Oedipus Rex – Dresden, Semperoper

von Igor Strawinsky (1882-1971), Opern-Oratorium in zwei Akten, Libretto: Jean Cocteau nach der Tragödie Oidipous Tyrannos von Sophokles, in lateinischer und deutscher Sprache, UA: 30. Mai 1927

Paris, Theatre Sarah Bernhardt (konzertant), 23. Februar 1928 Wien, Staatsoper (szenisch)

Regie: Elisabeth Stöppler, Bühne: Annika Haller, Kostüme: Frank Lichtenberg

Dirigent: Erik Nielsen, Sächsische Staatskapelle und Sächsischer Staatsopernchor und Kammerchor Dresden, Choreinstudierung: Cornelius Volke

Solisten Oedipus Rex: Stephan Rügamer (Oedipus), Claudia Mahnke (Iokaste), Markus Marquardt (Kreon), Kurt Rydl (Teiresias), Tom Martinsen (Hirte), Matthias Henneberg (Bote), Catrin Striebeck (Sprecherin)

Il prigionieroDer Gefangene

von Luigi Dallapiccola (1904-1975), Oper in einem Prolog und einem Akt, Libretto: L. Dallapiccola nach La torture par L’esperance aus den Nouveaux Contes Cruels von Philippe-Auguste Viliers de L’Isle-Adam, UA: 1.Dezemeber 1949 Turin, Radiotelevisione Italia (konzertat), 20. Mai 1950 (szenisch), in italienischer Sprache

Solisten: Tichina Vaughn (Mutter), Lester Lynch (Gefangener), Mark Le Brocq (Kerkermeister / Großinquisitor), Khanyiso Gwenxane (1.Priester/Wärter), Alexandros Stavrakakis (2.Priester/Wärter)

Besuchte Aufführung: 30. Juni 2018 (Premiere)

Kurzinhalt

Oedipus Rex 

Oedipus hofft, seinem prophezeiten Schicksal zu entgehen. Aus seiner Heimat geflohen, hat er die Thebaner vor der Sphinx gerettet, ist deren König geworden und Gatte der Witwe des ermordeten Königs Laios. Jetzt soll er das Volk vor der Pest retten und muß dafür den Mörder des Königs finden. In seiner Hybris ignoriert er alle Warnzeichen und wird am Ende doch die grausame Wahrheit erkennen, selbst unwissentlich den königlichen Vater getötet und die eigene Mutter geheiratet zu haben. Iokaste erhängt sich, Oedipus sticht sich die Augen aus und läßt sich vertreiben.

Il prigioniero

Die Mutter des Gefangenen hofft, ihren Sohn wiederzusehen. Ihre Hoffnung schlägt in angstvolle Todesbilder um. Der gefolterte Gefangene schöpft Hoffnung, nachdem der Kerkermeister ihn „Bruder“ nennt und die Kerkertür offen läßt. Der Augenblick jubelnder Freiheitshoffnung beim Anblick des Himmels wird zur Sturzkante der schlimmsten aller Foltern: Bruderruf und Freiheitsversprechen entpuppen sich als Betrug des als Kerkermeister verkleideten Großinquisitors an der urmenschlichen Hoffnung des Todgeweihten, bevor er zum Richtplatz geführt wird.

Aufführung

Oedipus Rex: Die heutige Welt ist eine Datenautobahn mit Kabeln, Schaltkästen, blinkenden Anzeigen und Monitoren. Die Götter, Sprecherin und Könige steuern sie, der heutige Mensch ist in ihr gefangen, ein Ausbruchsversuch scheitert, man läßt sich die Augen ausstechen.

Il prigioniero: Der Gefangene wird in einem heutigen Gefängnis in sterilen weißen Räumen mit einfachen weißen Möbeln in Ketten gehalten. Die Wärter tragen übliche Uniformen, einen Garten gibt es nicht. In seiner Phantasie sieht er wunderliche Kreaturen, die ihn nicht retten können.

Sänger und Orchester

Bis zu 12 Solisten müssen für diese beiden Stücke besetzt werden. Das ist ohne Zweifel ein großes Hindernis für moderne Opern sich in den Spielplänen zu etablieren. Die Semperoper löst dies mit einer interessanten Besetzung aus Ensemblemitgliedern, Nachwuchssängern und altgedienten erfahrenen Gästen.

Dauergast des Abends ist Kurt Rydl, der dem Seher Teiresias mit markanter und voluminöser Baßstimme einen eindringlichen Auftritt schafft. Aus dem Ensemble stammt Tichina Vaughn, die mit ihrem tief fundierten, herben und sehr durchschlagsstarken Mezzo aus der Mutter des Gefangenen eine hochdramatische Rolle macht. Zwei Tenor-Hauptrollen haben Stephan Rügamer (Oedipus) und Mark Le Brocq (Kerkermeister/Großinquisitor). Rügamer ist ein lyrischer Tenor mit langem Atem, der den Oedipus zwischen Genie und Wahnsinn vielschichtig anlegt, Le Brocq ist ein „Wärter und Inquisitor“ mit dämonischer Charakterzeichnung und eher baritonalem Timbre, der tenorale Höhen erreicht. Lester Lynch gestaltet den Gefangenen als hochdramatische Bariton-Rolle mit viel Volumen, Durchschlagskraft und solider Tiefe. Erik Nielsen führt die Sächsische Staatskapelle unauffällig durch die Untiefen der atonalen Zwölftonmusik.

Fazit

Es ist der Semperoper hoch anzurechnen zwei selten gespielte Stücke der Moderne wiederzubeleben zu versuchen. Selbst wenn die Musik schwere Kost ist, die musikalische Umsetzung ist herausragend, der Versuch die historische Handlung des Oedipus zu aktualisieren scheitert jedoch. Der Gefangene lebt von dem zeitlosen Gefangenendrama und der herausragenden sängerischen und szenischen Leistung von Lester Lynch. Tosender Applaus für die Solisten und die Staatskapelle.

Oliver Hohlbach

Bild: Jochen Quast

Das Bild zeigt: Stephan Rügamer (Oedipus), Catrin Striebeck (Sprecherin)

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