ORPHEUS IN DER UNTERWELT – Nürnberg, Staatstheater

von Jacques Offenbach (1819-1880), Opéra-bouffon in 2 Akten, Libretto: Hector Crémieux u. Ludivic Halévy; in deutscher Sprache (von Carolyn Sittig, Kai Weßler und Laura Scozzi), UA: 1858 Paris (erste Fassung), 1874 Paris (zweite Fassung)

Regie: Laura Scozzi, Bühne: Juliette Blondelle, Kostüme: Jean-Jacques Delmotte

Dirigent: Gabor Kali, Staatsphilharmonie Nürnberg, Chor des Staatstheaters Nürnberg, Einstudierung: Tarmo Vaask

Solisten: Martin Platz (Orpheus), Leah Gordon (Eurydike), Leila Pfister (Öffentliche Meinung), Tilman Lichdi (Pluto), Martin Berner (Jupiter), Angelika Straube (Juno), Monika Reinhard (Diana), Lussine Levoni (Venus), Michaela Maria Mayer (Cupido), Tobias Link (Mars), Philip Carmichael (Merkur), Richard Kindley (Hans Styx) u. a.

Besuchte Aufführung: 10. November 2012 (Premiere)

Kurzinhalt

Orpheus und Eurydike haben sich auseinander gelebt. Orpheus, der die Nymphe Chloe verehrt, freut sich, daß seine Frau von Pluto, der sich als Aristeus ausgegeben hat, in die Unterwelt entführt wird. Die öffentliche Meinung jedoch verlangt von ihm, daß er Eurydike von den Göttern zurückerbittet. Zusammen mit dem Olymp tritt Orpheus die Reise in die Unterwelt an. Dort versucht Jupiter Eurydike für sich selber in Gestalt einer Fliege zu entführen. Von Pluto ermahnt, sie Orpheus zurückzugeben, stellt er jenem die Bedingung, sich bei Verlassen des Hades nicht umzublicken, sonst müsse Eurydike in der Unterwelt verbleiben. Als Jupiter einen Blitzstrahl entsendet, blickt sich Orpheus doch noch um, und Eurydike verweilt voller Freude von nun an bei den Göttern.

Aufführung

Wir befinden uns in einem Hochhaus unserer Tage. Im Erdgeschoß betreibt das Sozialamt Nürnberg ein Büro, gleich nebenan hat Eurydike einen Schönheitssalon. Im ersten Stock residiert, neben Orpheus Geliebter, Pluto alias Aristeus mit seinem Zerberus alias (dem gut dressierten) Schäferhund Bongo. Während des Vorspiels kommen die vier zur Sache und stellen viel körperlichem Einsatz das Kamasutra nach. Auf der Dachterrasse residieren die Götter in einem Altersheim im Schlafanzug, mit Rollstuhl, Gehhilfe und Infusionsgalgen. Für göttlichen Glanz sorgt Gott persönlich, der mit der schwangeren Maria und Joseph die Immobilie übernimmt. In der Tiefgarage betreibt Pluto eine Cannabis-Plantage. Für die Verteilung des Stoffes sorgt Hans Styx alias Adolf Hitler, unterstützt durch Josef Stalin, Gaddafi und Bin Laden. Im Koksnebel wird der Galopp zu einem Höllen-Getrampel mit Gehhilfen, durch den auch Michael Jackson, die Beatles, Amy Winehouse oder Andy Warhol toben.

Sänger und Orchester

Der Abend leidet wesentlich darunter, daß Gabor Kali keinen Zugang zu dieser „heiteren französischen Operette“ findet. Ohne Esprit, ohne Tempo, stellenweise zu gedehnt versanden die vielen musikalischen Kostbarkeiten und Einfälle Offenbachs in einem Grauschleier, der sich über den Abend senkt. Szenenapplaus gibt das müde Publikum kaum von sich, erst zum Höllengalopp wacht man auf, der leider nicht wiederholt wird. Einzig die Gags auf der Bühne reizen das Publikum zu Reaktionen.

Darunter leiden auch die Darsteller, wirken über weite Strecken blaß und zu leise. Den besten Eindruck hinterläßt noch der Mozart-Tenor Tilman Lichdi mit einem durchschlagsstarken Pluto mit Liebesglut, Ausdruck und Betonung – er hat sowohl lyrische als auch dämonische Momente. Auch der sonst so wortstarke Martin Berner als Jupiter wirkt gehemmt. Völlig blaß bleibt Martin Platz in der Hauptrolle des Orpheus, von der Gluck-Arie Ach ich habe sie verloren bleibt ihm nur die Titelzeile. Auf sich aufmerksam machen kann Leah Gordon als Eurydike im kurzen Rock, als sehr verspielter Sopran, mit warmer und leichter lyrischer Stimme, technisch sauber und leuchtenden hohen Lagen – auch wenn man ihr etwas mehr Volumen und weniger Tremolo wünscht. Erwähnenswert Richard Kindley als Hans Styx, der darstellerisch als dummer Adolf überzeugen kann und stimmlich mit Als ich noch Prinz war von Arkadien die Langeweile kurzfristig vertreiben kann. Dagegen ist Angelika Straube die Jupiter-Gattin Juno mit Haaren auf den Zähnen, die auch den hysterisch keifenden Ton sehr gut trifft.

Fazit

Selten ist eine solch heftige Publikumsreaktion zu erleben: gespalten zwischen pro und contra. Mag sein, daß 22:30 auch für Nürnberg als Ende einer Vorstellung spät ist, aber so leer ist eine Premierenfeier schon lange nicht mehr gewesen. Dafür ist das benachbarte Weinlokal Bocksbeutelstuben voll, die Wirtin eine „Klagemauer“: Humor mag eine zwiespältige Angelegenheit sein und nicht jeder Witz kann ankommen.

Beklagt wird vor allem das fehlende Feuer und Tempo in der Musik. Aber: Für die Karnevalszeit in Franken auf jeden Fall die richtige Veranstaltung!

Oliver Hohlbach

Bild: Ludwig Olah

Das Bild zeigt: In der Hölle (Tiefgarage) ist der Teufel los.

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