DIE REISE NACH REIMS – Nürnberg, Staatstheater

von Gioacchino Rossini (1792-1868), Drama giocoso in einem Aufzug, Libretto: Luigi Balocchi, UA: 1825, Paris

Inszenierung: Laura Scozzi, Bühne: Barbara de Limburg

Dirigent: Philipp Pointner, Nürnberger Philharmoniker, Chor des Staatstheaters Nürnberg, Choreinstudierung: Edgar Hykel, Tanzensemble, Zauberer Cartini

Solisten: Karen Frankenstein (Corinna), Monika Walerowicz (Marquise Melibea), Nicole Chevalier (Gräfin von Follevill), Ania Vegry (Madame Cortèse), Ivan Turšić ( Chevalier Belfiore), Sung- Keun Park (Graf von Libenskof), Tobias Schabel (Lord Sidney), Frank Schneiders (Don Profondo), Shavleg Armasi (Baron von Trombonok)

Besuchte Aufführung: 12. Februar 2011 (Premiere)

Kurzinhalt

Verschiedene Personen aus aller Herren Länder sind auf dem Weg zu den Krönungsfeierlichkeiten Karls X. in Reims (1824) und steigen in Plombières in Madame Cortèses Badehotel Zur goldenen Lilie ab. Die sich hier begegnenden Menschen werden Liebespaare, begehren sich oder nutzen jeden denkbaren Anlaß zu einer musikalischen virtuosen Gefühlsäußerung. Da stellt sich heraus, daß in ganz Plombières keine Kutschpferde mehr zu bekommen sind. Da sie nicht daher zu den Krönungsfeierlichkeiten reisen können, feiern sie auf Anregung von Madame Cortèse ein großes Fest für den König, zu dem jeder der Gäste eine musikalische Kostprobe aus seiner Heimat beitragen soll. Lob und Preis Frankreichs und seines neuen Königs beenden das Fest.

Aufführung

Zur Bebilderung des Vorspieles grüßen die EU-Staatenlenker winkend ins Publikum. Da ist z.B. Angela Merkel im braunen Kleid, die englische Königin mit Diadem, der griechische Ministerpräsident, der einen Koffer mit Euros an sich nimmt, während Berlusconi und sein Männerfreund Putin sich lieber mit drei jungen Damen beschäftigen. Die Sänger-Darsteller sind Abziehbilder der jeweiligen Nationen, besonders beim Hymnen-Defilee – so erhält der deutsche Vertreter Wagner-Koteletten, Pickelhaube und Mercedes-Auto-Lenkrad. Die Handlung ist ins heutige Europa, in die überbordende EU-Bürokratie (eine Persiflage des Papierkriegs, der in der Ablage PK (Papierkorb) endet) verlegt, die blaue Farbe der EU-Fahne ist dominierend: Auf blauem Boden agitieren blaugekleidete EU-Angestellte, werden vielerlei Dekorationen aufgestellt, die blitzschnell auf- und abgebaut oder verschoben werden. So entstehen in atemberaubendem Tempo Hotellobby, Fitneßstudio, Fernsehstudio (inklusive Prügelei der Politiker) , EU-Büroräume mit Rollcontainern, ein Flughafen mit Rolltreppe – der Flug entfällt wegen eines Streiks der Air France. Und zum Schluß müssen Corinna alias Carla Bruni und Karl X. alias Nicolas Sarkozy sich mit Steine werfenden Demonstranten herumschlagen.

Sänger und Orchester

Rossini komponierte für diese Oper technisch anspruchsvolle Arien, Chöre und Solistenensembles – so müssen 16 Solisten entweder einzeln, im Dialog oder im Ensemble auftreten. Höhepunkt ist das Betroffenheitsfinale für bis zu 14 Stimmen. Heidi Elisabeth Meier (Madame Cortese) mimt die übermotivierte EU-Büroleiterin. Mit ihrem schweren Koloratursopran trifft sie die beachtlichen Tonsprünge exakt. Für die amüsante Jodelnummer  – Jodeln trifft Belcanto – gibt es Szenenapplaus. Leah Gordon (Follevill) ist ein jugendlich leichter Sopran mit großer Reichweite, auch wenn sie in den höheren Lagen etwas zu stark tremoliert. Hrachuhi Bassenz (Corinna) hat ihren großen Auftritt mit dem Hymnus auf Karl X. Sie nimmt ihren eloquenten Koloratursopran zurück und imitiert die leise Erzählstimme der Carla Bruni. Tilman Lichdi (Belfiore) ist ohne Zweifel der Star des Abends – auf der Männerseite. Er ist ein lyrischer Tenor der alten Schule mit viel Ausdruckskraft – Frauenherzen ersingt er sich ohne jede Mühe. Martin Nyvall (Libenskof) hat einen beweglichen Tenor um Details ausdrucksstark zu gestalten. Vladislav Solodyagin (Trombonok) ist ein fulminanter Baßbuffo. Der Chor zeigt sich wie immer unter der Leitung von Edgar Hykel bestens disponiert und schafft es nebenbei noch über die Bühne zu wuseln, daß es eine wahre Freude ist. Als Vorspiel zum zweiten Teil wird der zweite Satz aus Haydns Kaiserquartett angespielt. Zum Zeitpunkt der Komposition 1825 war sie die österreichische Kaiserhymne, was bezeichnend ist für das Deutschlandbild in Frankreich, erst ab 1841 kannte man sie auch als das Lied der Deutschen. Die Nationalhymnen werden von Philipp Pointner ohne Pathos zelebriert und der Hymnus auf Karl X. bildet einen beglückenden Abschluß des musikalisch mitreißenden Abends.

Fazit

Mit viel Liebe zum Detail, einer durchdachten Choreographie der Tanz- und Chorauftritte und viel Humor wird aus einer Oper ohne stringente Handlung ein bunter Opernabend inklusive Politik-Kabarett zum Schenkelklopfen für die ganze Familie. Die eine Hälfte des Nürnberger Publikums feierte Laura Scozzi lautstark, die andere Hälfte hielt mit Buh-Rufen dagegen. Eine break-tanzende Angela Merkel oder eine nackte englische Queen waren vielleicht doch des Guten zu viel. Allein die musikalische Seite hat das Publikum unstrittig als Sternstunde für Rossini gefeiert. Unbedingt anhörenswert!

Oliver Hohlbach

Bild: Ludwig Olah

Das Bild zeigt: Lord Sidney (Kurt Schober) hat sein eigenes Traumbild von seiner Queen.

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