SIEGFRIED – Mannheim, Nationaltheater

Musik und Text von Richard Wagner (1813–1883), Musikdrama in drei Aufzügen, Erster Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen, Libretto vom Komponisten, UA: 16. August 1876 Bayreuth, Festspielhaus

Regie/Bühne/Kostüme: Achim Freyer, Licht: Sebastian Alphons, Dramaturgie: Tilman Hecker

Dirigent: Dan Ettinger, Orchester des Nationaltheater Mannheim, Puppenspiel des Nationaltheater Mannheim

Solisten: Judith Nèmeth (Brünnhilde), Edna Prochnik (Erda), Antje Bitterlich (Waldvogel), Jürgen Müller (Siegfried), Uwe Eikötter (Mime), Jürgen Linn (Alberich), Fafner (Sung-Heon Ho), Wanderer (Thomas Jesatko)

Besuchte Aufführung: 1. Dezember 2012 (Premiere)

Kurzinhalt

Nach dem Tod Sieglindes und Siegmunds wächst Siegfried bei Mime, dem Bruder Alberichs auf. Mime trachtet danach, an den Hort der Nibelungen zu gelangen, der vom Riesen Fafner behütet wird, welcher sich mittels des Tarnhelms in einen Drachen verwandelt hat. Der Göttervater Wotan hat mittlerweile einen Großteil seiner Macht verloren und zieht als rastloser Wanderer durch die Welt. Bei einer Frage und Wette verliert Mime, der nicht wußte, daß Siegfried selbst sein Schwert neu schmieden werde, sein Leben an denjenigen, der das Fürchten nie gelernt hat. Siegfried erschlägt furchtlos den Drachen, nimmt sich auf den Rat eines Waldvogels hin Ring und Tarnhelm und erschlägt Mime. Das Vöglein führt ihn schließlich zum Brünnhildenfels, wo Siegfried auf Wotan trifft, der ihn am Weitergehen hindern will. Siegfried zerschlägt Wotans Speer, Symbol seiner Allmacht. Dann bahnt er sich den Weg durch das Feuer, erweckt Brünnhilde und nimmt sie zur Frau.

Aufführung

Der Clown Siegfried ist mit einem Teddy auf ein blutbeflecktes Krankenhausbett gefesselt, während Mime und Wotan als Götter in Weiß in der Wett-Szene die Weltpolitik der Ring-Tetralogie erfragen. Im weiteren bekommt der Zuschauer die Möglichkeit, auf einem Fernsehbildschirm Billig-Pornos zu schauen, während Mime mit der Antwort ringt, wer denn nun Nothung neu schmieden könne. Alberich erscheint in der Gestalt Adolf Hitlers. Die Maskierung hat einen leichten Hang zur Komik, in der gestischen Umsetzung wirkt diese Personifizierung allerdings eher monumental. Der Kampf Siegfrieds mit Fafner spielt sich auf einer Meta-Ebene als Marionettentheater ab. Ein hüpfender Drache und ein tänzelnder Siegfried en miniature entscheiden hier über das weitere Schicksal von Göttern und Menschen. In der Haupthandlung bleiben ein zweigeteilter Torso Fafners und ein enthaupteter Mime zurück, indes Siegfried Purzelbäume und Räder schlagend dem Waldvogel folgt. Die statuenhafte Erda erinnert in ihrem Strahlenkranz ikonographisch an das Apokalyptische Weib. Ebenso symbolschwanger ist eine leuchtende Hand, die den Ring skizziert, als Tarnhelm hat man einen übergroßen schwarzen Zylinder gewählt; beides liegt vergessen am Bühnenrand. In einem überdimensionalen weißen Kleid schwebt in der Schlußszene Brünnhilde im offenen Bühnenraum, während Siegfried vergebens versucht, sich mit einer Leiter anzunähern.

Sänger und Orchester

Dan Ettingers Dirigat wirkt an mancher Stelle noch etwas unentschlossen in der Wahl der Tempi und in der dramatischen Ausdeutung der Leitmotive. Im zweiten und dritten Akt jedoch steigert sich die Ausdifferenzierung vor allem in der Erda-Szene und der Wiedererweckung Brünnhildes. Insbesondere die Behandlung großflächiger Farbtableaux wie die düstere Welt der Nachtalben im Gegensatz zur Naturidylle des Waldwebens lassen aufhorchen. Uwe Eikötter als Mime wirkt in weiten Teilen seiner Interpretation etwas brav und wenig maliziös, wie auch Jürgen Müller als Siegfried wird er leider oftmals von den Klanglawinen des Orchesters überrollt. Müller ist in den heroischen Momenten wie der Schmiede-Szene etwas zurückhaltend, das Duett mit Brünnhilde dagegen gelingt ihm mit emotionaler Überzeugungskraft. Judith Némeths Timbre ist mit warmer Tiefe und schillernder Höhe gesegnet. Auch im Fortissimo-Bereich ist ihr Ausdruck weich und geschmeidig. Antje Bitterlich als Waldvogel verfügt über eine ungemein beweglich-schwebende Höhe und eine Leichtigkeit der Stimmführung. Edna Prochnik verleiht ihrer Partie als Erda mit einer rauen, gaumenlastigen Stimme einen individuellen kassandrahaften Charakter. Der düstere Held des Abends war zweifellos Jürgen Linn, der kurzfristig die Premierenpartie Alberichs übernahm. Seine Artikulation ist überragend klar, sein Ausdruck verteufelt authentisch. Auch hat er an keiner Stelle gegen den opulenten Orchesterapparat anzukämpfen – die Stimme ist raumfüllend. Auch Thomas Jesatko (Wotan) machte seiner Partie alle Ehre. Die etwas im Körper verankerte Stimme spiegelte einen besonnenen, väterlichen Herrscher wider, der insbesondere im Gegensatz zu Linns Alberich den starken Kontrast von Licht- und Schwarzalben zur Geltung brachte.

Fazit

Die oftmals beschworene Aufteilung in Mythos und Märchen wird in Achim Freyers Inszenierung zu einem Wechselspiel von Horrorfilm und Harlekinade. Die Bilder sind stark, doch an mancher Stelle läßt dieser „disguised symbolism“ den Zuschauer im Dunkeln. Nach einem umstrittenen Beginn mit Rheingold hat das Mannheimer Ring-Konzept an innerer Stringenz gewonnen, was beim Schlußapplaus gleichermaßen für Buhs und Bravos sorgte. Nach reiflicher Überlegung ist das Fazit durchaus: Bravo!

Daniel Rilling

Bild: Hans Jörg Michel

Das Bild zeigt: Uwe Eikötter (Mime), Jürgen Müller (Siegfried)

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