von Giuseppe Verdi (1813-1901), Oper in fünf Akten, Libretto: François Joseph Pierre Méry und Camille du Locle, UA: 11. März 1867 Paris, Salle de la rue Le Peletier
Regie: Lotte de Beer, Bühne/Kostüme: Christof Hetzer, Licht: Alex Brok, Dramaturgie: Franz-Erdmann Meer Herder, Peter Te Nuyl
Dirigent: Cornelius Meister, Chor: Manuel Pujol, Orchester, Chor, Extrachor und Statisterie der Staatsoper Stuttgart
Solisten: Goran Jurić (Philipp II.), Massimo Giordano (Don Carlos), Björn Bürger (Marquis von Posa), Falk Struckmann (Der Großinquisitor), Michael Nagl (Ein Mönch), Olga Busuioc (Elisabeth von Valois), Ksenia Dudnikova (Prinzessin Eboli), Carina Schmieger (Thibault, Page Elisabeths), Claudia Muschio (Eine Stimme vom Himmel), Christopher Sokolowski (Graf von Lerma/Königlicher Herold), Kyung Won Yu (Ein Holzfäller)
Besuchte Aufführung: 27. Oktober (Premiere, in französischer Sprache)
Es gehört zu Seltenheit, daß Verdis Don Carlos einmal in ursprünglicher Gestalt aufgeführt wird. Noch vor der Uraufführung in Paris wurden einige Passagen gestrichen. Auch eine italienische Fassung des Komponisten existiert. Diese ist zwar textlich vertretbar, jedoch verliert das Werk durch die starken Kürzungen an Einheitlichkeit. Während das Drama Friedrich Schillers auf brillante Weise die Mechanismen des spanischen Hofes entwickelt und der Dramaturgie eindrucksvolles barockes Intrigentheater präsentiert, formt Verdi den Stoff ins Opernhafte, wo Liebe und Eifersucht der Figuren ins Zentrum rücken. Seinerzeit hatte Don Carlos einen eher mäßigen Erfolg und auch heute noch ringt das Werk um die entsprechende Anerkennung.
Kurzinhalt
Im Wald von Fontainebleau treffen sich der spanische Thronfolger Carlos und die französische Prinzessin Elisabeth. Eigentlich sind beide füreinander bestimmt, allerdings entscheidet König Philipp von Spanien im letzten Moment anders und nimmt sie selbst zur Frau. Carlos Freund Rodrigo rät ihm, sich als echter Mann und König zu beweisen und fordert von ihm, den Oberbefehl über die spanischen Niederlande zu verlangen. Sein Vater verweigert ihm dies. Als Nebenbuhlerin agiert Prinzessin Eboli, die ein Auge auf Carlos geworfen hat. In einer Verwechslung wirft sich Carlos ihr an den Hals, mit fatalen Folgen. Ihre Rache folgt auf dem Fuß: sie spielt nun Rodrigo, Carlos und Elisabeth gegeneinander aus. Am Ende muß sie deswegen in die Verbannung und auf die anderen warten lediglich auf Tod und Verzweiflung.
Aufführung
Ein leerer, weitläufiger dunkler Raum dominiert über weite Strecken des Abends hinweg die Szene. Der fehlende Atmosphäre der Bühne steht ein klar durchdachter Einsatz von Requisiten gegenüber, immer eng an die Handlung gebunden und aufs wesentliche beschränkt: zu Beginn steht schon ein weißes Bett für Carlos und Elisabeth bereit, als die Entscheidung König Philipps bekannt wird. Eine idyllische Gartenszene mit Baum folgt beim ersten Auftritt Ebolis, später sehen wir König Philipp an einem großen weißen Schreibtisch. Dieser reduzierten Ausstattung der Soloszenen steht eine raumfüllende Chorregie der Massenszenen entgegen. So sieht man ein in düsteren Erdtönen gekleidetes Volk der Armen, an welches Elisabeth ihr Almosen verteilt oder z.B. eine breitflächig organisierte Autodafé-Szene in einem Gefängnis. Die Soloszene Elisabeths im fünften Akt ist der völlige Kontrast dazu: hier steht die Sängerin völlig allein auf einer leeren Bühne. Die Kostüme sind formschön und stilvoll, Elisabeth und Carlos meist in weiß, die Frauen in schönen Gewändern, die Vertreter der katholischen Kirche in ihren Roben. Was jedoch stört: während des ganzen Abends sind mehrere Scheinwerfer vertikal auf den Dirigenten gerichtet, was die Sicht auf den Bühnenraum stark einschränkt. Insbesondere bei Verwendung von Bühnennebel hat das unangenehme Auswirkungen.
Sänger und Orchester
Unter dem Dirigat von Cornelius Meister erklingt die „ausführliche“ französische Fassung des Don Carlos inklusive der Ballettmusik. Die erste, später gestrichene Szene erlebt man ebenso wie einige längere Dialogpassagen im vierten und fünften Akt. In der Ballettmusik wurde ein zeitgenössisches Werk eingefügt, die Pussy-(r)-Polka von Gerhard Winkler, die sich nahtlos an Verdis Musik anschließt und einige Elemente daraus wieder aufgreift. Das Orchester ist energiegeladen und kontrastreich, vor allem in Bezug auf die Dynamik.
Die Sänger sind über weite Strecken wenig affektiert, verhalten sich vielmehr französisch-kühl. Schließlich bietet Verdi hier weniger Bravoureinlagen wie in seinen italienischen Opern. Die wortreichen Dialoge gelingen eindrucksvoll unter Beibehaltung der dramatischen Spannungsbögen, sowohl das Duo Elisabeth-Carlos (Olga Busioc-Massimo Giordano) als auch Ksenia Dudnikova als Eboli präsentieren sich als Charakterrollen.
Massimo Giordano ist für einen Verdi-Tenor wenig selbstdarstellerisch, erscheint oftmals etwas verhalten und introvertiert. Olga Busuioc erntet vor allem mit ihrem Monolog im fünften Akt großen Applaus Toi qui sus le néant des grandeurs de ce monde – Du, der du die Nichtigkeit der irdischen Größe erkanntest. Ksenia Dudnikova als Eboli ist ein interessanter farbenreicher Mezzosopran mit der erforderlichen Beweglichkeit in ihrem Auftritt des zweiten Aktes Au palais des fées. Sehr charakterstark ist Goran Jurić als König Philipp. Sein Timbre ist durchdringend mit den entsprechenden düsteren Farben. Seine Artikulation ist klar und auch die Ausdrucksstärke in Elle ne m‘aime pas – sie liebt mich nicht! überzeugt. Auch der Chor leistet ganze Arbeit, wenn auch die Textverständlichkeit oftmals nicht gewährleistet ist, entsteht eine eindrucksvoll klingende Masse.
Fazit
Die Regisseurin Lotte de Beer erzählt die Handlung getreu dem Libretto aus dem Geist der Musik heraus. Zwar ist das Reduzieren auf die wesentlichsten Requisiten bei der Dauer des Abends etwas ermüdend, doch bleibt trotz der Spärlichkeit die Atmosphäre stets gewahrt. Daß die Ballettmusik mit einer Pantomime untermalt ist, kann man nachvollziehen. Da man in Deutschland keine eigentliche Tradition für Balletteinlagen in Opern wie in Frankreich kennt (bei uns hier war man stets mehr dem Singspiel verpflichtet), ist dieser künstlerische Schritt nachvollziehbar. Auch musikalisch überzeugt dieser Don Carlos. Vom klischeehaften italienisch angehauchten Verdi bleibt am Ende wenig – was bei dieser französischen Fassung durchaus vertretbar ist. Nur muß der Zuschauer einige Zeit mitbringen: mit knapp fünf Stunden und zwei Pausen erfordert diese Oper eine große Portion Aufmerksamkeit und Durchhaltevermögen.
Dr. Daniel Rilling
Bild: Matthias Baus
Das Bild zeigt: Olga Busuioc (Elisabeth von Valois), Ksenia Dudnikova (Prinzessin Eboli)