In der Strafkolonie – Hof, Theater

von Philip Glass (*1937), Libretto: Rudolph Wurlitzer nach der gleichnamigen Erzählung von Franz Kafka, Deutsch von Cordula Engelbert und Bettina Rohrbeck, UA: 31. August 2000 Seattle, A Contemporary Theatre,

Regie: Lothar Krause, Bühne und Kostüme: Annette Mahlendorf

Dirigent: Clemens Mohr, Quintett der Hofer Symphoniker

Solisten: Andreas Drescher (Offizier), Markus Gruber (Besucher), Jörn Bregenzer (Verurteilter)

Besuchte Aufführung: 21. September 2019 (Premiere)

Kurzinhalt

In einer Strafkolonie steht die Hinrichtung eines Verurteilten bevor. Ein Besucher soll sie auf Einladung des neuen Kommandanten beobachten. Diesem Besucher beschreibt der Offizier die Hinrichtungsmaschine, die er zusammen mit dem vorigen Kommandanten eingeführt hat. Sie arbeitet mit einer „brutalen Mechanik“, von deren Richtigkeit der Offizier, der sich auch als Scharfrichter betrachtet,  fest überzeugt ist. Er glaubt, daß die Maschine die Macht besitze, im Verurteilten nach langen Qualen einen Moment der Verklärung zu bewirken, in dem dieser sein Verbrechen und dessen Falschheit vollständig verstehen könne.

Der jetzige Gefangene, der wegen einer Nichtigkeit verurteilt wurde, weiß nichts von seiner bevorstehenden Hinrichtung. Der Besucher zeigt sich zunehmend entsetzt über das Vorgehen, sieht jedoch keine Möglichkeit, einzugreifen. Schließlich scheitert die Hinrichtung aufgrund der Instandsetzungsmängel wegen eines Maschinendefekts. Der Offizier versucht, den Besucher zu überreden, sich beim neuen Kommandanten für seine Überzeugungen einzusetzen. Da dieser dazu nicht bereit ist, steigt der Offizier selbst in die Maschine, um sich töten zu lassen. Dabei fallen die Komponenten der Maschine auseinander Sie tötet viel zu rasch, so daß der Offizier den ersehnten Augenblick der Verklärung nicht erlebt. Der Besucher reist ab.

Aufführung

Das einfache Bühnenbild in der Studiobühne des Theaters Hof ist sehr übersichtlich. Am Ende einer weißen Rampe befindet sich ein weißer, großer Würfel. Durch Projektion von Zahnrädern wird deutlich, daß dies eine Hinrichtungsmaschine ist. Über eine Leiter können Offizier und Verurteilter hineinsteigen, die Funktionsweise der Technik bleibt unsichtbar. Auch der tote Offizier taucht nicht wieder auf. Vor der Rampe steht ein Tisch mit Holzstühlen, auf dem Unterlagen und Pläne aufgelegt werden. Und auch eine Flasche Wein, zwei Gläser und zwei Äpfel als Gegensatz. Der Offizier trägt eine dunkle Uniform, der Reisende einen hellbraunen Anzug mit Weste (erinnert an einen Reisejournalisten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts). Der Gefangene ist nur eine gestreifte Drillich-Hose und eine Zwangsjacke gekleidet. Das Publikum sitzt rund um die Spielfläche und hat direkt die Handlung vor Augen.

Sänger und Orchester

Die Musik ist wenig melodiös, eher monoton – jedoch nicht atonal. Glass komponiert in einem hypnotisch-repetitiven Stil: Diese Minimal Music beruht auf einfachen Akkorden, deren Töne meist nicht  gleichzeitig, sondern verzögert gespielt werden – in endlos kreisenden Wiederholungen wird die rhythmische Technik der Todesmaschine, die düstere Stimmung der Hinrichtung hörbar.

Clemens Mohr führt mit einem Streichquintett der Hofer Symphoniker durch eine gruselige, aber auch tiefenpsychologisch kafkaeske Handlung. Auch die Sänger passen sich diesem Glass-Musikstil an. Markus Gruber gibt den Besucher einen Aufklärung suchenden Unterton. Andreas Drescher zeigt den Offizier mit Unnahbarkeit und fordernden heftigen Stakkato-Tönen. Jörn Bregenzer ist das eigentlich wortlose Opfer, bekommt aber Text aus der Sekundärliteratur von Franz Kafka.

Fazit

Eine engagierte Produktion, die um Menschenrechte und Todesstrafe kreist. Technik und die Hinrichtung selbst treten in den Hintergrund, genauso wie der biographische Kampf Kafkas gegen streng strukturierte Prozesse (u.a. in einer Prager Versicherung). Durch die perfekte Personenführung gelingt eine packende Darstellung (und eine detaillierte Psychoanalyse) des Dialogs zwischen zwei Personen mit diametral gegensätzlichen Auffassungen und Zielen.

Die musikalische Umsetzung dieser Kurzoper (in knapp 70 Minuten) mit einem kleinen Orchester und minimalistischer Instrumentalisierung ist engagiert und auf hohem Niveau, genauso wie die gesangliche Umsetzung der Solisten. Besonders die inneren Zweifel des Besuchers und die absolute Technikgläubigkeit des Offiziers kommen überzeugend über diese Rampe und prallen heftig aufeinander. Langer Beifall eines kleinen Publikums in der Enge der Studiobühne. In einer Nachbesprechung mit dem Publikum wird deutlich, daß die Oper von Glass, eine geniale Umsetzung des Werkes von Kafka mit leichten Änderungen, eine sehr engagierte, das Publikum bewegende Umsetzung erfahren hat. Und daß es in Hof noch ein Bildungsbürgertum gibt, das sich auch mit Kafka und Glass beschäftigt.

Oliver Hohlbach

Bild: H. Dietz Fotografie, Hof

Das Bild zeigt: Andreas Drescher (Der Offizier), Jörn Bregenzer (Der Verurteilte) und Markus Gruber (Der Besucher)

Veröffentlicht unter Hof, Städtebundtheater, Opern