Stuttgart, Staatsoper – DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

von Richard Wagner (1813-1883); Romantische Oper in drei Aufzügen, Dichtung vom Komponisten; Uraufführung: 2. Januar 1843 in Dresden, hier verwendet die in Paris abgelehnte Urfassung von 1841.
Regie: Calixto Bieito, Bühnenbild: Susanne Gschwender & Rebecca Ringst, Kostüme: Anna Eiermann
Dirigent: Enrique Mazzola, Staatsorchester und Staatsopernchor Stuttgart
Solisten: Attila Jun (Donald), Barbara Schneider-Hofstetter (Senta), Lance Ryan (Georg), Hilke Andersen (Mary), Torsten Hofmann (Steuermann), Yalun Zhang (Holländer), Dirk Zalm (Dämon, Stumme Rolle)
Besuchte Vorstellung: 8. Februar 2008

Kurzinhalt
stuttgart-hollaender.jpgDas Schiff des Daland sucht Schutz vor einem Sturm in einer Bucht. Während die Mannschaft ruht, landet auch das Schiff des Holländers, der einst die Natur und Gott herausgefordert hatte und dazu verdammt ist, ewig auf See zu sein. Nur alle sieben Jahre darf er an Land, um eine Frau zu finden, die ihn durch ihre Treue erlöst. Deshalb wirbt er bei Daland um dessen Tochter Senta. Daland, beeindruckt von den Schätzen des Holländers, stimmt zu.
Die Mädchen zuhause erwarten singend und spinnend die Rückkehr ihrer zur See fahrenden Liebsten. Senta bittet statt dessen ihre Amme Mary, vom Fliegenden Holländer zu erzählen, sie fühlt sich berufen, den „armen Mann“ zu erlösen. Senta wird vom jungen Jäger Erik umworben. Plötzlich erscheint ihr Vater mit dem Holländer, und sofort verlieben sich beide ineinander. Man rüstet zum Fest. Herausfordernd will man auch die Mannschaft des Holländers einladen, doch aus dem Schiff schallt nur beängstigendes geisterhaftes Dröhnen zurück. Erik erinnert Senta, daß sie ihm Treue gelobt habe, was Senta erschrocken leugnet. Der Holländer hat das Gespräch mitgehört und ist sich sicher, daß Senta ihm nicht die erhoffte Treue halten kann und eilt zu seinem Schiff, um auf ewig unerlöst zu bleiben. Doch Senta setzt ihm nach, verkündet ihm treu bis zum Tod zu sein und stürzt sich vom Felsen ins Meer. Die Erlösung für beide!?
Vorbemerkung
Calixto Bieito äußerte sich zu der Produktion auf der Internet-Seite der Oper Stuttgart (Podcast) mit folgender Inhaltsangabe: Meine Interpretation des Holländers ist im Prinzip einfach. Es ist die Geschichte eines westeuropäischen Mannes, heute, der seinen Job verliert, in dieser Art von Wirtschaftssystem, welches wir gegenwärtig haben. Er ist depressiv und grübelt darüber nach, wo er Loyalität, Treue, Solidarität, wo er etwas wirklich Wahres finden kann. Wir leben in einem sehr starken System mit einer sehr starken Wirtschaft, welche Werte zählen denn wirklich noch? Gott ist es nicht!
Die Aufführung
Ein gescheitertes Management auf Rafting-Tour?
Dieser etwas überraschende Ansatz, entstanden während einer Übernachtung auf dem Flughafen Zürich, führt zu einem bunten Bilderreigen und zu folgender Version: Eine Gruppe von Managern strandet im Nirgendwo des Heute auf einer Sandbank in einem Gummiboot. Offensichtlich gescheitert und deprimiert werfen sie mit Papier aus ihren Aktenkoffern um sich. Daland und Holländer (zwei vom gleichen Schlag) sitzen natürlich im selben Boot. Der Steuermann findet sein Mädel in einer nahen Hütte, wo es als Dämon unter Gogo-Girls lebt. Derweil sitzen die Ehefrauen zu Hause, füllen ihren Kühlschrank auf und frieren ihre Kleinkinder dort ein. Der Gespensterchor wird durch Licht im Publikum dargestellt, zur Schluß-Szene wird jemand im Gummiboot ans Kreuz genagelt und der Holländer legt erwartungsfroh seinen Kopf auf den Kühlschrank in Erwartung des Steuermannes, der ein Hackebeil schwingt.
Das ist sicherlich optisch eindrucksvoll und die Handlung sehr unterhaltsam, hat aber mit dem Fliegenden Holländer von Richard Wagner so gut wie nichts mehr gemein. Verfremdungseffekte hin, werkimmanente Kapitalismuskritik her, es ist zuviel des Guten. Die Auffassung geht am Thema des Stücks komplett vorbei.

Die gewählte Urfassung von 1841 hat unter anderem in der Orchestrierung eine Stärkung des Bleches vorgesehen, da die Leistung des Bleches 1841 nicht so „laut“ war, wie die späteren Instrumente. Wenn man nun mit heutigen Instrumenten spielt (wie in Stuttgart geschehen), so muß man das Blech stark zurücknehmen, so daß man die Maßnahme des Komponisten in der späteren Dresdner Fassung vorwegnimmt.
Wenn man sich aber ernsthaft mit der Urfassung und deren Effekten bzw. romantischen Wirkung tatsächlich auseinandersetzen will, so ist man mit der Studioaufnahme von Bruno Weil (auf Originalinstrumenten) besser aufgehoben. Die übrigen Feinheiten der Urfassung gehen dann auch nicht im Gewusel auf der Bühne unter, was man auch dem unverbindlichen Dirigat von Enrique Mazzola anlasten kann.
Aber die Leistung des ausgezeichneten Orchesters sollte man unbedingt davon trennen, das neben dem bestens vorbereiteten Chor zu den Stützen des Abends zählt.
Die Sänger
Wirklich hervorragend besetzt ist nur Lance Ryan (Georg, später Eric), ein lyrischer Tenor mit Durchschlagsvermögen und auch in der Trainingshose überzeugend. Das ist jemand mit Entwicklungspotential!
Überzeugend auch Torsten Hofmann (Steuermann) und Hilke Andersen als Mary, die im Gegensatz zu üblichen Besetzungen nicht mit einer abgesungenen Soubrette besetzt ist. Die Baßpartie des Holländers ist mit Yalun Zhang, einem hellen Bariton ohne Kraft und Höhe, leider fehlbesetzt.
Insgesamt betrachtet ist das solides Staatsopern-Mittelmaß. Ein unterhaltsamer Abend. Mehr nicht!

Oliver Hohlbach                                                           Bild: Thiemo Hehl

Veröffentlicht unter Stuttgart, Staatsoper

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