MOSES UND ARON – Paris, Opéra Bastille

von Arnold Schönberg (1874-1971), Libretto: A. Schönberg, U.A. Hamburg 12. März 1954, Musikhalle (konzertant);, UA: Zürich 6. Juni 1957, Stadttheater (szenisch)

Regie, Bühne, Kostüme, Beleuchtung: Romeo Castellucci, Choreographie: Cindy Van Acker, Dramaturgie: Piersandra Di Matteo und Christian Longchamp

Dirigent: Philippe Jordan, Orchester, Chor und Kinderchor der Opéra National de Paris, Maîtrise des Hauts-de-Seine, Choreinstudierung: José Luis Basso

Solisten: Thomas Johannes Mayer (Moses), John Graham-Hall (Aron), Julie Davies (Ein junges Mädchen), Catherine Wyn-Rogers (Eine Kranke), Nicky Spence (Ein junger Mann), Michael Pflumm (Der nackte Jüngling), Chae Wook Lim (Ein Mann), Christopher Purves (Ein anderer Mann, Ephraimit), Ralf Lukas (Ein Priester) u.a.

Besuchte Aufführung: 20. Oktober 2015 (Premiere,. Koproduktion Teatro Real de Madrid)

Opéra National de Paris 2015/16               MOSES UND ARON Direction musicale: Philippe Jordan Mise en scène/Décors/Costumes/Lumières: Romeo Castellucci Chorégraphie: Cindy van Acker Collaboration artistique: Silvia Costa Photo shows: J.S. Bou, Sir W.White, B.Hannigan, T.Lehitpuu, R.Shaham, A.Wolf, J.L. Ballestra, J.Mathevet, R.T.Guerrero

Opéra National de Paris 2015/16
MOSES UND ARON
Direction musicale: Philippe Jordan
Mise en scène/Décors/Costumes/Lumières: Romeo Castellucci
Chorégraphie: Cindy van Acker
Collaboration artistique: Silvia Costa
Photo shows: J.S. Bou, Sir W.White, B.Hannigan, T.Lehitpuu, R.Shaham, A.Wolf, J.L. Ballestra, J.Mathevet, R.T.Guerrero

Vorbemerkung

Moses und Aron, dieses unvollendete Spätwerk des Meisters der Zwölftonmusik, ist inhaltlich wie musikalisch eine schwierige und aufwendige Oper, die sich erst langsam auf den internationalen Bühnen durchgesetzt hat. Sie ist aus dem Geiste des Alten Testaments ein sehr persönliches Glaubensbekenntnis Schönbergs in Form eines philosophisch-musikalischen Kunstwerks. Inhaltlich fallen in dieser Oper Geist und Wort – und das Wort zu haben, bedeutet Macht – auseinander; und dort, wo sich das Wort doch in den Dienst des Geistes, der Idee, stellt, muß Moses die Erfahrung machen, daß der Gedanke ins Bild gehoben und damit verfälscht wird. Die Musik unterstreicht diese Idee, denn Arons Belcanto und die Abweichung von der Reihenstruktur bei seinem großen melodischen Hymnus in der zweiten Szene des ersten Aktes…halten diese Verfälschung unmißverständlich fest – Verfälschung jedenfalls im Hinblick auf die zwölftönig durchkomponierte Musik. (Dieter Rexroth in Metzler Musik Chronik).

Kurzinhalt

Erster Akt: Moses erhält vom „unvollstellbaren, unsichtbaren“ Gott den Auftrag das Volk Israel von falschen Göttern und von der Knechtschaft des Pharao zu befreien. Da Moses nicht redegewandt ist, soll Aron sein Sprachrohr sein. Gemeinsam verkünden sie dem Volk Gottes Willen und fordern zur Huldigung auf. Ein junger Mann und ein junges Mädchen sind erfreut, der Priester skeptisch. Das Volk ist enttäuscht, den neuen Gott weder sehen noch hören zu können und will ihn nicht annehmen. Es will eine bildliche Darstellung. Da nimmt Aron Moses’ Stab und verwandelt ihn in eine Schlange. Das und andere Wunder überzeugen. Nun ist das Volk bereit, durch die Wüste ins Land zu ziehen, wo Milch und Honig fließt.

Zweiter Akt: Seit 40 Tagen ist Moses auf dem Berge der Offenbarung. Das Volk murrt. Um es zu beruhigen, läßt Aron zu, daß das Volk ein Goldenes Kalb anbetet. Nur ein junger Mann empört sich. Er wird erschlagen. Das Fest um das Goldene Kalb wird zur Orgie. Als Moses endlich vom Berg herabsteigt zerstört er zornig das Idol. Aron versucht sich zu rechtfertigen. Als Moses ihm die göttlichen Gesetzestafeln aushändigen will, erwidert er, auch sie seien nur Idole und dem Volk unverständlich. Da zerschmettert Moses die Tafeln. Eine Feuerseule erscheint am Horizont und leitet das Volk durch die Wüste. Aaron hält sie für Gottes Gegenwart, Moses für ein Idol und bliebt verzweifelt zurück.

Den 3. Akt hat der Komponist nie komponiert.

Aufführung

Im ersten Akt ist die  Bühne in einen weißen, stimmungsvollen Nebel gehüllt, in dem Moses und Aron und die quellenden Menschenmassen des Volks Israel nur schemenhaft erkennbar sind. Alle sind in weiße Hemd-und-Hosen gekleidet. Im zweiten Akt ist die leere Bühne erhellt, in der Schlußszene von einer Schnee bedeckten Bergkulisse umgeben. Das Goldene Kalb ist ein Riesen-Zucht-Bulle, der sich erstaunlich ruhig auf der Bühne herumführen läßt. All das hätte eigentlich für eine einfache, eindrucksvolle Inszenierung gereicht, und man hätte sich besser auf die Musik konzentrieren können. Doch Castellucci wollte noch eine vielfältige, nicht ganzverständliche Symbolik hinzufügen. Ein über der Bühne hängendes Tonbandgerät, das Gottes Wort zu Moses hinunterspult, der sich die Tonbänder um den Arm wickelt. Ein Weltall-Satellit, der vom Himmel herunterkommt und Wunder vollbringt. Möglicherweise wird hier Wissenschaft und Technologie der göttlichen Allmacht gleichgesetzt. In schneller Abfolge auf die Wand projizierte Worte und Begriffe. Als dann das Volk Israel dem Charme des goldenen Kalbs erliegt, wird es, wie auch das goldene Kalb selbst, nicht vergoldet, sondern begossen mit einer schwarzen dicken Flüssigkeit, in der sich alle am Boden sielen. Irgendwo auf der Bühne liegt noch eine nackte Frau. Am Ende bliebt nur noch Aron als Idol-Popanz mit Maske und Glitzerumhang allein zurück, um dem vom Berge herabsteigenden Moses entgegenzutreten.

Sänger und Orchester

Thomas Johannes Mayer bestreitet halb singend, halb sprechend mit klangvollem Baß und klarer Diktion die Rolle des Moses, John Graham-Hall singt mit metallischem Tenor die des Aron. Die dritte Stimme ist das Volk Israel, das von Einzelstimmen und von den brillant einstudierten Pariser Opern-Chören, verstärkt durch die Maîtrise des Hauts-de-Seine, zugleich nuanciert und kraftvoll interpretiert wird. Philippe Jordan hat sich der schwierigen Aufgabe das gesamte Ensemble durch die dissonante Partitur zu führen mit Meisterschaft entledigt. Man kann die Monate lange Probenarbeit nur ahnen.

Fazit

Der italienische Avantgarde Künstler/Regisseur Romeo Castellucci sieht sich als Ikonoklast. Und es mag sein, daß eine logisch strukturierte Philosophie hinter seinen TeatroSocietas Raffaello Sanzio Projekten steht, doch hier wird sie nicht offenbar. Handelt es sich bei Schönberg um die Nicht-Ikone, um die Nicht-Darstellbarkeit eines unfaßbaren Gottes, so geht es Castellucci nur darum, die Ikone zu zerstören. Ist also das philosophische Thema Schönbergs hier nur Mittel zum Ausdruck einer Theater revolutionierenden Ideologie? Vielleicht, denn nach eigener Aussage ist Castelluccis Hauptsorge, das zu zerstören, was existiert, um einen Bruch mit der uns schon vorliegenden Darstellung der Welt herbeizuführen und bei Null neu anzufangen. (Romeo Castellucci, Les Pélerins de la Matière, Editions des Solitaires Intempestifs, 2001). Auf jeden Fall lenkt wieder einmal eine Operninszenierung von der Musik ab und geht ihre eigenen Wege ohne wesentlich zum eigentlichen Sinn der Oper beizutragen. Man ist dann versucht, wie der verzweifelnde Moses in der Schlußszene der Oper, zu schreien:

Unvollstellbarer Gott! ….Läßt du diese Auslegung zu?

Trotz dieser Vorbehalte muß man dennoch die Opéra National de Paris loben, ein so kompliziertes Werk in Angriff genommen und musikalisch erfolgreich auf die Bühne gebracht zu haben. Diese Neuproduktion gilt als der eigentliche Auftakt der Ära des neuen Generaldirektors der Pariser Oper, Stéphane Lissner. Sie wurde mit großem, wenn auch nicht ganz einhelligem Applaus aufgenommen.

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Bernd Uhlig

Das Bild zeigt: Moses (Thomas Johannes Mayer) zertrümmert die Gesetzestafel

Veröffentlicht unter Opern, Paris, Opéra Bastille