von Jacques Offenbach (1819-1880), Opéra-bouffon in 2 Akten, Libretto: Hector Crémieux u. Ludivic Halévy, Mischfassung 1858 und 1874 nach Jean-Christophe Keck, Ouvertüre von Carl Binder (Wien, 1860),; in deutscher Sprache (von Gunter Selling und Ansgar Weigner) mit deutschen Übertiteln, UA: 21. Oktober 1858 Paris, Théâtre des Bouffes-Parisiens Paris (erste Fassung), 1874, Paris (zweite Fassung): 7. Februar 1874 Paris,
Théâtre de la Gaîté, ParisRegie: Ansgar Weigner, Bühne/Kostüme: Kristopher Kempf
Dirigent: Dominik Tremel, Philharmonisches Orchester, Ballett Coburg, Chor des Landestheater Coburg, Choreinstudierung: Lorenzo Da Rio
Solisten: David Zimmer (Orpheus), Ana Cvetkovic-Stojnic (Eurydike), Barbara Ullmann (Öffentliche Meinung), Dirk Mestmacher (Pluto), Salomon Zulic del Canto (Jupiter), Kora Pavelic (Juno), Anna Gütter (Diana), Emily Lorini (Venus), Nadja Merzyn (Cupido), Costas Bafas (Mars), Sascha Mai (Merkur), Thorsten Köhler (John Styx) u. a.
Besuchte Aufführung: 28. Dezember 2016
Orpheus und Eurydike haben sich auseinander gelebt. Orpheus, der die Nymphe Chloe verehrt, freut sich, daß seine Frau von Pluto, der sich als Aristeus ausgegeben hat, in die Unterwelt entführt wird. Die Öffentliche Meinung jedoch verlangt von ihm, daß er Eurydike von den Göttern zurück erbittet. Zusammen mit dem Olymp tritt Orpheus die Reise in die Unterwelt an. Dort versucht Jupiter Eurydike in Gestalt einer Fliege zu verführen. Von Pluto ermahnt, sie Orpheus zurückzugeben, stellt er ihm die Bedingung, sich beim Verlassen des Hades nicht umzublicken, sonst müsse Eurydike in der Unterwelt verbleiben. Als Jupiter einen Blitzstrahl entsendet, blickt sich Orpheus erschrocken um, und Eurydike verweilt voller Freude von nun an bei den Göttern als Bacchantin.
Aufführung
Wir befinden uns im Wohnhaus von Orpheus und Eurydike. Es handelt sich um einen modernen Bungalow mit Flachdach, mit gestreifter Tapete (passend zu Orpheus Anzug) und Designersofa. Orpheus gibt eine „Geigenstunde“, währenddessen feiert Eurydike mit Freundinnen ein frivoles Kaffeekränzchen mit Sliptausch und einem aus einem Karton gezauberten Dildo. Das Weizenfeld im Hintergrund paßt zu Aristeus im karierten Hemd – inklusive Schaf. Der Olymp ist eine große Cocktail-Bar mit Spieltischen für die „upper class“. Die Kennzeichen der Götter – wie Herzchen für Cupido, Geweih für Diana – sind als Mode-Accessoires in die hellen topmodischen Kostüme integriert. An der Wand prangt der Spruch Fortschritt ist nicht, den Überfluß jener zu mehren, die viel haben, sondern denen genug zu geben, die zu wenig haben! (Hermann Abs war von 1937-1976 Aufsichtratvorsitzender der Deutschen Bank).
Als die Revolte gegen Jupiter im gesättigten Phlegma versandet, zeigt man das wahre Motto des Olymp: „In tranquilitate vis – In der Ruhe liegt die Kraft“. Pluto betreibt im Rosaanzug im Hades als Ausbeuter eine Versandfirma, in der alles gekauft werden kann, die Produkte hängen als Dekor an der Wand. John Styx ist ein Untoter aus „The Walking Dead“, der Höllengalopp ist wie alle Tanznummern eine etwas asymmetrische Choreographie.
Sänger und Orchester
Es spricht für das Landestheater Coburg, daß man alle Rollen mit hauseigenen Kräften besetzen kann – auch wenn man etwas erfinderisch sein muß. Der Operettentenor am Haus, David Zimmer, besetzt die Titelrolle. Er ist der leichte, stimmlich immer trittsichere jugendliche „Popper“-Orpheus. Ana Cvetkovic-Stojnic ist seine ideale Gegenspielerin Eurydike. Sie verfügt über eine leuchtende und (manchmal etwas zu) durchschlagsstarke Stimme. Die hohen Töne erreicht sie mit Kraft und Nachdruck. Kein Wunder, daß Orpheus sie loswerden will.
Dirk Mestmacher ist als Spieltenor vom Haus ein liebestoll gelenkiger Herr der Unterwelt und entspricht den Erwartungen an Ausdruck und Gestaltung. Thorsten Köhler ist ein wahrer Höhepunkt als lebender Toter John Styx. Er zählt zum Schauspielensemble und kann Als ich noch Prinz war von Arkadien unaufgeregt und souverän Leben einhauchen. Weniger lebendig ist da Salomon Zulic del Canto als Jupiter. Trotz voluminöser Stimme fehlt ihm die Ausdruckskraft bzw. die mitreißende Gestaltung als „fliegender Liebhaber“.
Kora Pavelic verfügt mit leichten Mezzo über das richtige herbe, männlich dominante Klangbild für die wahre Chefin Juno mit Haaren auf den Zähnen. Ebenso Anna Gütter als etwas hart fokussierende, jugendlich leichte Diana während Nadja Merzyn dagegen ein beschwingt leichter Cupido ist. Sascha Mai als Merkur ist am Haus der erfahrene kleine Tenor für Nebenrollen. Aber der Abend wird getrübt, indem das Philharmonische Orchester unter Dominik Tremel den Abend eher als Kurmusik-Operettenrevue sieht und nicht als französische Operette mit viel Feuer, Amor und Emotionen. Nett und beschwingt geht es durch diese deutsche Sylvesterfeier, der etwas zähe Höllengalopp wird freundlich beklatscht, aber eine Reprise des „Paket-Zusteller-Balletts“ wird nicht gefordert.
Fazit
Eine Kapitalismuskritik der heutigen Zeit als Rahmenhandlung für Offenbachs Orpheus? Es geht auf, die Umsetzung hätte aber mutiger und lustiger ausfallen können: einige Witze zwischen SED und Nazis, zwischen Kapital (Götter) und Arbeiterklasse (Hades) mit „Wollt ihr den totalen….“ greifen leider zu kurz: Laß den Zirkus endlich sein! ruft man Jupiter während der Revolte im Olymp zu. Übrig bleibt eine solide Operettenrevue, die auf glitzernde Unterhaltung abzielt, an die sich auch das musikalische Niveau anpaßt, der aber naturgemäß das französische Feuer Offenbachs fehlt – trotz einer fehlerfreien Sängerleistung. Am Ende freundlicher Applaus für eine garantiert jugendfreie Produktion.
Das dazu passende Zitat liefert Komarovsky in dem Film Doktor Schiwago nachdem der Arbeiterchor die Feier der Gesellschaft gestört hat: Hoffentlich singen sie nach der Revolution besser!
Oliver Hohlbach
Bild: Henning Rosenbusch
Das Bild zeigt: Dirk Mestmacher (Pluto) im rosa Anzug, Salomon Zulic del Canto (Jupiter), Kora Pavelic (Juno) hinten Mitte