ANDROMAQUE – Luzern, Theater

von André-Ernest-Modeste Grétry (1741-1813), Tragédie lyrique in drei Akten, Schweizer Erstaufführung,  Libretto: Louis-Guillaume Pitra, nach Jean Racine. UA: 1780,  Paris, Académie Royale de Musique

Regie und Licht: Georges Lavaudant, Bühne/ Kostüme: Jean-Pierre Vergier

Dirigent: Mark Foster , Luzerner Sinfonieorchester, Chor und Extrachor des Luzerner Theaters, Choreinstudierung: Lev Vernik

Solisten: Simone Stock (Andromaque), Madelaine Wibom (Hermione), Utku Kuzuluk (Pyrrhus), Marc-Olivier Oetterli (Orest)

Besuchte Aufführung: 29. Mai 2011 (Premiere, Koproduktion Schwetzinger Festspielen und Opéra National de Montpellier)

Kurzinhalt

Die Griechen siegen über Troja. Dabei werden Andromaque, die Witwe des gefallenen trojanischen Heerführers Hector und ihr gemeinsamer Sohn gefangengenommen. Andromaque liebt Hector treu über seinen Tod hinaus. Um ihren Sohn ist sie besorgt, da die Griechen in ihm einen späteren Rächer vermutet. Der epirische König Pyrrhus schiebt den Hochzeitstermin mit der Prinzessin Hermione hinaus, weil er sich mit Andromaque vermählen will und ihr im Falle ihrer Vermählung die Sicherheit ihres Sohnes garantiert. Prinzessin Hermione verzehrt sich in Liebe zu Pyrrhus. Von Eifersucht getrieben stimmt sie das Volk den Gefangenen gegenüber feindlich und mißtrauisch. Um Hermiones Zuneigung ist jedoch Orest bemüht. Hermione beauftragt ihn, König Pyrrhus während der angekündigten Trauung mit Andromaque zu töten. Orest ist sich sicher, auf diese Weise das Herz Hermiones zu gewinnen. Jedoch nach der Tat ist Hermione zutiefst verzweifelt und nimmt sich das Leben. Darüber verliert Orest den Verstand.
Aufführung

Die leicht diagonal aufwärts verlaufende graue rundliche Mauerkulisse, mit einigen höher und tiefer gelegenen großen und kleinen Fenstern sowie ein mittig auf der Bühne stehendes graues Bett bestimmen das Bühnenbild. Der Stimmungslage angepaßt wechselt die Beleuchtung der Fenster ihre Farbe: Sie erscheinen blau, rot leuchtend oder auch schwarz. Die Kostüme sind schlicht und versetzen die Handlung eher in die Moderne. Hermiones Kleid ist grau und Ton in Ton mit Bett und Steinboden. Jedoch beachtlich schillernd kann es durch wechselnde Farbreflexe die Laune der Protagonistin zusätzlich untermalen. Der Chor steht nie mit auf der Bühne. Zum Einsatz kommen einige Statisten. Sie tragen hin und wieder symbolträchtige Gegenstände auf, u.B. eine Hochzeitstorte mit einer brennenden Fackel .

Sänger und Orchester

Das Orchester erreicht in seiner Dynamik beträchtliche Lautstärke. Die Sänger setzen ihre tragenden und starken Stimmen dynamisch angepaßt ein. Sie blieben stets etwas über dem Orchesterklang und gut hörbar. Der Chor klang rein und weich, wirkte jedoch etwas statisch, weil unsichtbar. Es war ungewöhnlich den Chor nur zu hören ohne ihn zu sehen. Madeleine Wibom (Hermione) rückte in den Mittelpunkt durch ihre starke Bühnenpräsenz. Ihre sehr klare Aussprache bestach bei diesem an der Sprache orientierten Werk. Ihre Aktionen unterstrichen ihre unterschiedliche Gemütslage. Mit der ersten Solo-Arie C’est le seul éspoir qui me reste – Das ist die einzige Hoffnung, die mir bleibt fesselte sie die Zuhörerschaft. Simone Stock (Andromaque) meisterte die Titelrolle graziös, gefühlvoll mit schmelzend zarten Koloraturen. Schmerzerfüllt sang sie die Arie Triste, captive, importune à moi-même – Ich bin traurig, gefangen und mir selbst zuwider. Überzeugende Standhaftigkeit vermittelte sie auch als Gefangene in der zwischenmenschlichen Auseinandersetzung mit dem Befehlshaber. Utku Kuzuluk (Pyrrhus), ein selbstbewußter und stimmsicherer Sänger, war die Rolle des Herrschers regelrecht auf den Leib geschneidert. Er bewältigte diese große Rolle mit überzeugender Souveränität. So sang er mal scharf, mal besinnlich, doch konnte er seine Klangstärkendynamik in differenziertere Regionen führen, so daß er scheinbar das höchste Forte in Vous le voulez? Hé bien, cruelle! – Du hast es so gewollt! Grausame! noch steigern konnte. Marc-Olivier Oetterli (Orest) gab in der Rolle des blind Liebenden sein Bestes. Das angenehme Timbre seiner tiefen Stimme war eines der Glanzlichter des Abends. Mit dem Auftritt Princesse, c’en est fait! – Princessin, die Tat ist vollbracht! leitete er gemeinsam mit dem Chor das tragische Ende der Handlung ein.

Fazit

Durch die sehr realistisch umgesetzte Dramatik wurde dieses in Vergessenheit geratene Werk erfolgreich und zu Recht wieder belebt. Es zeichnete sich besonders durch die schlichte Präsentation der etwas anderen Aspekte der Liebe und ihrer Macht aus. Es gab viele ästhetisch anspruchsvoll gestaltete Momente. Psychologisch wirksam und leicht nachvollziehbar dargestellt, wurde es vom Luzerner Publikum mit spürbarer Begeisterung und anhaltendem Applaus belohnt.

Ruta Akelyte Hermann

Bild: Ingo Höhn

Das Bild zeigt: Madelaine Wibom (Hermione)

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