Jephtha – Paris, Palais Garnier

von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Oratorium in drei Akten, Libretto: Thomas Morell, UA: 26. Februar 1752, London, Royal Theatre (Covent Garden)

Regie: Claus Guth, Bühne/Kostüme: Katrin Lea Tag, Licht: Bernd Purkrabek, Video: Arian Andiel, Dirigent : William Christie, Chor und Orchester Les Arts Florissants

Choreographie: Sommer Ulrickson, Dramaturgie: Yvonne Gebauer, Choreinstudierung: François Bazola

Solisten: Ian Bostridge (Jephtha), Marie-Nicole Lemieux (Storge), Katherine Watson (Iphis), Tim Mead (Hamor), Philippe Sly (Zebul), Valer Sabadus (Engel)

Besuchte Aufführung: 13. Januar 2018 (Première, Koproduktion mit De Nationale Opera, Amsterdam)

Vorbemerkung

Das Thema des Menschenopfers hat das Zeitalter der Aufklärung im 18. Jahrhundert immer wieder beschäftigt. Goethes Iphigenie, Glucks Iphigenien Opern, Mozarts Idomeneo sind neben Jephtha weitere bekannte Beispiele. Für Händel war dieses Oratorium das letzte große Werk. Seine zunehmende Erblindung zwang ihn, das Komponieren fast völlig aufzugeben. Es ist in diesem Zusammenhang nicht erstaunlich, wie bewegend Händel seinen Helden darstellt: ein von Gott und den Menschen Verlassener. Händel schafft dafür eine Musik der Einsamkeit, des Verstummens vor Leid. Wie in einer antiken Tragödie schaut der Chor auf Jephthas Fall und deutet seine Verstrickung in Schuld als Schicksal, dessen Sinn menschliches Denken nicht zu erfassen vermag. Lakonische Kadenzen auf ein von Händel selbst eingefügtes Pope-Zitat konstatieren mehr, als daß sie erklären: ‚Whatever is, is right‘(Arnold Feil). Und diesen Geist der antiken Tragödie hat Claus Guth wohl auch versucht, sich seine Inszenierung zu eigen zu machen.

In dieser Aufführung kommt das Oratorium also szenisch wie eine Oper auf die Bühne. Ist das vertretbar?

William Christie meint dazu:

Die Tatsache, daß Jephtha ein Oratorium ist, macht es nicht mehr verinnerlicht oder weniger dramatisch als eine opera seria. Im Gegenteil. Und er fügt hinzu: Für mich ist das eigentliche Kennzeichen des Oratoriums, ein von ihr untrennbarer Bestandteil, den die Oper fast nicht kennt, nämlich der Chor. Und die Chorpartien des Jephtha zählen zu dem bemerkenswertesten Werken der Händel‘schen Karriere.

Kurzinhalt

Im ersten Akt erklärt sich der als Kriegsheld bekannte Jephtha bereit, vom Volk und von seinem Halbbruder Zebul dazu gedrängt, die Israeliten gegen die Ammoniter in den Krieg zu führen, vorausgesetzt, daß an ihn zum König Israels krönt, wenn er siegt. Jephthas Tochter Iphis ist mit Hamor, einem seiner Krieger verlobt, und verspricht ihn zu heiraten, wenn ihr Vater den Krieg gewinnt. Jephtha, hingegen, legt vor Gott das Gelübde ab, daß er ihm die erste Person, die er bei seiner Rückkehr sieht, opfern würde, wenn Gott ihm den Sieg schenkt. Aber darf und kann man mit Gott verhandeln?

Jephthas Frau Storge, obwohl sie nichts von dem Gelübde weiß, wird von bösen Vorahnungen geplagt. Jephtha fordert den König der Ammoniter auf, die Unterdrückung Israels aufzugeben, und als dieser sich weigert, zieht er gegen ihn in den Krieg. Im zweiten Akt überbringt Hamor die Nachricht vom großen Sieg Jephthas. Iphis beschließt ihrem Vater mit ihren Brautjungfern entgegenzueilen. Sie ist die erste, die Jephtha sieht, und er ist niedergeschmettert. Er erzählt nun von seinem Gelübde, an dem er trotz allem festhält. Und nun wird der, den man eben noch als Held feiern wollte, von allen verworfen. Nur Iphis sieht in ihrem Opfer den gerechten Preis für die Freiheit Israels. Im letzten Akt, während man das versprochene Oper vorbereitet und Jephtha es vollziehen will, erscheint ein Engel, der erklärt, der Heilige Geist habe Jephtha das Gelübde eingegeben. Doch dieses könne auch erfüllt werden, wenn Iphis bereit sei, Gott in Keuschheit ihr Leben zu widmen. Diese Nachricht wird erst zögernd, aber dann mit Jubel aufgenommen.

Aufführung

Während der Ouvertüre offenbart uns Claus Guth (inspiriert durch Lionel Feuchtwangers Roman Jephtha und seine Tochter) in kurzen Pantomime-Bildern die Vorgeschichte Jephtas: uneheliche Geburt, nach dem Tod des Vaters, Ausstoßung durch den Halbbruder Zebul, Exil in der Wüste, wo er zum Kriegsheld wird.  Während der eigentlichen Aufführung ist die meist leere Bühne in vielen Szenen nach hinten durch die Silhouette von Felsen, von einem Tanz um das goldene Kalb oder auch von einem Garten mit riesigen tropischen Blüten gegen einen hellen Abendhimmel abgegrenzt. Oft sind auf diesen Himmel Video-Bilder wie Nordlicht, Sturmwetter oder ein riesiger Vollmond projiziert. Mehrmals hängt eine surrealistische drohende kleine Wolke in der Luft. Bei der Siegesfeier tritt Held auch durch eine surrealistisch alleinstehende Tür ein.

Die Kostüme sind zeitgenössisch, meist dunkel. Nur Iphis ist erst in gelb und dann ganz in weiß gekleidet. Der Engel trägt schwarzen Anzug mit Krawatte und blaue Flügel. Man spart nicht mit leuchtend roten Blutflecken. Der Leitspruch des Oratoriums IT MUST BE SO bewegt sich in Großbuchstaben immer wieder über die Bühne und wird Teil des Dekors. Luftballons symbolisieren die Siegesfreude.

In der Szene der Einweihung Iphis‘ als Priesterin und der Königskrönung Jephthas regnen Tausende weißer Papierschnitzel auf die Bühne herunter. Einige der Hauptdarsteller werden zeitweise doppelt dargestellt. Am Ende der Oper sitzt Iphis wie eine Irre auf einem Krankenbett und zerfetzt ein Daunenkissen, während Jephtha verloren auf der Bühne herumkriecht.

Sänger und Orchester

Ian Bostridge‘ Interpretationen lassen nie indifferent. Hier sieht er, groß und hager, eher einem Prophet des Alten Testaments, ähnlich einem Kriegshelden. In einer unglaublich starken, subtilen, fast expressionistischen Darstellung führt er uns auf hohem stimmlichem und schauspielerischem Niveau ab dem zweiten Akt durch die Tragik des von tiefstem Leid geprägten Jephtha. Sie findet ihren Höhepunkt in dem musikalisch überaus komplizierten, meisterhaft interpretierten Rezitativ Deeper, and deeper still, thy goodness, child ein Leid, das sich erst am Anfang des dritten Akts in der wundervoll weichen, zärtlichen Arie für seine Tochter Waft her, angels, through the skies sublimiert und dem Helden Frieden schenkt.

Neben Ian Bostridges‘ hohem metallisch timbrierten Tenor ist Marie-Nicole Lemieux‘ Mezzo voll, vibratoreich und mit fast unheimlichen Untertönen in den tiefen Lagen, die besonders in ihrer Unheil ahnenden Arie Scenes of horror, scenes of woe (1. Akt, 4. Szene) und dann wieder in der wütenden Verzweiflung über Jephthas Gelübde: First perish thou! and perish all the world! (3. Akt, 2. Szene) sehr klangvoll zum Ausdruck kommen. Katherine Watson singt mit leichter, beweglicher und bestens kontrollierter Sopranstimme die erst so fröhliche-verliebte, dann so einsichtig reife Iphis, wie in der Arie Happy they!, in der sie dem Leben entsagt.

Eine freudige Überraschung ist Tim Mead als Hamor. Sein klangvoller Contratenor kommt, besonders in der Liebesszene mit Iphis, verspielt tändelnd zur Geltung. Philippe Sly ist mit sonorem Baß Zebul und  Valer Sabadus singt engelhaft mit reichem Kontratenor den angelus ex machina. Zu erwähnen sei der hervorragend einstudierte Chor der Arts Florissants. Und unter den zahlreichen Chören des Oratoriums sei vor allem der Schlußchor des zweiten Akts genannt: How dark, O Lord, are Thy decrees. Er ist einer der schönsten Chöre Händels und zweifellos einer der schönsten der Barockmusik. William Christie dirigiert Solisten, Chor und Orchester mit der Meisterschaft, die wir von ihm gewohnt sind.

Fazit

Claus Guth, der sich erst kürzlich mit seiner Bohème-im-Raumschiff-Inszenierung einen bedenklichen Namen gemacht hat (Siehe Operapoint BLOG, 3.12.2017), hat diesmal mit seinem Team zumindest teilweise bessere Arbeit geleistet. Die bis in die letzte Geste einstudierte Regie der Hauptdarsteller ist ausgezeichnet. Auch sind ihnen szenisch einige eindrucksvolle Bilder gelungen. Doch auf das übrige Drum und Dran, angefangen mit den Großbuchstaben auf der Bühne bis hin zu den Konjekturen Carl Guths über die Seelenlage der Protagonisten, hätte man gerne verzichtet. Die Choreographie des Chors ist phantasielos, und das ist schade. Davon abgesehen, war es vor allem musikalisch, aber auch schauspielerisch eine sehr gute Darbietung.

Alexander Jordis-Lohausen

Das Bild zeigt: Katherine Watson (Iphis), Ian Bostridge (Jephtha)

Bild: Monika Rittershaus/Opéra national de Paris

Veröffentlicht unter Opern, Paris, Palais Garnier