ORLANDO – Berlin, Komische Oper

Von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Opera seria in 3 Akten; Libretto nach Carlo Sigismondo Capece, UA: 27. Januar 1733, London, King’s Theatre Haymarket
Regie: Alexander Mork-Eidem, Bühne: Erlend Birkeland, Kostüme: Maria Gyllenhoff, Dramaturgie: Bettina Auer, Licht: Franck Evin
Dirigent: Alessandro De Marchi, Orchester der Komischen Oper Berlin Solisten: Mariselle Martinez (Orlando), Brigitte Geller (Angelica), Elisabeth Starzinger (Medoro), Julia Giebel (Dorinda), Wolf Mathias Friedrich (Zarathustra), Bernd Stempel (Isabella)
Besuchte Aufführung: 26. Februar 2010 (Premiere)

Kurzinhalt
Berlin-Komisch-OrlandoDer Ritter Orlando hat sich in die Königin Angelica verliebt, obwohl der Zauberer Zoroastro ihm nahelegt, sich nicht für den Liebesgott Amor, sondern für den Kriegsgott Mars zu entscheiden. Angelica zieht den schönen, armen Prinzen Medoro jedoch vor. Die Schäferin Dorinda ist in Medoro verliebt, der sich zugunsten von Angelica von ihr abwendet, was Dorinda in tiefe Verzweiflung stürzt. Als Orlando die Beziehung zwischen Angelica und Medoro erkennt, wird er wahnsinnig und rasend vor Eifersucht. Er versucht Angelica zu töten, was Zoroastro verhindern kann. Der erschöpfte Orlando schläft ein und wird durch den Zauberer von seinem Wahnsinn geheilt. Seine Taten bereuend wünscht er sich den Tod. Er verzichtet auf weitere Rache an Angelica und Medoro, alle versöhnen sich.
Aufführung

Alessandro Mork-Eidem stellt ein Hippiemilieu im dunklen Wald mit Zelt, Schlafsack, altem VW-Bus und Campingstuhl auf die Bühne. Zoroastro (Zarathustra) ist ein kiffender Guru mit Rastalocken. Er hat einen glatzköpfigen Assistenten (Schauspieler Bernd Stempel) im lilafarbenen Kostüm, der im Libretto nicht vorgesehen ist und die Aufgabe hat, das Publikum zum Lachen zu bringen, indem er die Szene stört oder die Handlung übertreibt. So rennt er laut schreiend durch den Zuschauerraum, um das Zauberwasser in Form eines Sixpacks Wasserflaschen heranzutragen. Dorinda trägt Gummistiefel zum roten kurzärmeligen Kleid, Medoro ist eine dunkelhaarige Schönheit in langem hellen Kleid, Angelica tritt im Anzug auf, Orlando ist wie ein Bundeswehrsoldat gekleidet und erschießt sich selbst blutspritzend mit einem Revolver. Zum versöhnlichen Ende sitzen alle am Bühnenrand und lassen die Beine baumeln.
Sänger und Orchester

Alessandro De Marchi ist bemüht, das Orchester (Streicher, Theorbe, Erzlaute, Gitarre, Harfe) und die deutsch singenden, deutlich artikulierenden Sänger zusammenzuhalten, um dem musikalischen Kaleidoskop aller Gefühlsfacetten Ausdruck zu geben. Im dritten Akt spielen – wie zu Händels Zeiten – drei Musiker mit Violoncello und zwei Violen d’amore (bratschenähnliches Streichinstrument mit Resonanzsaiten) auf der Bühne. Allen Sängern fehlt es an stimmlicher Tiefe. Mariselle Martinez (Orlando) braucht eine Weile, um sich in den dunklen Lagen zurechtzufinden und schafft es nur ansatzweise, der gesamte Gefühlsspannweite ihrer Rolle zwischen Phlegma und Raserei Ausdruck zu bringen. So überzeugt sie eher in der Arie Himmel, wenn du das zuläßt (2. Akt) als in der sogenannten Wahnsinnsarie am Ende des zweiten Akts. Wolf Mathias Friedrich (Zarathustra) präsentiert sich körperlich stark und kann seinen Koloraturen nur mit Mühe darstellen. Dagegen bringen die Sängerinnen die früher von Kastraten gesungenen Rollen besser zum Klingen, so im Terzett, das den ersten Akt abschließt Tröste dich, oh Schöne. Brigitte Gellers (Angelica) gelingt es, in der mit klarer Sopranstimme gesungenen Arie Er kann mich nicht undankbar nennen (2. Akt) die darin enthaltene Rechtfertigung für das Leid, das sie Dorinda zufügt, auszudrücken. Auch wenn Julia Giebels (Dorinda) Stimme zwar einiges an Beweglichkeit für die koloraturreichen Arien und leicht federnden Rezitative fehlt, so gelingt ihr die Umsetzung der mit großen Sprüngen gespickten Arie Die Liebe ist wie ein Wind im Kopf (3. Akt) recht gut. Elisabeth Starzingers (Medoro) Äußeres bewirkt Verwirrung, doch diese tritt in den Hintergrund angesichts ausdrucksvoller Trauer und Abschiedsstimmung in der Arie Grüne Lorbeerbäume, vereint unsere Namen auf ewig (2. Akt).
Fazit

Händels Librettist griff auf die mittelalterliche Heldenlegende Orlando furioso zurück, die er durch den Einsatz des Zauberers als Vertreters der Vernunft zu einer Parabel über ritterliches Verhalten machte, um der höfischen Gesellschaft das aktuelle Thema des Verlusts von Selbstkontrolle vorzuführen. Offenbar konnte Alessandro Mork-Eidem mit dieser Barockoper nichts anfangen, denn er veralbert diejenige Figur, die deren zentrale Botschaft transportiert: Der Zauberer Zarathustra soll eigentlich den wahnhaft eifersüchtigen Orlando zur Vernunft bringen, und ein von Liebe Besessener soll zurückfinden zu Verstand und Gefühlskontrolle, um seine gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen. Vom Publikum gab es einige Male Szenenapplaus, am Ende Bravorufe für die Sänger, Buhs für die Regie und die Kostümbildnerin.
Carola Jakubowski

Bild: Monika Rittershaus
Das Bild zeigt: Julia Giebel (Dorinda)

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