CHRISTIAN THIELEMANN DIRIGIERT DIE WIENER PHILHARMONIKER – Paris, Théâtre des Champs-Élysées

Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Symphonie Nr. 8, F-Dur Op. 93, Ouvertüre zu Goethes Trauerspiel Egmont Op. 84, Symphonie Nr. 7, A-Dur, Op. 92
Aufführung: 16. November 2009

paris-thielemann.jpgVor ausverkauftem Theater spielten die Wiener Philharmoniker, eines der weltbesten Sinfonieorchester, unter Thielemann ein reines Beethovenkonzert. Der Komponist selbst leitete die Uraufführungen der beiden Symphonien in den Jahren 1812 und 1813 in Wien, die ihm einen riesigen Erfolg brachten. Beethoven hat in seinen Konzerten diese Symphonien auch öfter zusammen dargeboten. Beide Werke stehen in Durtonarten und weisen denselben heiteren, ja fröhlichen Charakter auf.
Thielemann beginnt mit der 8. Symphonie.
Insgesamt nimmt der Dirigent das Tempo des ersten Satzes recht langsam, verglichen z.B. mit der bekannten Einspielung von Günter Wand mit dem NDR-Sinfonieorchester von 1987. Schon ganz zu Anfang merkt man Thielmanns Handschrift, indem er (Takt 11) den Dominant-Tonika-Schritt von C-Dur nach F-Dur durch eine Verzögerung betont. Kurze Zeit später gibt es ein Solo für das Fagott. Der Fagottist begleitet sozusagen das Erscheinen des zweiten Themas. Seine Solomelodie trägt er übrigens in edelster Weise vor. Thielemanns „Regieeinfall“ ist nicht nur überraschend, sondern er verleiht dem Satz graziöse Eleganz. Dies überträgt sich auch im weiteren Verlauf auf den gesamten Satz, der ja ohnehin vom kontrastreichen Wechselspiel der Bläser mit dem großen Orchester lebt. Es ist eine Stärke von Thielemann, die Phrasenschlüsse sehr deutlich abzusetzen und neue Stimmeinsätzen sind klar gegenüber den anderen Stimmen unterscheidbar. Das Zuhören wird dadurch ungemein erleichtert. Der Dirigent befolgt allerdings streng alle Vorgaben Beethovens: es gibt mächtige Crescendo-Bögen und genaue Decrescendi, manchmal sogar nur innerhalb eines Taktes.
Hierdurch wird das symphonische Gewebe sehr durchhörbar.
Die weiteren Sätze erklingen in ähnlich angelegter Deutlichkeit sowohl in der Dynamik wie auch im Einsetzen der solistischen Instrumente. Erwähnenswert ist noch die besondere Verzögerung zu Beginn des Menuetts (2. Satz). Hier könnte man das „Zuspätkommen“ (das Ritardando) des hohen C auf dem ersten Taktteil des Themas als geschmäcklerisch bezeichnen. Doch wäre das ganz falsch, da der Beginn beim Tanzen eines Menuetts immer verzögert einsetzen muß, wenn man ihn denn wirklich als Tanz auffaßt. Nur das macht Thielemann hier deutlich.

Die Egmont-Ouvertüre ist ein dramatisches Stück. Thielemann liegt Dramatik sehr gut, was man bei seinen Wagner-Dirigaten stets bemerken kann. Dieses sehr ernste kompakte Musikstück legen die Wiener mit großer Dramatik hin. Der überwältigende Schuß reißt das Publikum von den Stühlen.

Über einen langen Prolog führt Beethoven den Zuhörer bei seiner 7. Symphonie zum eigentlichen ersten Thema. Es ist ein spannungsreicher „Auftakt“ (oder Prolog). Die dabei perfekt gespielten schnellen Tonleitern (Sechzehntel) in allen Orchesterinstrumenten lassen einen Augenblick vergessen, daß der Beginn des Satzes erst danach kommt. Das einfache Hauptthema, das seinen Impuls durch die repetierenden punktierten Achtelnoten erhält, erlebt im weiteren Verlauf eine ungeheuere Mannigfaltigkeit seiner Gestalt. Es gelingt Thielemann durch Crescendi, die manchmal sich über eine Dutzende Takte erstrecken, mit genau bemessener Dynamik die Spannung zu intensivieren. Auffallend sind die genaue Intonation und die nicht nachlassende intensive Rhythmik des Satzes.
Der zweite Satz ist ein kompositorisches Wunder: Liedform, gravitätische Passacaglia und Fuge sind hier miteinander vereint. Bei der Uraufführung mußte gerade dieser Satz wiederholt werden. Thielemann weiß, daß nur genaueste Präzision und behutsame Dynamik diesen außerordentlichen Satz zum Klingen bringen. Und solches wird hier geboten. Trotz des ungemein schnellen Tempos sind die Triller in den Streichern im Anfangs- und Schlußteil rund und kommen mit einer unbeschreiblichen rhythmischen Leichtigkeit.
Nach diesem Satz – so glaubt man – ist eine Steigerung nicht mehr möglich. Doch das ist ein Irrtum! Beethoven gelingt es hier, sich selbst zu überbieten: Die Musik verliert sich geradezu im ungeheuren Wirbel des stampfenden Rhythmus. Durch die dauernden Wiederholungen (von denen Thielmann einige wegläßt) wird nach und nach solche eine riesige Spannung aufgebaut, daß dem Publikum nur ein Ausweg bleibt, sich in einem enthusiastischen Applaus zu entladen. Wenn Richard Wagner diese Symphonie als die Apotheose des Tanzes bezeichnete, so hat Thielmann mit den Wiener Philharmonikern ebenfalls eine Apotheose geboten; denn Apotheose bedeutet Verherrlichung, wobei hier diese vor Freude und Tanz berstenden Symphonie Beethovens gemeint ist, wie auch die kaum überbietbare Darstellung durch Thielemann und seine Wiener.
Dr. Olaf Zenner

Bild: Matthias Creutziger

 

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