Les Contes d’Hoffmann – Hoffmanns Erzählungen – Essen, Aalto-Theater

Jacques Offenbach (1819-1880), Fantastische Oper in fünf Akten, Libretto: Jules Barbier, UA 10. Februar 1881 (posthum)

Regie: Dietrich Hilsdorf, Bühne/Kostüme: Johannes Leiacker

Dirigent: Stefan Soltesz, Essener Philharmoniker, Chor des Aalto Theaters, Einstudierung: Alexander Eberle

Solisten: Thomas Piffka (Hoffmann), Michaela Selinger (Muse/Niklausse), Thomas J. Mayer (Lindorf/Coppélius/Dr. Miracle/Dapertutto), Rebecca Nelsen (Olympia), Olga Mykytenko (Antonia), Ieva Prudnikovaite (Giulietta), Rainer Maria Röhr (Andrès/Cochenille/Frantz/Pitichinaccio), Renée Morloc (Antonias Mutter), Marcel Rosca (Luther/Spalanzani/Crespel/Schlémil) u.a.

Besuchte Aufführung: 22. Oktober 2011 (Premiere)

Kurzinhalt

Der heruntergekommene Dichter und Komponist Hoffmann feiert mit Freunden in einer Studentenkneipe, während er auf die Sängerin Stella wartet. Stadtrat Lindorf, wie Hoffmann in Stella verliebt, provoziert den Künstler. Die Situation entschärft sich vorübergehend, als Hoffmann von seinen vergangenen Liebschaften erzählt: von Olympia, die eigentlich eine Puppe ist, von Antonia, die sich im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode singt – und von der Kurtisane Giulietta, durch die Hoffmann zum Mörder wird. Unheimliche, Lindorf sehr ähnliche Widersacher kommen ihm immer wieder in die Quere. Am Ende der drei Erzählungen ist Hoffmann heillos betrunken und erkennt Stella nicht. Von allen verspottet bleibt ihm nur noch seine Muse, die ihm – verkleidet als sein Gefährte Niklausse – nie von der Seite gewichen ist.

Aufführung

Schauplatz dieser Hoffmann-Aufführung ist die leere Bühne eines modernen Theaters. Hier hat die Primadonna Stella eben noch ihren Triumph gefeiert, hier ergibt sich jetzt Hoffmann seinem Katzenjammer und läßt sich nur mühsam von seinen Fans – allesamt Opernbesucher – aus der Lethargie reißen. Die Muse ist eine in Hoffmann verliebte Zuschauerin, die sich kurzerhand von einem ebenfalls im Publikum plazierten Statisten den Anzug ausleiht, um sich in Niklausse zu verwandeln. Überhaupt wird der im ersten und letzten Akt übrigens komplett beleuchtete Zuschauerraum immer wieder in die Aufführung einbezogen. Während Hofmanns Erzählungen erhält die leere Bühne die notwendigsten Requisiten und Kulissen. So kann etwa aus dem Horrorszenario des „Antonia“-Akts (die Mutter ist hier nicht als Bild präsent, sondern liegt im Sarg, bewacht von einem „überlebensgroßen“ Tod im Biedermeier-Kostüm) innerhalb von Sekunden Giuliettas Bordell entstehen. Am Ende erneut Leere: Auf der verwaisten Bühne läßt sogar die Pistole Hoffmann im Stich, mit der er sich die Kugel geben will. Die Muse, nun wieder ganz Frau, erbarmt sich seiner, während der Chor aus dem Zuschauerraum die Schluß-Apotheose anstimmt.

Sänger und Orchester

In der Titelpartie steht ein hervorragender Sänger-Darsteller auf der Bühne des Aalto-Theaters: Thomas Piffka (Hoffmann) spielt den gescheiterten, in lichten Momenten immer noch charismatischen Künstler mit Totaleinsatz. Wenn er am Schluß auf dem Boden hockt, apathisch das „Klein-Zack“-Lied vor sich hin singend, ist das ein Bild, das man so schnell nicht vergißt. Musikalisch orientiert sich Piffka an stilsicheren Vorbildern (etwa Alfredo Kraus): Schlank führt er seinen hell timbrierten Tenor durch die Partie, heldische Töne blitzen nur in der strahlenden Höhe auf. Die technisch heikle Arie O dieu, de quelle ivresse – Gott, mit welcher Glut gelingt nahezu mühelos. Auch Michaela Selinger (Muse/Niklausse) schöpft das darstellerische Potential ihrer Rolle voll aus und steht zudem mit ihrem agilen, glutvollen Mezzo hoch in der Publikumsgunst. Ein Schurke wie aus dem Bilderbuch ist Thomas J. Mayer (Lindorf/Coppélius/Dr. Miracle/Dapertutto) in den vier „Bösewichter“-Partien – seinem stimmgewaltigen, etwas groben Bariton mangelt es jedoch an der vor allem für den Verführer Dr. Miracle unentbehrlichen Eleganz.

Konkurrenzfähig auch auf internationalem Niveau sind Hoffmanns Liebschaften: Virtuos und koloraturgewandt Rebecca Nelsen (Olympia), leidenschaftlich-warm und mit sich in der Höhe wunderbar öffnender Stimme Olga Mykytenko (Antonia), sinnlich-herb und glamourös Ieva Prudnikovaite (Giulietta). Komödiantisches Urgestein schließlich steht mit Marcel Rosca (Luther/Spalanzani/Crespel/Schlémil) und Rainer-Maria Röhr (Andrès/Cochenille/Frantz/Pitichinaccio) auf der Bühne.

Die Essener Philharmoniker unter ihrem Chef Stefan Soltesz spielen präzise und dynamisch angenehm zurückhaltend – aus dem Graben kommt der zündende Funke an diesem Abend allerdings nicht. Da sorgt der spielfreudige, intonationssicher singende Chor des Aalto-Theaters doch für wesentlich mehr Schwung.

Fazit

Daß die Inspiration im Orchester mitunter fehlt, tut der musikalisch herausragenden Aufführung keinen Abbruch. Bei der Inszenierung kommen Romantiker nicht auf ihre Kosten – dafür gelingt es Regisseur Dietrich Hilsdorf und Ausstatter Johannes Leiacker, die schaurig-groteske Atmosphäre des Werkes mit wenigen Versatzstücken einzufangen. Und die (sehr effektvoll umgesetzte) Idee, den Zuschauerraum mit einzubinden, mag nicht neu sein, überraschen läßt sich das Publikum so aber allemal. Großer Beifall für alle Beteiligten!

Dr. Eva-Maria Ernst

Bild: Thilo Beu

Das Bild zeigt: Thomas Piffka (Hoffmann), Michaela Selinger (Muse/Niklausse)

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