Don Pasquale – Paris, Palais Garnier

von Gaëtano Donizetti (1797-1848) Opera buffa in 3 Akten, Libretto: Giovanni Ruffini und G. Donizetti, nach Ser Antonio von Anelli (1910), UA: 3. Januar 1843 Paris, Théâtre-Italien

Regie: Damiano Michieletto, Bühne: Paolo Fantin, Kostüme: Agostino Cavalca, Licht: Alessandro Carletti, Video: rocafilm

Dirigent: Evelino Pidò, Orchestre et Chœurs de l’Opéra national de Paris, Choreinstudierung: Alessandro Di Stefano

Solisten: Michele Pertusi (Don Pasquale), Florian Sempey (Dottore Malatesta), Lawrence Brawnlee (Ernesto), Nadine Sierra (Norina), Frédéric Guieu (ein Notar)

Besuchte Aufführung: 19. Juni 2018 (im Rahmen einer Lesereise des Magazins OPERAPOINT

Koproduktion mit dem Royal Opera House, Covent Garden, London und dem Teatro Massimo, Palermo

Vorbemerkung

Bei der Entstehung des Librettos griff Donizetti immer wieder in den Text, so daß Ruffini seine Mitarbeit beendete. Donizetti wollte die Sitten seiner Zeit herausstellen und – um zeitgemäß zu sein – den Sängern bürgerliche Kostüme verpassen. Obwohl er sich mit den Personen an die Commedia dell’arte anlehnte, kam es ihm darauf an, das Individuelle einer Person herauszustreichen. Er hatte die beste Sängerschar seiner Zeit zur Verfügung. Manche Namen sind auch heute noch bekannt: Giulia Grisi (Nadine), Antonia Tamburini (Malatesta) und Luigi Lablache (Don Pasquale). Jedenfalls bescherten diese Sänger der Oper bei der Uraufführung am 3. Januar 1843 einen vollen Erfolg. Sie ist Donizettis letzte Oper bevor er in geistiger Umnachtung drei Jahre später in seine Geburtsstadt Bergamo starb.

Kurzinhalt

Es ist die Geschichte eines Hagestolzes, eines unverheirateten Mannes, der sich mit sechzig Jahren entschloß zu heiraten. Seine junge Braut führte ihm sein Doktor und Freund Malatesta zu. Es ist Ernestos Freundin, des Neffen des reichen Don Pasquale. Das ist Don Pasquale nicht bekannt. Er ist nur gegen die Heirat Ernestos mit einer verarmten Witwe. Doch Ernesto will ihn unbedingt beerben.

Aber Malatesta bringt es fertig, daß Ernesto sowohl Norina als Frau und er auch Don Pasquales Erbe bekommt. So gibt Malatesta Norina gegenüber Don Pasquale als seine Schwester Sofronia aus. Zuvor hatte Sofronia nur im Kloster gelebt. Sie zeigt sich bei der Vorstellung Don Pasquales äußerst schüchtern. Kurz nach der Verheiratung aber zeigt sie die Krallen: sie erhöht der Dienerschaft das Gehalt, kauft mehrere Kutschen und Pferde sowie neue Möbel und ist abends nie zu Hause, da sie sich in der Stadt vergnügt, bis eines Tages Don Pasquale ihr das Haus verbietet und sich von ihr trennt. Durch eine weitere Finte gelingt es allerdings Malatesta und Ernesto, letzterem ein üppiges Jahresgehalt von Don Pasquale zu bekommen und auch Norina als Frau heimzuführen. Don Pasquale muß einsehen, daß die Heirat mit einer jungen Frau eine gewaltige Fehlentscheidung gewesen war.

Aufführung

Auf völlig leerer Bühne sind Türen, Sofa, Tisch, einfache Holzstühle, später Badewanne, Standuhr, dann Küchenherd sowie ein Auto „vor“ der Tür zu erblicken. Ein mit Neonröhren angedeutetes Satteldach mit kleinem Schornstein „schützt“ das ganze Möbelensemble. Wände sind nicht sichtbar. Zum Entfernen und Erneuern der von Sofronia bestellten Möbel erscheinen viele Helfer in blauen Arbeitsanzügen. Es ist Don Pasquales Dienerschaft.

Eine Videoprojektion bebildert u.a. die Vorstellungen, die Norina beim Lesen eines Buches kommen: ein Ritter in einem Plattenpanzer mit völlig geschlossenem Stechhelm erscheint, wird auch von ihr umarmt.

Die Kostüme: Ernesto mit orangefarbenem Hood-Jacket, weißem T-Hirt, blauer Jeans und Baseballmütze, Don Pasquale im Anzug mit und ohne Krawatte, Norina mit grauer, unauffälliger Kleidung, später in rotem, bodenlangem gemustertem Abendkleid, mit Beinschlitz und schulterfrei. Manchmal hüllt sie sich in einen Pelzmantel. Dottore Malatesta in brauner Lederjacke, meist mit Sonnenbrille bewehrt.

Sänger und Orchester

Temperamentvoller Beginn der Sinfonia. Die Kantilenen von Violoncello und Trompete werden perfekt dargeboten, dann mitreißende Schlußstretta. Der Vorhang geht auf und ein „offenes Bühnenbild“ überrascht. Bei Michele Pertusi (Don Pasquale) und Florian Sempey (Dottore Malatesta) fällt in der Eröffnungsszene das ziemlich starke Vibrato auf. Soll es die Männlichkeit beider betonen? Jedenfalls wird dadurch die Wortverständlichkeit unterbunden. Durch Zurücknahme des Vibrato im späteren Verlauf sind die Worte weniger verschleiert, wobei Florian Sempeys Artikulation vorzüglich ist (s. Interview mit Florian Sempey in OPERAPOINT Heft I/2015).

Mit Sogno soave – süßer Traum erscheint Lawrence Brawnlee (Ernesto) in seiner Auftrittsarie. Seine helle, klare, ja samtene Tenorstimme und perfekter Aussprache begeistert. Allein seine Kleidung, die ihm die Regie verordnet hat, um ihn als Loser zu stempeln (er ist nur auf ein Erbe aus und hält wenig vom eigenen Arbeiten), ist wenig dazu angetan, daß das Publikum ihn annimmt.

Hingegen ist die Amerikanerin Nadine Sierra (Norina), meist mit schulterfreiem Abendkleid eine Augenweide. Sie hat einen biegsamen Sopran, allein die Koloraturen werden doch vielmals verschliffen, was bei Donizetti weniger auffällig ist als bei Rossini. Aber mit den häufiger vorkommenden langen Kettentriller und einer überzeugenden Dynamik macht sie vieles wett, auch die zuweilen hörbaren Intonationstrübungen.

Die Probeszene mit Florian Sempey gestalten die beiden so überzeugend, besonders bei den dynamisch höchst wirkungsvollen Triolenläufe, die sich chromatisch über ein Oktav nach oben winden wie auch ihre spitzen Zwischenrufe, daß der Applaus danach nicht enden will.

Ein Höhepunkt in szenischer Darstellung und Gesangsgestaltung ist auch das bittere, traurige Zankduett im dritten Akt, als Don Pasquale (Michele Pertusi) „tonlos“ singt: è finita Don Pasquale – es ist vorbei, Don Pasquale, was Norina (Nadine Sierra) mit è duretta la lezione – die Lektion ist hart beantwortet.

Schließlich noch ein Wort zu den Ensembles, die in dieser Oper häufig vertreten sind, vor allem das Quartett Norina/Ernesto/Malatesta/Don Pasquale im zweiten Akt. Hier singt Norina: vegli, o sogni non sabene – er weiß nicht, ist es Träumen oder Wachen und Malatesta: va corragio – nur Mut, Don Pasquale und Don Pasquale: una dona a far tremar – eine Frau, die Fürchten macht. Es wird auf hohem Niveau, ergreifend und bewegend vorgetragen.

Fazit

Sängerisch z.T. vorzüglich, darstellerisch angenehm. Etwas überzogen ist die Videoeinblendung, die man auch missen könnte. Das Hinstellen der Möbel auf die leere Bühne, was womöglich sagen soll, so geht’s in der heutigen Welt zu, läßt kaum Wärme, Mitempfinden oder Enthusiasmus aufkommen. Schade! Denn sie ist in ihrer Commedia dell’Arte-Anlage eine der seltenen überzeugenden Komödien des vorvorigen Jahrhunderts, in dem schon viele Dinge entstanden, die heute unser Leben z.T. nicht gerade reicher machen.

Dr. Olaf Zenner

Bild: Vincent Pontet, Opera national de Paris

Das Bild zeigt: (von li. nach re): Florian Sempey (Dottore Malatesta), Michele Pertusi (Don Pasquale), Nadine Sierra (Norina)

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