Iolanta – Casse-Noisette – Nußknacker, Paris, Palais Garnier

von Pjotr (Peter) Iljitsch Tschaikowski (1840.1893), Opéra in einem Akt (1892), Libretto: Modeste Tschaikowski nach Henrik Hertz: La Fille du roi René, UA: 18. Dezember 1892, St. Petersburg, Mariinski-Theater

Regie: Dmitri Tscherniakov

Dirigent: Thomáš Hanus

Solisten: Krzysztov Baczyk (König René, König der Provence), Valentina Nafornita (Iolanta, blinde Tochter von König René), Dmytro Popov (Godefroy de Vaudémont), Artur Rucińsk (Robert, Herzog von Burgund), Johannes Martin Kränzle (Ibn Hakia, Mauretanischer Arzt), Vasily Efimov (Alméric, des Königs Knappe), Gennady Bezzubenkov (Bertrand, Palastwache), Elena Zarmba (Marthe, Iolantas Amme/Bertrands Frau), Adriana Gonzalez (Brigitte) Emanuela Pascu (Laure, beides Iolantas Freundinnen)

Besuchte Aufführung: 15. Mai 2019

Vorbemerkung

Es ist in der Mitte des 15. Jahrhunderts in der Provence in Südfrankreich. Der blinden Königstochter Iolanta wird verheimlicht, daß sie blind ist. Was Sehen heißt, weiß sie nicht. Noch als Kind wurde sie dem Ritter, Graf Frédéric de Vaudémont, versprochen.

Pjotr Tschaikowski vertonte Jolanthe 1891 im Auftrag der kaiserlichen Theater St. Petersburg. Zwei Märchenmotiven sollten die Grundlagen für eine einaktige Oper und ein Ballett sein.

Das Textbuch fußt auf dem Drama König René des dänischen Schriftstellers Henrik Hertz, das 1845 in Kopenhagen uraufgeführt wurde. Diese Vorlage nahm Tschaikowskis  jüngerer Bruder Modest zum Libretto der lyrischen Oper.

Tschaikowskys letzte Oper Jolanthe auf einem Libretto seines Bruders Modest wurde zusammen mit der Erzählung Nußknacker und Mäusekönig von E.T.A. Hoffmann, von Marius Petipa als Ballett eingerichtet, in St. Petersburg im Mariinski Theater  am 18. Dezember 1892 uraufgeführt.

Kurzinhalt

Die Oper beginnt in einem Garten mit üppigem Pflanzenwuchs. Um Jolanthe kümmern sich ihre Amme Martha und die Freundinnen Brigitte und Laura. Ihr Vater hat ihre Blindheit ihr gegenüber verheimlicht und hält sie aus Sorge und zum Schutz ihrer Jungfräulichkeit in einem paradiesischen Garten gefangen. Ibn-Haika, ein Arzt, erscheint und warnt den König, daß Jolanthe nur werde sehen können, wenn sie es selbst wolle. Dabei sei es gleich, welche Ängste aus der vollständigen Erkenntnis der Welt für sie entstünden. Als der junge Vaudémont in ihre Abgeschiedenheit einbricht und sich beide ineinander verlieben, gelingt es ihm, sie von ihrer Unwissenheit zu befreien. Dabei erklärt er ihr, was Farbe und Licht bedeuten. Und  Ibn-Haika freut sich und betont, daß man die  Wahrheit nicht auf ewig verbergen kann!  Die Operation gelingt. Doch der König will sie Vaudémont nicht zur Frau geben, weil er ein altes Verlobungsversprechen gegenüber Robert, dem Ritter von Burgund,  halten will. Doch Jolanthe setzt ihren Wunsch, Vaudémont zu heiraten, durch. Schließlich wird am Opernende nicht nur dieses Paar getraut, sondern man feiert die grenzenlose, niemanden ausschließende Liebe.

Aufführung

Man erblickt ein ovales Zimmer mit drei deckenhohen. schmalen Fenstern, weiß gestrichen. Jedes Fenster hat einen von oben herunterzulassenden Vorhang moderner Art. Davor stehen Sessel, die weiß bezogen sind. Im Raum befinden sich die Amme, in schwarzem Mantel mit Pelzkragen und zwei Krankenschwerstern mit weißen Häubchen auf den Köpfen in der Mode des 19. Jahrhunderts. In einen ebenfalls schwarzen Mantel mit Pelzbesatz steht Alméric, des Königs Knappe. Alle umringen die hohe Gestalt der in  weiß gekleideten Jolanthe. Später kommen in den ovalen Raum noch der hochgewachsene König René mit schulterlangem Haar und der Arzt Ibn Hakia, der ein Tarbusch oder Fes mit Verzierung trägt. Schließlich s Vaudémont trägt einen grauen russischen Offiziersmantel (Bekesha) mit Gürtel und entsprechender Fellmütze. Darunter erscheinen leuchtend rote Haare. Alle tragen während der gesamten Oper russische Mäntel mit Pelzbesatz, auch der König und Ibn Hakia.

Sänger  und Orchester

In düsteren Bläserklängen beginnt das Orchester, gefolgt von den Streichern beim Auftritt von Valentina Nafornita als Jolanthe. In einem Arioso fragt Jolanthe ihre Amme, sie habe früher keine Sehnsucht, keinen Kummer, keine Tränen gekannt. Sie läßt dabei ihre volle Sopranstimme klar und deutlich hören. Im Laufe der Oper behält sie die Fülle ihres blühenden Soprans bei und überzeugt mit fraulicher Wärme. Verblüffend die intonationsreinen Spitzentöne. Die chorischen Beiträge sind überraschend einheitlich gehalten und rhythmisch präzise vorgetragen.  Schließlich erscheint der König, der sich Gedanken darüber macht, ob die von Arzt vorgeschlagene Augenoperation auch Erfolg haben wird. Krzysztov Baczyk als König René läßt eine klare, ab und zu etwas gutturale Baßstimme hören, doch bleibt sie bis in die Tiefe rund und wohltönend. Martin Kränzle als mauretanischer Arzt Ibn Hakia beeindruckt mit einem gut fokussierten, melodiesicheren Bariton. Schließlich erscheinen die beiden Freunde Artur Rucińsk (Robert, Herzog von Burgund) und  Dmytro Popov (Godefroy de Vaudémont), der erstere mit „heldenhaftem“ Baß, voller Energie und Dynamik, Vaudémont mit weichem, einschmeichelnder Tenorstimme, mit der er sein Ideal einer zukünftigen Braut besingt. Er bekommt auch einen Zwischenapplaus innigst vorgetragener sehnsuchtsvoller Romanze.  Auch die Nebenrollen sind gleichmäßig und zufriedenstellend besetzt.

Casse-Noisette – Der Nußknacker

von Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893), Ballett in zwei Akten, Libretto: Marius Petipa nach der Erzählung Nußknacker und Mäusekönig von ETA Hoffmann in der Fassung von Alexandre Dumas, UA: UA: 18. Dezember 1892, St. Petersburg, Mariinski-Theater

Solotänzer: Marion Barbeau (Marie), Arthus Raveau (Vaudémont), Émilie Cozette (La Mère), Sébastien Bertaud (Le Père)

Vorbemerkung

Das Ballett Nußknacker und Mäusekönig ist das Ballett in aller Welt für die Weihnachtszeit. Eine gemeinsame Aufführung der Oper Jolanthe und dieses Balletts wurde als großes Ereignis der Opéra national Paris angekündigt.

Niemand wird wohl darüber verwundert sein, wenn man den Doppelabend mit Oper und Ballett im Palais Garnier mit dem Gefühl verläßt, übertölpelt oder genarrt bzw. hereingelegt worden zu sein.

Was war geschehen? Statt der Darstellung der Erzählung Nußknacker und Mäusekönig stellte Tscherniakov Jolanthes Leben dar. Zunächst schildert er einen Gesellschaftsabend Jolanthes mit Freunden und Verwandten bei lustigen Spielen (z.B. Stühlewegschnappen). Es tritt eine Solotänzerin auf. Sie soll das siebenjährige Kind aus der Hoffmannschen Erzählung darstellen. Danach wird ihr Lebensweg von der Kindheit an geschildert, wie sie mit Marionetten spielt. Dann steht sie, da ihr Haus völlig zerstört wird, mitten im Wald allein usw. schließlich kommt Ritter Vaudémont und rettet sie aus ihren Lebensängsten. Es ist sozusagen eine „Nacherzählung“ des E.T.A. Hoffmann Märchens. Auch weitere Personen der Erzählung treten auf: Vater und Mutter Jolanthes und als Zeremonienmeister auch Onkel Drosselmeyer.

Gerade an letzterer Person wurde es sehr deutlich: man verstand auf weite Strecken nicht die Darstellung, verlor den Faden, langweilte sich erheblich. Statt der Träume des Kindes Marie bringt Tscherniakov eine erdachte Entwicklungsgeschichte der Königstochter Jolanthe. Die Musik diene ihm als Mittel, alles Mögliche darzustellen: den Schmerz, den Verlust, die Angst, die ausgelassene Freude, das Mitgefühl, die Zerbrechlichkeit: Alles das sei ja in der Opernhandlung gesagt worden, während man im Ballett den Operninhalt im Tanz darstelle. (Verlautbarung Tscherniakovs über seine Inszenierung, Programmheft: S. 52.)

Das Ergebnis: kaum Handlung.

Die zum Schluß in ausgedehnter Länge dargestellte Trümmerszene, in der man die Solotänzerin in virtuosen Pirouetten bewundern kann, ermüdet und wird nur durch die dem Publikum bekannten Tschaikowski-Melodien mit den beseligenden Walzertakten erträglich.

Am Ende des Opern-Ballett-Abends wird wieder das Zimmer vom Beginn dargestellt. Wir sehen eine selige Jolanthe im Kreis von Gouvernante, Vater, Freunde und geliebtem Ritter Godefroy de Vaudémont.

Vom tänzerischen, auf das wir leider aus Platzgründen nicht näher eingehen können, war die Solotänzerin Marion Barbeau über die Maßen zu bewundern. Sie bewältigt eine Tour de Force, da sie in fast allen Szenen des Balletts dabei sein muß. Aber auch die anderen Tänzer: Arthus Raveau (Vaudémont), Émilie Cozette (Die Mutter) und Sébastien Bertaud (Der Vater) sind als perfekte Darsteller anzuerkennen. Solche Tanzleistung kann man meines Wissens fast nur in Paris mit seiner langen tänzerischen Tradition antreffen.

Fazit

Wie eingangs erwähnt, geht man sehr gemischten Gefühlen von dannen. Die Gesangsleistung aller Sänger, die in russischer Originalsprache sangen, ist nach Qualität mit höchsten Prädikaten anzuerkennen. Die in diesem Fall sehr wichtige Übertitelung war ausreichend. Manchmal ist das vorzüglich aufspielende Orchester zu dominant gegenüber den Sängern, die weiß Gott keine schwachen Stimmen aufweisen. So weit, so gut!

Die Enttäuschung brachte das Ballett. Tscherniakov, der nach eigener Aussage alle russischen Opern in ursprünglicher Form (also werkgerecht?) geht  mit der ebenso ehrwürdigen Erzählung von E.T.A. Hoffmann weniger zimperlich um. Ich meine, das sollte man bleiben lassen, zumal das Ergebnis weit weniger brachte. Das Publikum honorierte mit langem Applaus die Sangesleistung und war wahrscheinlich auch über die Wiedererkennungsfreude von Tschaikowskis unverwüstlicher Ballettmusik erfreut. Merkwürdig, womit auch Starbühnen heutzutage aufwarten!

Dr. Olaf Zenner

Bilder: Julien Benhamou

Das Bild 1 (Jolanthe) zeigt: Emanuela Pascu (Laure), Adriana Gonzalez (Brigitte), Elena Zaremba (Marthe), Gennady Bezzubenkov (Bertrand), Vasily Efimov (Alméric), Valentina Naforniţă (Iolanta) mitte, Johannes Martin Kränzle (Ibn Hakia), Dmytro Popov (Vaudémont)

Das Bild 2 (Der Nußknacker) zeigt: Sébastien Bertaud, Emilie Cozette

Veröffentlicht unter Opern, Paris, Palais Garnier