Berlin, Komische Oper – THESEUS (TESEO)

von Georg Friedrich Händel (1685 – 1759), Oper in fünf Akten, Text von Niccolò Francesco Haym nach dem Libretto von Philippe Quinault zur Tragédie en musique Thésée von Jean-Baptiste Lully, deutsche Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze; UA: 1713 London
Inszenierung: Benedikt von Peter. Bühnenbild: Natascha von Steiger,
Kostüme: Katrin Wittig, Licht: Frank Evin
Dirigent: Alessandro de Marchi, Orchester der Komischen Oper
Solisten: Elisabeth Starzinger (Theseus), Marina Rebeka (Agilea), Stella Doufexis (Medea), Hagen Matzeit (Ägeus), Karolina Andersson (Clizia), David DQ Lee (Arkane)
Besuchte Vorstellung: 10. Februar 2008 (Premiere)

Kurzinhalt
berlin-theseus.jpgMedea, die Zauberin aus Kolchis, liebt den athenischen Kriegshelden Theseus, der wiederum Agilea liebt. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, die beiden zu trennen, beschließt Medea, Agilea zu töten und macht sich König Ägeus zum Komplizen. Als der sich jedoch daran macht, Theseus zu vergiften, erkennt er ihn an seinem Schwert als seinen vermißten Sohn. Medea, die nun die ganze Welt vernichten will, wird durch das Eingreifen einer göttlichen Macht daran gehindert.
Die Aufführung
Es handelt sich bei dieser Inszenierung um das Berliner Debüt des 1977 geborenen Regisseurs Benedikt von Peter. Wie auch die anderen Kräfte seines Teams stehen die meisten seiner Sänger am Beginn ihrer Karrieren. Von einem solch jungen Ensemble wird man eine kühne, unkonventionelle, vielleicht sogar rebellische Lesart des Textes erwarten. Und die bekam man geboten.

Um es gleich vorauszunehmen: Wer mit den Operninszenierungen etwa eines Christoph Schlingensief, ihrer oft sehr lockeren, assoziativen und multimedialen Bildgebung prinzipiell nicht zu Recht kommt, für den war der Abend schon gelaufen, bevor der erste Ton gespielt war.
In dem Stück sieht kein Schauplatz auch nur annähernd so aus, wie man ihn sich nach den Vorgaben des Librettos vorstellen würde. Die Darsteller bewegen sich viel und oft aufgeregt, praktisch immer sind mehr Personen auf der Bühne, als gerade singen, um stumme Aktionen auszuführen, der Umgang mit der Musik ist stellenweise sehr frei, es kommt zu Unterbrechungen mit kurzen gesprochenen Monologen (z.B. wird Heiner Müllers Gedicht Verkommenes Ufer im 4. Akt rezitiert), Laiendarsteller wirken mit (eine arabische Familie), die Darsteller werden mit Kübeln begossen, dekorieren sich gegenseitig mit Schlagsahne usw.
Der komplette erste und der Beginn des vierten Aktes spielen vor dem eisernen Vorhang, der Rest der Handlung auf der vollkommen mit Schlamm bedeckten Opernbühne. Allein aus diesen wenigen Beispielen wird ersichtlich, was für eine Strategie mit dieser Inszenierung verfolgt wird. Wer allerdings mit dieser zum Teil anarchisch anmutenden Ästhetik keine Schwierigkeiten hat, auf den wartete ein überaus amüsanter und darüberhinaus musikalisch bravourös gemeisterter Abend.
Da es viel zuviel zu sehen und – wenn man erst einmal das Programmheft zur Hand nimmt – zu deuten gibt, um alles zu erwähnen, läßt sich der Gesamteindruck der Inszenierung in etwa so zusammenfassen:
Man wird Benedikt von Peters Arbeit wegen der Freiheit seiner Deutung sicherlich einiges vorwerfen können, aber nicht, sie sei langweilig, humorlos, ignoriere das musikalische Geschehen und sei nicht sachkundig. Das Timing der Aktionen ist – dank der hervorragenden Darsteller – brillant, so daß während der dreieinhalbstündigen Oper keinerlei Leerlauf aufkommt. Das Libretto mit seinen mitunter wenig überzeugenden Entwicklungen wird sowohl in seiner Absurdität als auch seinen ethischen Momenten ernst genommen.
Händels Stoff bietet eine Fülle verwickelter Liebesbeziehungen und besitzt zugleich, da die Oper, wie für das 17. und frühe 18. Jh. typisch ist, im Milieu der Helden, Könige und Halbgötter spielt, eine politische Dimension. Dies kommt in der Inszenierung ebenso zum Ausdruck wie der Umstand, daß die Handlung vor dem Hintergrund eines Krieges zu sehen ist, eines Krieges, der die Protagonisten zeichnet.

Die Musik und die Sänger
Das Orchester der Komischen Oper brachte, in historischer Aufstellung und mit historischen Instrumenten angereichert, unter der Leitung von Alessandro de Marchi einen kräftig-dunklen, dabei ungemein genau artikulierten und akzentuierten Klang hervor. Das Zusammenwirken mit den Sängern in ihren Koloraturarien, die, wie in den einschlägigen Ensembles seit ein paar Jahren üblich, in einem sehr schnellen Tempo genommen wurden, war in seiner Präzision wirklich atemberaubend. Alle Solisten wurden völlig zu Recht mit Bravorufen für ihre Leistungen bedacht. Sämtliche Sängerinnen und die beiden Counter-Tenöre verfügen über eine hochspezialisierte Technik, die ihnen gestattet, exakt phrasierte, schnelle Läufe und Figurationen ebenso souverän zu singen wie auch einen forcierten, raumfüllenden Ton zu erzeugen.
Die Nuancierungsmöglichkeiten aller Sänger, etwa von Stella Doufexis als Medea, stehen auf höchstem Niveau. Von der Regie wurde bisweilen in ihre Partien eingriffen, indem einige kurze Rezitativphrasen gesprochen oder nur halb gesungen und in den Arien einzelne Töne verlängert oder Glissandi eingefügt wurden; doch betrifft dies nur einen sehr kleinen Teil der Partitur. Alle Chöre und Bühnenmusiken kamen, zum Teil elektronisch verfremdet, vom Band.
Fazit
Musikalisch ist diese Inszenierung ein Traum. Sie ist jedoch wirklich nur etwas für Leute, die offen für Überraschungen sind, oder für Freunde des modernen, experimentierfreudigen Theaters. In jedem Falle sehr kurzweilig.

Dr. Martin Knust                                                        Bild: Monika Rittershaus

Veröffentlicht unter Berlin, Komische Oper

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