DIE GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN – Kassel, Staatstheater

von Jacques Offenbach (1819-1880), Operette in drei Akten, Libretto: Henri Meilhac und Ludovic Halévy, deutsche Textfassung: Wolfgang Böhmer, UA: 12. April 1867 Paris, Théâtre des Variétés

Regie: Adriana Altaras, Bühne/Kostüme: Yashi

Dirigent: Alexander Hannemann, Staatsorchester und Opernchor Staatstheaters Kassel, Choreinstudierung: Marco Zeiser Celesti

Solisten: Belinda Williams (Großherzogin), Gideon Poppe (Fritz), Jaclyn Bermudez (Wanda), Marc-Olivier Oetterli (General Bumm), Tobias Hächler (Prinz Paul), Daniel Holzhauser (Baron Puck), u.a.

Besuchte Aufführung: 29. Oktober 2016 (Premiere)

kassel-gerolsteinKurzinhalt

Fritz, ein Soldat, liebt Wanda. Sein Vorgesetzter General Bumm ist von diesem Verhältnis nicht begeistert, da er sich selber erfolglos um Wanda bemüht hat. Als die Großherzogin von Gerolstein ihrem Regiment einen Besuch abstattet, wirft sie ein Auge auf Fritz und ernennt ihn zum General, was Prinz Paul mißfällt, der hofft von der Großherzogin endlich erhört zu werden. Siegreich kehrt Fritz zurück von einem „Scheingefecht“ zurück und erbittet von der Großherzogin die Vermählung mit Wanda. In der Hochzeitsnacht werden Komplotte von (Ex)-General Bumm und der eifersüchtigen Großherzogin geschmiedet, um Fritz zu degradieren. Doch am Ende bekommt mehr oder weniger jeder das, was er will.

Aufführung

Das Publikum blickt drei Akte lang auf einen Vielzweckbau, geschmückt mit vielen schwarz-rot-goldenen Fahnen, der Schriftzug „Bundes“ verweist auf eine Ähnlichkeit mit dem Bonner Kanzler-Bungalow. Per Hebebühne blickt man in verschiedene Stockwerke: mal in den Garten, ein Treppenhaus (das nicht genug Kapazität für den Auf- und Abtritt des Chors hat), mal in ein Schafzimmer und in einen rundum verglasten Versammlungsraum. Die dümmliche Schickeria-Gesellschaft trägt heutige Mode, die von den biederen Farben und Schnitten der fünfziger Jahre in Deutschland inspiriert ist. Die eine Hälfte der Truppe ist als Bundeswehr zu erkennen, die andere Hälfte als US Army. General Bumm trägt eine Fantasieuniform. Eine vierköpfige Ballettgruppe untermalt die Musikstücke ohne Bezug zur Handlung als Militärgruppe.

Sänger und Orchester

Das Degen-Thema beherrscht die musikalische Seite, taucht in den Orchesterstücken immer wieder auf. Auch die Großherzogin schwingt den Säbel ihres Vaters. Belinda Williams tut dies mit Charme, Charisma, einem ansteckend strahlenden Lächeln und viel Leuchtkraft in der Stimme. Sie bringt eine stimmungsvolle Regierungschefin auf die Bühne, die am Regieren wenig Interesse hat. Gideon Poppe kann ihren Liebhaber Fritz mit sehr melodiöser tenoraler Stimmführung und mit den Effekten eines Operetten-Offiziers gestalten. Jaclyn Bermudez ist ein sehr dramatischer Sopran (und keine Soubrette!), die beim Publikum für Wanda weder stimmlich noch szenisch Liebesgefühle aufkommen läßt. Etwas mehr Durchschlagskraft und Volumen wäre für einen alten Kämpfer notwendig, damit Marc-Olivier Oetterli dem General Bumm Gewicht verleihen könnte. Die Rolle des Prinzen Paul singt Tobias Hächler mit Verve und Ausdruck; er ist ein Operettentenor mit Anlage zum Heldentenor. Ohne Durchschlagskraft bleibt er hier leider zu blaß. Aufmerksamkeit erregt hingegen Daniel Holzhauser als Baron Puck, dem verschlagenen Strippenzieher. Guttural klingendes baritonales Timbre verleiht ihm die entsprechende Eloquenz. Das Staatsorchester und der Opernchor des Staatstheaters Kassel gelingt es das Feuer der französischen Operette – einer Opera Bouffe – zum Lodern zu bringen. Mit spielerischer Leichtigkeit wird das Klangbild zelebriert: die politische Karikatur französischer Zustände und Lebensart lebt in der Musik Offenbachs fort.

Fazit

Der Abend fällt beim Publikum durch: eine beißende Satire auf den französischen König Napoleon III. und seinen Staat wird auf die heutige deutsche Gesellschaft, eine Staatsführung umgemünzt, in der auch die Großherzogin nur das Niveau der „Bunten-Bussi-Bussi-Bilder“ erreicht – diese schickt allen Ernstes die Bundeswehr in einen Krieg mit den Nachbarn (gegen welchen denn?). Als auch die flachen Witzchen in den neu-übersetzten Dialogen beim Publikum nicht zünden, nutzt dieses schon die Pause zur Flucht. Man hätte doch das süffisant überzeugende Lächeln der Großherzogin Belinda Williams nutzen können, um politisches Kabarett zur aktuellen Militärpolitik zu machen, unter dem Motto „Jede Laydenszeit geht mal zu Ende“. Oder vielleicht Lokalkolorit? Der Bruder Napoleons (Jérome Napoleon) war König von Westphalen mit Dienstsitz in Kassel, die Brüder Grimm standen in seinen Diensten. Einzig die bezugslose Ballettgruppe erhielt nennenswerten Schlußapplaus, musikalisch ist es aber ein französisches Feuerwerk.

Oliver Hohlbach

Bild: Nils Klinger

Das Bild zeigt: Dieter Hönig (General Bumm), Hansung Yoo (Baron Puck), Stefanie Schaefer (Großherzogin von Gerolstein), Daniel Jenz (Prinz Paul), dahinter Herren des Opernchores

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