Warum verhaften die Polizisten am Ende des zweiten Aktes den Tannhäuser, aber nicht die Einbrecher und Polizistenmörder? Warum hat Le Gateau Chocolat keinen Gesangsauftritt im legendären Kleid von Grace Bumbry von 1961?

Die Wartburggesellschaft im dritten Akt als heruntergekommene Wertstoffsammler auf dem Schrottplatz der Operngeschichte darzustellen, ist für Wagnerianer eine besondere Provokation. Daher auch der Schlußapplaus: Jubel und Ablehnung liegen dicht beieinander. An den Sängern gibt es nichts zu bekritteln, Festspielniveau allenthalben. Lediglich das Dirigat von Valery Gergiev wirkt über weite Teile zu spannungsarm, die Ouvertüre und die Strophen an die Göttin des Tannhäusers zu unausgewogen – was zu Problemen in der Abstimmung führt. Nachdem Gergiev in dieser Saison nur die „vertraglich fixierten Termine“ wahrnimmt und erst zu den Orchester-Sitz-Proben anwesend war, hat er leider in der kommenden Saison „zeitliche Probleme“. Für Ihn übernimmt Axel Kober.

Oliver Hohlbach

Bild: Enrico Nawrath

Das Bild zeigt: Tannhäuser (Stephen Gould) und Venus (Elena Zhidkova)

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