Baden-Baden, Festspielhaus – Berlioz und Wagner – Sir Simon Rattle

Dirigent: Sir Simon Rattle, Orchestra of the Age of Enlightenment

Solisten: Ben Heppner (Tristan), Violeta Urmana (Isolde), Franz-Josef Selig (Marke), Sarah Connolly (Brangäne), Timothy Robinson (Melot/Kurwenal)

Besuchte Aufführung: 4. August 2010

Vorbemerkung

Eine interessante Kombination zweier Werke von Hector Berlioz und Richard Wagner gab es an diesem Abend in Baden-Baden zu erleben. Nicht nur thematisch stehen sich Berlioz’ Scène d’amour seiner Romèo et Juliette – Sinfonie und der zweite Aufzug von Wagners Tristan und Isolde nahe. Von tragischer Liebe läßt sich ebenso beim Verhältnis der beiden Komponisten sprechen: Während Wagner beim Hören der dramatischen Sinfonie maßlos begeistert war, konnte der Tristan-Stoff bei Berlioz Zeit seines Lebens keine Begeisterung erwecken.

Aufführung

Im orchestralen Allegretto-Adagio aus Romèo et Juliette exponiert Berlioz meisterhaft kontrastierende Themen und Motive und stellt diese auf immer neue Weise neben- und gegeneinander. Beeindruckend auch wie Simon Rattle und dem Orchestra of the Age of Enlightenment die musikalische Umsetzung gelingt. Lyrisch-poetische Passagen, dominiert von sanften Holzbläser- und vibratoreichen Streicherklängen, mischen sich mit bedrohlich-pochenden Rhythmusfiguren der Baßinstrumente. Die Blechbläser dagegen nutzt Rattle zur reinen Klangfarbenbereicherung und hält diese dezent im Hintergrund. Weiterer Detailreichtum läßt sich im fein nuancierten und ständig wiederkehrenden Absterben und Wiederauflebenlassen des musikalischen Satzes erkennen, der kurz vor dem Erliegen immer wieder zu neuem Leben erwacht. Der Klangkörper reagiert auf sämtliche rhythmisch-motivischen Eigenheiten der Komposition. Allerdings verzichtet die Interpretation auf die bei Berlioz vorhandene schicksalhafte Schattenseite des musikalischen Ausdrucks zugunsten eines stets gegenwärtigen Wagnerschen Liebesdunstes, was dem Zuhörer das heraufdämmernde Schicksal zwar vor Augen führt, jedoch stets auf wenig bedrohlicher Distanz hält. Nach einer überraschend frühen Pause war nun der zweite Aufzug aus Wagners Tristan und Isolde konzertant zu erleben. Rasch fliegen die ersten Takte vorüber und führen zum Dialog zwischen Violeta Urmana (Isolde) und Sarah Connolly (Brangäne). Leider wurden die Solisten beinahe den ganzen Abend von den Klangmassen des Orchesters überrollt. Einzig das Rauschen des Waldes und Plätschern des Bächleins erinnern in ihrer Idylle an das Waldweben aus der Oper Siegfried. Urmana scheint sich von der orchestralen Übermacht dies nicht anmerken zu lassen. Mit ihrer beweglichen, sanften Stimme setzt sie sich zwar nicht gegen die Klanglawinen durch, doch gelingen ihr Spitzentöne und heikle Sprünge mit großer Leichtigkeit. Leider wirkt die malerisch konzipierte Passage Des kühnsten Mutes Königin rasch und verhetzt, was der Sängerin keinen großen Gestaltungsraum läßt. Ebenso Connolly, die trotz alledem mit großem Nachdruck ihr Vor Melot sei gewarnt über die Bühne bringt.

Anders Ben Heppner (Tristan), der seine große Anspannung, sich gegen das Orchester zu behaupten, nicht verbergen konnte. Klar und einschneidend im Timbre, obertonreich in der Kopfstimme, schien er auf glühenden Kohlen zu stehen, um seiner Rolle an diesem Abend gerecht zu werden. Auch der Beginn des Liebesduettes Sink hernieder Nacht der Liebe rauscht schnell vorüber und nimmt der Szene den zentralen Moment des Innehaltens. Allerdings zeigt sich hier in den leisen Orchesterpassagen die deutliche Artikulation der beiden Solisten, wobei Heppner, zu stark in sich selbst gekehrt, seine Duettpartien zu Teilmonologen umgestaltet.

Lob gebührt an diesem Abend vor allem Franz-Josef Selig (Marke), der seiner Rolle als alternder König viel Pathos verleiht. Gebrochenen Herzens singt er von verlorenem Vertrauen und vergangener Liebe, wobei vor allem die trostlose innere Einsamkeit des Herrschers Mitgefühl erregt. Mit diesen Voraussetzungen würde er sicherlich einen großartiger König Philipp in Verdis Don Carlos abgeben. Im großen und ganzen scheinen die Sänger jedoch allein gelassen, während Rattle die Tristan-Partitur (wortwörtlich hinter dem Rücken der Sänger!) vor allem sinfonisch interpretiert.

Fazit

Ein durchwachsenes Konzerterlebnis, bei welchem sich rückblickend vor allem der erste Teil als maßgebend und interpretatorisch wertvoll herausstellt. Eine Zusammenkunft routinierter Künstlerindividuen, denen es leider nicht gelungen ist, ein musikalisches Ganzes zu vermitteln. Allerdings war der Zuhörer vorgewarnt. Auf den ersten Seiten des Programmheftes findet sich das Rossini-Zitat: Herr Wagner hat schöne Augenblicke, aber schlimme Viertelstunden.

Daniel Rilling

Bild: Andrea Kremper

Das Bild zeigt: Sir Simon Rattle (Dirigent), Orchestra of the Age Enlightenment, Violeta Urmana (li.), Ben Heppner (re.)

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