QUAI WEST – Nürnberg, Staatstheater

von Regis Campo (1968), Libretto: Kristian Frédric und Florence Doublet nach dem Stück von Bernard-Marie Koltès, UA der deutschen Fassung von Carolyn Sittig nach der Übersetzung von Simon Werle

Regie: Kristian Frédric, Bühne: Bruno de Lavenère, Kostüme: Gabriele Heimann

Dirigent: Marcus Bosch, Staatsphilharmonie Nürnberg, Chor des Staatstheaters Nürnberg, Choreinstudierung: Tarmo Vaask

Solisten: Pavel Shmulevich (Maurice Koch), Leah Gordon (Monique Pons), Leila Pfister (Cécile), Taehyun Jun (Rodolfe), Michaela Maria Mayer (Claire), Hans Kittelmann (Charles), Fabrice di Falco (Fak), Augustin Dikongué (Abad, stumme Rolle)

Besuchte Aufführung: 17. Januar 2015 (Premiere)

Nürnberg quaiwestKurzinhalt
Maurice Koch läßt sich von seiner Sekretärin Monique zum Hafen fahren, um wegen Betrug Selbstmord zu verüben. Er fragt Charles nach dem Weg, sie treffen auf seine heruntergekommene Familie: Die Familie der verrückten Cécile mit ihrem bösartigen Mann Rodolfe und ihrer Tochter Claire, die mit dem jungen Mann Fak verabredet ist (und von diesem vergewaltigt wird). Dazu kommt ein Namenloser, der Abad genannt wird. Rodolfe gibt Abad ein Maschinengewehr, um Koch zu töten. Als sich Charles von seinem Vater Rodolfe verabschiedet, dabei aber von ihm ignoriert wird, wird er von Abad erschossen.

Vorbemerkung
Laut Programmheft ist das Ziel von Regis Campo, die Surrealität der (Traum-)Handlung in Musik umzusetzen, die psychologisierend keine Atmosphäre erzeugt. Dialoge mit dem „Charakter des Dealens“ stehen für schnelles Tempo, Monologe mit „heiligem Charakter“ für langsames Tempo. Am Schluß geht alles zu Ende, das ist eine „Passion“, ein Schlagzeug wird eingesetzt für ein Totenritual. Er selbst bezeichnet sich Eklektiker.

Aufführung
Für ein kurzes Stück von etwa 90 Minuten Spieldauer ohne Pause, ist das Bühnenbild relativ einfach gehalten, lebt aber von seinen Veränderungsmöglichkeiten. Drei Mauerblöcke aus Ziegelsteinen mit Fenstern, vergitterten Balkonen und Stahlleitern können immer wieder neu zusammengestellt und verfahren werden, bilden zusammen mit schwarzem Hintergrund verkommene Hinterhöfe, dunkle Gassen und verlassene Räume, die von lichtscheuen Gestalten bevölkert werden. Die zerschlissene Kleidung paßt zu gescheiterten Existenzen, einzig Claire hat noch Hoffnung und trägt saubere Jeans. Der Kaufmann Koch und seine Sekretärin Monique sind ein Geschäfts-Pärchen unserer Tage.

Sänger und Orchester
Marcus Bosch versucht mit energischem Einsatz der Partitur Tiefgang ab, versucht mit Energie und Tempo spätromantische Wirkungen zu erzielen. Manches klingt wie im Musical oder wie Musik von Ennio Morricone: Spielt Ihr mir das Lied vom Tod?

Leah Gordon stellt mit ihrem verspielten Sopran und ihrer warmen, technisch sauberen Stimme die Sekretärin Monique dar. Pavel Shmulevich ist ein russischer Baß mit unendlicher Tiefe, die Rolle des Koch kann er mit Leichtigkeit ausfüllen. Michaela Maria Mayer mit ihrem schlanken, sauber geführtem, manchmal etwas eindimensionalen Sopran, streicht die jugendliche Naivität der Claire heraus und ist ein Sympathieträger. Während Leila Pfister die schrille Hexe Claire ist, ist Taehyun Jun als ihr Mann Rodolfe ein wahrlich bösartiger Baß. Hans Kittelmann hingegen kann eloquent die Rolle des Charles gestalten und empfiehlt sich für mehr als nur Nebenrollen. Fabrice di Falco ist ein Countertenor, der die Rolle des Fak etwas zu sehr im Falsett nimmt. Der Chor hat nur einen kurzen Auftritt, steuert dabei nur Sphärenklänge aus dem Off bei.

Fazit
„Je suis Charlie!“ Im Programmheft bekennt sich Staatsintendant Peter Theiler zur Pressefreiheit und macht die Anteilnahme an den französischen Opfern rund um das Attentat auf Charlie Hebdo deutlich. Der Zusammenhang besteht darin, daß die stumme Rolle des Abad durch einen tätowierten dunkelhäutigen Statisten besetzt ist, der als „muslimischer Araber“ durchgehen könnte. Der Grund seines Tötens wird allerdings nicht deutlich, bleibt unklar. Deutliche Akzente setzt hingegen Marcus Bosch mit vorwärtsdrängender Musik, der so das Stück rettet – zusammen mit dem soliden, hart arbeitenden Ensemble. Genauso freundlich wird die Regie vom Publikum applaudiert, auch wenn doch ob der manchmal sehr verqueren Logik die eine oder andere Frage offen bleibt. Und die Moral von der Geschichte?

Oliver Hohlbach

Bild: Ludwig Olah

Das Bild zeigt: Abschiedsgrüße von Hans Kittelmann (Charles),  nachdem er von Abad erschossen hat.

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