La Boheme – München, Staatstheater am Gärtnerplatz

von Giacomo Puccini (1858-1924), Szenen in vier Bildern, Libretto: Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach Henry Murgers Scenes de la vie de Bohème, in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln, UA: 1. Februar 1896, Turin

Regie: Bernd Mottl, Bühne: Friedrich Eggert/Kostüme: Alfred Mayerhofer

Dirigent: Anthony Bramall, Orchester, Chor und Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Choreinstudierung: Pietro Numico

Solisten: Camille Schnoor (Mimì), Maria Celeng (Musetta), Lucian Krasznec (Rodolfo), Matija Meic (Marcello), Christoph Filler (Schaunard), Levente Pall (Colline), Holger Ohlmann (Alcindoro), Martin Hausberg (Benoit), Stefan Thomas (Parpignol) u.a.

Besuchte Aufführung: 28. März 2019 (Premiere)

Kurzinhalt

Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline sind bettelarme Künstler und unzertrennliche Freunde. Sie leben unbeschwert von der Hand in den Mund in einer Mansarde über den Dächern des Pariser Künstlerviertels Quartier Latin. Rodolfo begegnet Mimì und verliebt sich in sie. Marcello erobert seine ehemalige, stets untreue Geliebte Musetta zurück. Den Weihnachtsabend verbringt man im Café Momus. Nach der Trennung von Rodolfo verschlimmert sich Mimìs Krankheit. Sie kehrt zu ihm zurück und stirbt in seinen Armen im Kreis der Freunde.

Aufführung

Die aufwendigen Verwandlungen beim Kulissenwechsel sind besonders spektakulär und weisen auf die vielen technischen Möglichkeiten seit der Renovierung des Gärtnerplatztheaters hin. Das erste Bild spielt in einem Guckkasten, der nach hinten begrenzt wird von einem großen Kamin, in dem aber nie Feuer brennt, und zwei großen Flügelfenstern, deren Flügel aber daneben liegen. Durchs offene Fenster sieht man den Schnee rieseln, kein Wunder daß es im Raum kalt ist. Die ehemals schwarzen Wände sind mit weißen Graffiti wieder und wieder übermalt. Streichhölzer fürs Licht werden nicht benötigt, über dem Kamin hängt eine große Edison-Glühbirne (als Designer-LED-Leuchtmittel).

Die „armen Künstler“ tragen heutige Designerkleidung, entweder ist der Reichtum gepumpt oder sie sind genauso reich, wie die heutigen sogenannten Künstler es sein müssen, um in den angesagten Künstlervierteln, den früheren Scherbenvierteln, wohnen zu können. So hat Marcello Geld, um Musetta zum Einkauf loszuschicken. Daher muß Colline seinen Mantel nicht verkaufen. Auch andere zentrale Punkte der Handlung finden nicht statt.

Für das zweite Bild verschwindet die Rückwand nach hinten, eine große gläserne Bar fährt nach oben. Die Kellner sind schwule, orangefarbene menschliche Pudel, Alcindoro wird von Musetta an der Leine vorgeführt. Parpignol ist ein grüner Weihnachtsbaum, um den die Kinder planlos herumlaufen. Er kehrt als Weihnachtsmann-Tambourmajor einer geschmacklosen Pelzmützenblaskapelle zurück und legt einen Strip hin. Daraufhin wird er der Geliebte der Musetta, die das im dritten Bild in einer Tiefgaragen-Disko feiern. Die Zöllner sind die Türsteher an der Stahltür. Das Bühnenbild wandelt sich wieder zum Anfangsbild. Mimì kehrt in Jeans mit Rucksack und Isomatte zurück. Sie stirbt.

Sänger und Orchester

Das Dirigat von Anthony Bramall ist das große Problem in dieser Premiere. Viel zu laut werden gerade im ersten Bild all die herzergreifenden Momente zugedeckt, für die Puccini bekannt ist. So gibt es im ersten Bild eigentlich nur ein Händchenhalten und keine Liebesszene, Mimì stirbt im vierten Bild relativ unerklärlich, das leise Verlöschen einer schönen Stimme ist nicht zu vernehmen. Dabei hätten alle Solisten Eigenschaften, um herausragende Rollenbilder abzuliefern. Camille Schnoor hat für die Mimì eine schöne seidenweiche lyrische Stimme, aber, weil sie viel Kraft benötigt, wird die Stimme in der Höhe immer enger und schaler. Für einen schönen Liebestot fehlt ihr am Ende die Geschmeidigkeit. Gleiches Vorzeichen gilt für Lucan Krasznec: er gibt den Rodolfo als schwerer italienischer Tenor mit hoher Durchschlagskraft, wirkte aber eher hilflos und alleingelassen. Maria Celeng macht aus der Musetta mit ihrer hochbeweglichen schlanken Stimme die Hauptrolle des Stückes, Matija Meic (Marcello) ist ein schwerer dunkler wohltönender Baßbariton und als Einziger zum Erzeugen von Mitgefühl in der Lage, Levente Pall kann mit der Mantelarie des Colline zurecht die Aufmerksamkeit kurz auf sich ziehen.

Fazit

Manchmal stellt man sich die Frage, warum in der Oper die Kontrollmechanismen versagen: ein akustisch, sängerfreundliches Bühnenbild, aber ein Dirigent, der so laut ist, daß gerade im ersten Bild, die beiden Hauptdarsteller sich gegenseitig anschreien müssen, um sich Gehör zu verschaffen. Von Romantik oder Liebe ist nichts zu spüren bei Che gelida manina – Welch eiskaltes Händchen. Der Regieeinfall, die Handlung in eine heutige sogenannte Künstlerszene zu verlagern, aber Mimì einfach an der Schwindsucht sterben zu lassen, ist unglaubwürdig – denn heutzutage stirbt niemand mehr in Europa in dieser Form an der Schwindsucht! Der schwule Weihnachtsmarkt mit Strip ist einfach nur geschmacklos. Offensichtlich sind die Künstler so reich, daß sie nicht von der Hand in den Mund leben, sondern sich in der Delikatessenabteilung der Galerie Lafayette (der einzige Hinweis auf Paris!) laben. Die Szene, daß – trotz Kälte – das Fenster nicht schließt, ist kaum glaubwürdig und daher eben blöd. Daher kann man auch die Lebensmittel verschwenderisch auf den Boden werfen. Das Publikum applaudiert freundlich, wahrscheinlich, weil es sich den Künstlern aus dem Gärtnerplatz-Reichenbachviertel zugehörig fühlt und deshalb dieses Geschehen gewohnt ist?

Oliver Hohlbach

Bild: Marie-Laure Briane

Das Bild zeigt die letzte Szene, in der Mimì stirbt: Levente Páll (Colline), Christoph Filler (Schaunard), Matija Meić(Marcello), Camille Schnoor (Mimì), Lucian Krasznec (Rodolf)

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