CASTOR ET POLLUX – Paris, Théâtre des Champs-Élysées

von Jean-Philippe Rameau (1683-1764) Tragédie in 5 Akten, Libretto: Pierre-Josephe Gentil-Bernard, 1. Fassung 1737, hier die Version von 1754, UA: 11. Januar 1754 Paris, Académie Royale de Musique

Regie: Christian Schiaretti, Dramaturgie Florent Siaud, Choreographie: Adonis Foniadakis, Bühne: Rudy Sabounghi, Kostüme: Thibault Welchlin, Licht: Laurent Castaingt

Dirigent: Hervé Niquet, Le Concert spirituel, Chor des Concert spirituel

Solisten: John Tessier (Castor), Edwin Crossley-Mercer (Pollux), Omo Bello (Télaïre), Michèle Losier (Phoebé), Jean Teitgen (Jupiter), Reinoud van Mechelen (Mercure, un spartiate, un athlète), Haasna Bennani (Cléone, une ombre heureuse), Marc Labonnette (Un grand prêtre)

Besuchte Aufführung: 13. Oktober 2014 (Premiere, Koproduktion Opéra Théâtre de Saint-Etienne)

CASTOR ET POLLUX -Vorbemerkung
Als  Baumeister  musikalischer Formen stand Rameau noch jenseits der Wende zur Klassik und Romantik. Doch als Harmoniker, Instrumentator und Programm-Musiker erschloß er der Musik nach Lully neue Bereiche. So übertrifft er in den Divertissements mit Gesang und Tanz, die bei ihm zu jedem Opern-Akt gehören, alles Bisherige und alles Zeitgenössische. Von den Symphonies de dance gehören manche zu  ballets figurés, wo eine Gruppe eine Episode des Stoffes zu „figurieren“ hat. Sie folgen eng den wechselnden Geschehnissen der Handlung, diktieren aber die Bewegungen der Tänzer musikalisch durch Ineinandergreifen der Instrumente und rhythmische Prägnanz.“ (Arnold Feil)

Kurzinhalt
Télaïre und Phoebé lieben beide Castor. Aber Télaïre soll Pollux, den Zwillingsbruder, König von Sparta, heiraten. Dieser ist unsterblich, weil er von Jupiter abstammt. Pollux verzichtet auf Télaïre, als er merkt, daß sein Bruder sie liebt und läßt Télaïre Castor heiraten. Die eifersüchtige Phoebé bittet Lynkeus, Télaïre zu entführen. Lynkeus überfällt die Stadt und Castor stirbt im Kampf. Darauf tötet Pollux  den Lynkeus. Doch diese Rache genügt Télaïre nicht, sie verlangt, daß Pollux von seinem Vater Jupiter Castors Unsterblichkeit erreicht und ihn wieder auf die Erde zurückbringt. Jupiter willigt nur ein, wenn Pollux an Castors Stelle in die Unterwelt geht. Pollux kämpft sich mit Merkurs Hilfe in die Unterwelt hinein. Doch Castor will das Opfer seines Bruders nicht annehmen. Er begnügt sich, nur für einen einzigen Tag auf die Erde zurückkehren zu dürfen,  um ein letztes Mal seine Geliebte zu sehen. Da bestimmt Jupiter schließlich, Castor und Pollux  als Sternbilder am Himmel gemeinsam unsterblich werden zu lassen.

Aufführung
Das Einheitsbühnenbild ist eine Säulenhalle mit Wandmalereien mythischen Inhalts, die jeweils etwas abgewandelt wird. In der Trauerszene, zum Beispiel, senkt sich eindrucksvoll ein schwarzer Vorhang wie eine dunkle Wolke nieder, vor der sich die Opferhandlungen vollziehen. Die Beleuchtung unterstreicht bühnenwirksam die Inszenierung. Die Kostüme sind so, wie man sie sich für die Griechen des Altertums vorstellt: die Frauen in langen Tuniken, nur Phoebé in giftgrünem, langen Kleide und Télaïre in langem, dunklem Glitzerkleid mit Kopfschleier. Die Männer in Brustpanzer, Schwert und Schild, und einige mit Helm. Die Tänzer meist in weiten schwarzen Hosen und nacktem Oberkörper, die Tänzerinnen in losen Tuniken. Die Choreographie der Tänze integriert sich nur selten in die übrige Opernhandlung.

Sänger und Orchester
Der eigentliche Star des Abends ist Jean-Philippe Rameau, dessen melodisch und rhythmisch lebensvolle, harmonisch eigenwillige Klangwelt (Hans Renner)  uns Hervé Niquet und sein Concert spirituel in all seiner reichen Vielfalt offenbart.
Unter den Sängern erfreut vor allem Edwin Crossley-Mercer als Pollux mit  reicher klangvoller Baß-Baritonstimme und reiner Stimmführung in den Melismen, wie in Présent des dieux, doux charme des humains, (3. Akt, 1. Szene). John Tessier tut sich etwas schwer in der Rolle des Castor. Vor allem im Sprechgesang der Rezitative fehlt es ihm an Klangfarbe. Nur in einigen Arien, wie in der Schlußarie mit Chor Tendre Amour, qu’il est doux der porter tes chaînes! (5. Akt, 4. Szene)  kommt das  helle Timbre seines Tenors zum Vorschein.
Omo Bello singt strahlend klar und überzeugend  Télaïres langsam getragene Trauerarie Tristes apprêts, pâles flambeaux. (2. Akt, 2. Szene),  aber die dramatischen Passagen ihrer Rolle bereiten ihr offensichtlich noch Schwierigkeiten. Michèle Losier spielt und singt mit herber, etwas gutturaler Mezzostimme die Zauberin Phoebé. Jean Teitgen ist der würdige Göttervater Jupiter. Reinoud van Mechelen (Mercure), gefällt mit schön timbrierter Tenorstimme vor allem in der Arie des Athleten Eclatez, fières trompettes. (2. Akt, 5. Szene). Sehr eindrucksvoll und omnipräsent in der Oper ist der prachtvolle Chor du Concert spirituel.

Fazit
Selbst, wenn es einige stimmliche Mängel gab, so hätte es mit einer anderen Choreographie eine  schöne Aufführung sein können. Aber Christian Schiaretti hatte entschieden, dem formell-strengen Rahmen der  Barockoper Rameaus eine Choreographie „electrique“ gegenüberzustellen. Das Resultat war verheerend. Wenn einige Tänze, wie der Kriegertanz der Spartaner im ersten Akt oder der Tanz der Teufel und der gehörnten Monster im vierten Akt, die Handlung anschaulich untermalen, so bietet uns der Choreograph Adonis Foniadakis in den unzähligen anderen Balleteinlagen der Oper nur eintönige, hektische Perpetuum-Mobile-Körperverrenkungen. Sogar die „seligen Geister“, deren Musik an die entsprechende Szene in Glucks Orpheus erinnert, werden von der frenetischen Körperzappelei nicht verschont.
Nichts gegen ein modernes Ballett in einer Barockoper, wenn es mit Witz und Können eingebracht wird, wie in William Christies’ Aufführung von Rameaus Les Paladins 2004 im Théâtre du Châtelet. Aber Adonis Foniadakis ist weder Maurice Bejart noch Pina Bausch und ein modernes Ballett schüttelt man nicht einfach aus dem Ärmel, indem man seine Tänzer wie Bacchanten ihre Körper verrenken oder wie Furien  ihre lange Haare wirbeln läßt. Es lenkt vom wesentlichen ab, es stört.
Es gab dennoch viel Applaus, aber er war nicht einhellig.

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Vincent Pontet-WikiSpectacle

Das Bild zeig: Castor (John Tessier) li und Télaïre (Omo Bello) re und Hofstaat

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