RADAMISTO – Karlsruhe, Staatstheater

von G.F. Händel, Opera seria in drei Akten, Libretto: Nicola Francesco Haym nach dem Libretto von Benedetto Domenico Lalli, UA: 27. April 1720, King’s Theatre Haymarket, London (1. Fassung, in Karlsruhe gespielt)
Regie/Choreographie: Sigrid T’Hooft, Bühne: Christian Floeren, Kostüme: Stephan Dietrich, Corpo Barocco, Gent
Dirigent: Peter van Heyghen, Deutsche Händelsolisten
Solisten: Mika Kares (Farasmane, König von Thrakien), Tamara Gura (Radamisto, Sohn Farasmanes), Delphine Galou (Zenobia, Radamistos Frau), Patrick Henckens (Tiridate, König von Armenien), Kirsten Blaise (Polissena, Frau Tiridates und Radamistos Schwester), Berit Barfred Jensen (Fraarte, Bruder Tiridates), Ina Schlingensiepen (Tigrane , Fürst von Ponto)
Besuchte Aufführung: 25. Februar 2010 (Premiere der Wiederaufnahme von 2009, szenische authentische Uraufführung)

Kurzinhalt
ka-radamisto.jpgTiridate, verliebt in Radamistos Frau Zenobia, will deswegen seine Frau Polissena verlassen. Um Zenobia zu erobern, überfällt Tiridate mit seinen Soldaten Thrakien und nimmt Farasmane gefangen. Radamisto entkommt mit Zenobia. Auf der Flucht erleidet Zenobia einen Schwächanfall und stürzt sich in den Fluß, um der Gefangenschaft zu entgehen. Sie wird gerettet und kommt mit Radamisto in Tiridates Hand. Dieser bietet Zenobia Zepter und Krone der vereinigten Königreiche Armenien/Thrakien, doch sie lehnt jeden Annäherungsversuch ab. Radamisto kommt als Bote verkleidet in Tiridates Palast, um ihn zu töten. Dies verhindert Polissena. Radamisto soll sterben, wird aber von Tigrane gerettet. Tiridate, seiner Macht beraubt, versöhnt sich mit seiner Frau.
Aufführung
Man erblickt eine Kulissenbühne, die in perspektivischer Anordnung die auf Leinwänden gemalten Bühnenbilder von der Bühnentiefe nach vorne seitlich anordnet oder vom Schnürboden herabläßt, wobei die Kulissenwände sich vom Bühnenhintergrund nach vorne fächerförmig öffnen. Diese Leinwände zeigen die Örtlichkeiten, in denen sich die Handlung abspielt. Je Akt gibt es drei Ortsveränderungen: königliches Lagerzelt, Feldlager, Palasthof, Landschaft mit querverlaufendem Fluß, königlicher Garten, Palastsaal, Hof innerhalb des Palastes, königliches Gemach und Tempel. Die Bühne wird von mächtigen Kronleuchtern erhellt, die mit Dutzenden von Kerzen bestückt sind. Von der Rampe her gibt es verdecktes Kunstlicht, das einzige „Moderne“ der Beleuchtung. Durch Farbunterschiede sind die prächtigen, ausladenden Kostüme der Protagonisten unterscheidbar. So tragen Tiridate und Polissena schwarz-goldene Gewänder, Radamisto und Zenobia weiß-rote Kostüme etc. Alle tragen auf ihrem Kopf ungeheuer hohe Aufbauten, die ihre königliche Würde anzeigen. Die Kostüme der zum jeweiligen Aktschluß auftretenden Tänzer sind von einer variantenreichen Farbenpracht wie sie nur die Barockzeit hervorbringen konnte.
Sänger und Orchester
Die Händelsolisten, ein Spezialorchester, unter Peter van Heyghen Leitung läßt Händels Musik aufblühen. Stets werden angemessene Tempi vorgegeben. Obwohl van Heyghen seine Musiker fest im Griff hat, gelingt es ihm nicht immer, die Lautstärke den solistischen Stimmen anzugleichen. Auch übertönen einige Male begleitende Solo-Instrumente, wie z.B. die Oboe Zenobias Cavatina Quando mai, spietata sorte – Warum nur, unbarmherziges Schicksal (2. Akt).
Den Naturhörnern und -trompeten gelingen ihre Soli gut, was durch die schwere Spieltechnik dieser Instrumente keineswegs immer der Fall ist.
Kurz nach Zenobias vermeintlichem Tod singt Radamisto eine Ombra-Arie. Händel selbst hat sie hochschätzte. Tamara Gura (Radamisto) Ombra cara di mia sposa – Teurer Schatten meiner Gemahlin (2. Akt) gelingt es nicht ganz, die Dimension dieser Largo-Arie herauszuarbeiten. Trotz ihres intonationssicheren Mezzosoprans befriedigt Dynamik und Betonung nicht ganz. Patrick Henckens (Tiridate) setzt seine Tenorstimme mit Verve ein, hat in den Höhenlagen ein wenig Mühe, singt die parallel zum Orchester verlaufenden Stellen (colla parte) intonationsgenau, doch seine Partie ist nicht genug ausgefeilt. Berit Barfred Jensen (Fraarte) und Ina Schlingensiepen (Tigrane) geben den Koloraturen und Verzierungen die nötige lyrische Note. Mika Kares (Farasmane) besitzt ein raumfüllendes Baßvolumen. Seiner Gesangslinien sind dynamisch und kraftvoll. Die rasenden Koloraturketten ihrer Arie Son contenta di morire – Zufrieden bin ich zu sterben (1. Akt) singt Delphine Galou (Zenobia) einwandfrei. Beim Da capo spart sie nicht mit Verzierungen, die sich manchmal nicht so gut in Händels Ausdrucksweise einpassen. Kirsten Blaise in der Rolle des verlassenen und doch treuen Polissena, eine wahre Königin in Darstellung und Gesang, bringt umwerfend die kräfteverzehrenden Colla-parte-Stellen zusammen mit der Solo-Violine über die Rampe. Das Singen der über sechs Takte gehaltenen langen Noten ist – nur für den Zuhörer – atemberaubend. Verdienter langer Szenenapplaus!
Fazit
Eine Aufführung, die mit ihrer Authentizität eine große Eindringlichkeit vermittelt. Zu wünschen wäre, daß mehr Opernhäuser sich veranlaßt fühlten, der Barockoper wieder „ihre Heimstatt“ zu geben. Sigrid T’Hooft gelingt das hier: es war nicht nur eine Ohren- sondern auch eine Augenweide.
Dr. Olaf Zenner

Bild: Jacqueline Krause-Burberg
Das Bild zeigt: Tamara Gura (Radamisto) im Hintergrund, Kirsten Blaise (Polissena)

(Hinweis: im OPERAPOINT-Heft 2/2010 werden neben einem Interview mit Sigrid T’Hooft weitere Informationen zum „authentischen Geschehen“ dieser Aufführung zu lesen sein.)

Veröffentlicht unter Opern